Die MitarbeiterInnen in der Marienapotheke waren von Anfang an von den gehörlosen Lehrlingen begeistert.

Foto: derStandard.at/Blei

David Iberer ist der erste gehörlose pharmazeutisch-kaufmännische Assistent in der Geschichte der österreichischen Pharmazie.

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Der 18-jährige Tolga Korkmaz ist nun im zweiten Lehrjahr.

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Karin Simonitsch wollte mit der Einstellung von David eigentlich nur einem Freund einen Gefallen tun.

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"Tolga!", ruft die junge Frau durch die Apotheke und öffnet eine Türe. Doch Tolga wird auf die Rufe nicht reagieren. Das weiß auch die junge Frau, doch es sei eben Angewohnheit, nach Leuten zu rufen. Der 18-jährige Tolga Korkmaz ist Lehrling in der Apotheke und gehörlos. Als seine Kollegin die Hand auf seine Schulter legt, dreht er sich um und lächelt. Die Inhaberin der Marienapotheke im sechsten Wiener Gemeindebezirk, Karin Simonitsch, verlangt nach ihm.

Während des Sprechens formt Simonitsch die Worte mit ihren Lippen und blickt den jungen Mann dabei ständig an. Langsam und deutlich sagt sie, was sie von ihm möchte. So fällt es Tolga leichter, von ihren Lippen zu lesen. Schließlich antwortet er mit einer Mischung aus Gebärden und gesprochener Sprache. Man versteht sich. Aber das war nicht immer so.

Ein Gefallen für einen Freund

Bereits 2007 stellte Simonitsch den ersten gehörlosen Lehrling in ihrer Apotheke ein und wollte damit eigentlich nur einem Freund einen Gefallen tun. Dessen Sohn David Iberer war wegen einer Fehlmedikation während der Schwangerschaft ohne ausgebildeten Hörnerv zur Welt gekommen. Beide Elternteile sind allerdings hörend und machten sich Sorgen um die Zukunft des Burschen. Deshalb versprach ihm Simonitsch eine Lehrstelle und hielt Wort. 2010 bestand der heute 22-jährige David seine Lehrabschlussprüfung und ist somit der erste gehörlose pharmazeutisch-kaufmännische Assistent in der Geschichte der österreichischen Pharmazie. 

Aufgrund seiner hörenden Eltern lernte David allerdings die Gebärdensprache nur rudimentär. Und auch logopädische Behandlungen verhalfen ihm nicht zu einer deutlichen Lautaussprache. Deshalb hatte er es in der Berufsschule besonders schwer. Für den Frontalunterricht bekam er zwar einen Dolmetscher des Bundessozialamts zur Verfügung gestellt, doch konnte er auch diesem nicht folgen. Seine Mutter begleitete ihn daher zu den Schulstunden und führte seine Mitschrift.

Gebärdensprachkurs

Eine Verbesserung für Davids Kommunikationsfähigkeiten hat sich auch ergeben, seit Tolga im Jahr 2010 ebenfalls eine Lehre in der Apotheke begonnen hat. "Die beiden helfen sich gegenseitig, und Tolga lehrt ihn auch ein wenig Gebärdensprache", sagt Simonitsch.

Gebärden mussten auch die MitarbeiterInnen der Apothekenleiterin lernen. Deshalb wurde mit der Einstellung von David ein Kurs in Gebärdensprache begonnen. Die KollegInnen seien auch von Beginn an von dem Plan, gehörlose Lehrlinge auszubilden, begeistert gewesen: "Die beiden sind eine Bereicherung für das Team und hochintelligent", so Simonitsch.

Kundenkontakt

Zu Beginn war es dennoch eine Umstellung für die MitarbeiterInnen. "Wenn man normalerweise einem Lehrling etwas neu erklärt, dann macht man es und spricht dabei", sagt Simonitsch. Mittlerweile hätten sich alle daran gewöhnt, zuerst etwas herzuzeigen und erst danach den Hintergrund zu erklären. Es passiere auch nicht mehr so oft, dass einem der beiden jungen Männer nach einem Gespräch noch einmal hinterhergerufen werde. "Da habe ich mich zu Beginn oft geärgert, weil sie natürlich nicht reagierten und ich nicht daran dachte, dass sie gehörlos sind", gibt die Leiterin zu.

In direktem Kundenkontakt stehen allerdings beide nur selten. Deshalb hofft Simonitsch auf mehr gehörlose Kunden, damit auf der einen Seite David und Tolga mehr Praxis sammeln und auf der anderen Seite die gehörlosen Menschen ihre Probleme und Bedürfnisse ohne Dolmetscher äußern können. Bis dato sind beide überwiegend im Lager und im Labor tätig. Sie helfen bei der Rezeptur, rühren Salben und nehmen Waren entgegen. Dabei seien die jungen Männer konzentrierter als alle anderen bei der Sache, erzählt die Apothekenleiterin, denn "sie werden durch keine Geräusche abgelenkt".

"Freikaufen"

Für die beiden Lehrlinge mussten auch Neuanschaffungen getätigt werden, die finanziell durch das Bundessozialamt unterstützt wurden. So wurde eine Brandmeldeanlage installiert, die auch durch Blinkzeichen vor Feuer warnt. Deshalb leistet Simonitsch auch gerne den verpflichtenden Beitrag von 232 Euro pro Monat an das Sozialamt (siehe "Wissen" am Ende des Texts).

"Freikaufen von einer gesellschaftlichen Verpflichtung", nennt das die Apothekenleiterin. Lehrlinge würden nicht als "begünstigte Behinderte" zählen, da ihr Arbeitsverhältnis nur befristet ist. David hat diesen Status aber nach seiner Lehrabschlussprüfung erreicht. "Ihn werde ich immer behalten", sagt Simonitsch. (Bianca Blei, derStandard.at, 23.1.2012)