Wien - Der Durchschnitt ist die größte Gefahr für eine erfolgreiche Zukunft - und ein "durchschnittsorientiertes System" nicht für Herausforderungen gerüstet. Diese Sichtweise vertritt der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger in seinem soeben erschienenen, neuen Buch "Die Durchschnitts-Falle", in dem er auch mit dem österreichischen Schulsystem hart ins Gericht geht. Der Fokus liege zu stark auf den Schwächen, nicht auf den Stärken und Talenten der Schüler. Bildungsferne Schichten müssten zur Bildung geführt werden, "nicht um den Durchschnitt zu heben, sondern um mehr Talente entdecken und fördern zu können".
"Peaks und Freaks" statt der "durchschnittlichen Allround-Könner" fordert der Professor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien, wenn es um die Beantwortung noch ungelöster Fragen in unserer Gesellschaft geht. Politik, Bildungssystem und Eltern würden hingegen "ständig den Ratschlag geben, sich doch dem Durchschnitt anzupassen". Es sei heute wenig beliebt, aus der Masse herauszuragen und gegen den Strom zu schwimmen - dabei basiere genau darauf die Evolution. "Wir brauchen 'Abweichler' wie Albert Einstein, wir benötigen 'Auffaller' wie Sigmund Freud", konstatiert Hengstschläger. Stattdessen zähle am Ende der Schule, dass alle das Gleiche können.
Im Unterricht würden Talente und Stärken verschwendet, indem Schüler dazu angehalten werden, "dort am meisten zu lernen, wo sie die schlechtesten Noten haben, um sich auf Kosten jener Zeit, die sie mit ihren Stärken hätten verbringen können, doch rasch wieder im Durchschnitt einzureihen". Das Ergebnis: Ein "durchschnittliches, unauffälliges, angepasstes Kind", das sowohl in seinen schlechten Fächern als auch in dem nun vernachlässigten Fach, in dem es die ausgezeichnete Note hatte, zum Durchschnitt wird.
Talente selbst seien schwer messbar - der Erfolg, der sich aus der "Wechselwirkung aus Genetik und Umwelt" ergibt, jedoch nicht. "Wir begehen gerade den fatalen Fehler zu glauben, nicht jeder Mensch habe Talente und nicht jedes Talent sei wertvoll", meint Hengstschläger. "Mit diesen beiden Irrtümern muss aufgeräumt werden." Forderungen nach verpflichtendem Kindergarten, Gesamtschule, Zentralmatura oder verpflichtender Sprachkompetenz polarisierten zwar, sollten uns aber "alle recht sein", wenn sie bei der Entdeckung von Talenten helfen und zum Nutzen der Begabung führen. (APA)