Leoben - Ob er sich mit seinem Freund "auf Facebook vielleicht über Verteilungsgerechtigkeit oder Vermögenssteuern unterhalten" habe, fragt Richter Peter Wilhelm den Angeklagten Sebastian S. streng. S., der für die Böhler-Werke in Kapfenberg als Werkstoffprüfer arbeitet, verneint das mehrmals eingeschüchtert.

Doch nicht das Sprechen über Verteilungsgerechtigkeit wurde angeklagt, sondern ein selbstgedichteter Hip-Hop-Text, den der Arbeiter und damalige Bezirksvorsteher der Sozialistischen Jugend (SJ) Bruck an der Mur im August 2011 auf der Facebook-Seite seines Freundes Michael P. (18) gepostet hatte. Unter anderem diese Zeile: "Angesicht zu Angesicht werden sie (die Reichen; Anm.) geschlachtet und ihre Gründe an Obdachlose verpachtet (...)". S. stand am Donnerstag wegen des Aufrufs zu einer strafbaren Handlung nach dem Mediengesetz vor dem Landesgericht Leoben. Der Ring Freiheitlicher Jugend hatte S. angezeigt. In der SJ bekam S. danach ein Funktionsverbot. Hätte er geahnt, was sein Text auslösen würde und dass ihn so viele Leute lesen würden, hätte er ihn nie gereimt, beteuert S. dem Richter.

S. und sein Freund P., der als Zeuge auftrat, wollen die Sicherheitseinstellungen ihrer Facebook-Seiten erstaunlich schlecht gekannt haben.

Der Richter will von S. auch wissen, ob er von den Unruhen in London nur Tage vor seinem Posting nichts mitbekommen habe? "Ich schaue keine Nachrichten, und zum Zeitunglesen komme ich auch nicht, wenn ich Nachtschicht habe", meint S. dazu. Der Richter glaubt ihm offenbar nicht und fragt mehrmals nach. Als sich ein Mann im Saal räuspert, fährt ihn der Richter emotional an: "Kommentare zu meinen Fragen an den Angeklagten, auch wenn sie nur aus Seufzern bestehen, können Sie sich sparen." Dazu der Zuhörer: "Ich habe nicht geseufzt, ich habe einen Frosch im Hals."

Die Staatsanwältin Maria Sackl will nicht einmal glauben, dass es sich um einen Hip-Hop-Text handelt. "Wo sind da die Reime?", fragt sie. Erst als der Richter sie den Text laut vorlesen lässt, verstummt die Anklägerin mitten in einem Reim: "Ah ja."

Der Freispruch des Richters erfolgt im Zweifel, weil man dem jungen Mann keinen Vorsatz, zu einer tatsächlichen Straftat aufgerufen zu haben, nachweisen könne. "Aber", stellt der Richter zum Text verärgert klar, "so was Saublödes hab ich noch nie gelesen."

Der Vorsitzende der SJ Steiermark, Max Lercher, sagte dem Standard nach der Verhandlung, es laufe zwar parteiintern noch ein Kontrollverfahren gegen S., Lercher sei aber optimistisch, dass das Funktionsverbot aufgehoben werde, denn: "Wir werden nicht strenger sein als der Richter. "

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin will mit dem Fall vor das Oberlandesgericht. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2012)