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Griechenland? Irgendwie ein Nebenschauplatz im großen Gefüge Währungsunion. Seine große Bedeutung verdankt er Italien, sagt Ökonom Weichenrieder.

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Dennoch wird er uns noch ein bisschen erhalten bleiben - so lange nämlich, bis Italien aus dem Schneider ist.

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Für Alfons Weichenrieder hat Europa mit den Banken eine Riesenbaustelle offen, die aus gutem Grund noch ein bisschen unfertig bleiben wird.

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In Athen wird wieder einmal heftig verhandelt. Es geht um 130 Milliarden Euro, um die Hilfstranche, die Griechenland wieder aus der Patsche helfen soll. Verhandelt wird auch über die Höhe des Schuldenschnitts, also darüber, wie hoch der "freiwillige" Beitrag der Banken sein wird. Griechenland wird dennoch die Pleite erklären, nachdem es sich die 130 Milliarden "abgeholt" hat, sagt Ökonom Alfons Weichenrieder. Warum nicht sofort und welche Baustellen in der Union noch offen sind, erklärt er im derStandard.at-Interview.

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derStandard.at: Seit zwei Jahren scheint es offensichtlich, dass Griechenland pleite ist. Sie haben im vergangenen Jahr eine Stellungnahme mitunterschrieben, in der Sie und zahlreiche Kollegen sich dafür einsetzten, eine Insolvenzordnung für Europa zu schaffen. Der Aufruf blieb offenbar folgenlos.

Alfons Weichenrieder: Das ist ein schwieriger Prozess. Ein Problem ist, dass vieles, was den Finanzsektor langfristig stärker machen würde, auf der kurzfristigen Seite die Zinsen der Problemstaaten erhöhen würde. So will man ja auch Umschuldungsklauseln ab 2013 einführen, aber mit diesen Klauseln versehene Papiere sind möglicherweise noch einmal höher zu verzinsen.

derStandard.at:
Was wäre dann jetzt notwendig?

Weichenrieder: Beim derzeitigen Plan einer Fiskalunion steht im Vordergrund, dass das finanzpolitische Korsett der Euroländer gestärkt wird, um wieder das Vertrauen der Investoren zu bekommen. Da sieht man einerseits erste Erfolge, andererseits sieht man, dass Länder wie Italien ungeduldig werden, weil sie meinen, sie haben schon sehr viel geleistet. Die italienischen Staatsschulden sind am langen Ende mit den Zinsen gerade einmal ein halbes Prozent runtergekommen. Monti ist jetzt dabei zu fordern, man soll etwas tun, um doch die Zinsen zu senken. Wie das gehen soll, sagt er nicht dazu. Das ist doch eine überraschende Forderung. Wenn die Italiener nicht so auf Kante genäht wären, hätte man bei Griechenland ganz andere Optionen gehabt. Europa hat Griechenland von Anfang an hauptsächlich geholfen, weil man Angst hatte vor Italien und vor den Ansteckungseffekten über die Banken. Auch bei deren Regulierung gibt es noch Hausaufgaben.

derStandard.at: Italien ist ja durch die neuen Verhandlungen in Griechenland ein bisschen in den Hintergrund geraten. In Griechenland scheint sich allerdings nichts zum Besseren zu wenden. Es gibt zwar eine neue Regierung, aber den Geldgebern geht die Konsolidierung bei weitem nicht weit genug. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Griechenland nun doch pleitegeht?

Weichenrieder: Ich kann mir gut vorstellen, dass der Leidensweg mit dem Sich-Durchlavieren noch einige Monate weitergeht. Dadurch, dass der IWF nicht mehr an die Liquiditätskrise glaubt und deswegen derzeit - wie es aussieht - nicht mehr bereit ist zu finanzieren, ist das zwar schwieriger geworden. Ich glaube aber, dass mit Blick auf Italien die Angst noch zu groß ist, den mehr oder weniger ungeordneten Default für Griechenland eintreten zu lassen. Aus der Sicht der Griechen ist es vermutlich auch noch gar nicht an der Zeit, den Default zu erklären. Sie werden jetzt noch einmal versuchen, die nächste Zusage abzuholen. Da geht es immerhin um 130 Milliarden Euro.

derStandard.at: Jetzt muss es aber offenbar schnell gehen.

Weichenrieder: Es heißt, dass die Vereinbarung mit den privaten Gläubigern bis Ende Jänner getroffen werden muss. Im März werden noch einmal 14 Milliarden für die Ablöse existierender Staatsschulden gebraucht. Die griechische Regierung wird noch einmal Handlungsbereitschaft signalisieren. Möglicherweise lässt Europa sie gewähren, weil man den Italienern noch ein bisschen mehr Zeit geben will. Irgendwann ist das Austrittsgeld, das Griechenland mitnehmen kann, so groß, dass es sich dann auch einmal lohnt, freiwillig den Default zu erklären. Dann, wenn man den europäischen Partnerländern über die verschiedenen Kanäle, die offenen und versteckten Hilfsfonds genug Schulden hinterlassen kann, wird man wohl sagen: "Sorry, das übersteigt unsere Fähigkeiten."

derStandard.at: Und die Union wird mitspielen?

Weichenrieder: Es wird natürlich jetzt schwieriger, im Jänner die privaten Gläubiger und die Troika zu überzeugen, das ist klar. Aber in Frankreich hat der Präsident im April Wahlen im Haus, das Land ist gerade herabgestuft worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sarkozy jetzt gerne den offenen Default Griechenlands vor der Haustüre hat. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Mario Monti derzeit ein großes Bedürfnis hat, dass Europa jetzt die Griechen pleitegehen lässt. Und Deutschland steht unter einem enormen Druck und wird mitunter schon fast als Verursacher der Krise dargestellt. Vor diesem Hintergrund könnte das eher aus taktischen als aus ökonomischen Erwägungen noch eine Runde weitergehen.

derStandard.at: Es ist also auch davon auszugehen, dass die privaten Gläubiger und Griechenland sich über die Höhe des Forderungsverzichtes einigen werden?

Weichenrieder: Im Prinzip hat man sich ja schon im Dezember geeinigt, dass in länger laufende Wertpapiere umgeschuldet wird. Der effektive Forderungsverzicht der Banken hängt nun im Wesentlichen davon ab, welcher Zins dann auf diese neuen Staatspapiere vereinbart wird. Da gibt es enorme Spannen, deswegen ist das ein zähes Ringen.

derStandard.at: Welche Rolle spielen jetzt die Ratingagenturen noch? Fitch hat ja schon einmal vorsorglich die griechische Pleite für demnächst vorausgesagt.

Weichenrieder: Für Griechenland spielen die Ratingagenturen keine Rolle mehr. Da weiß jeder, das steht und fällt mit den Hilfsgeldern. Für Portugal ist das ein kleines bisschen anders. Da gab es offensichtlich noch einmal einen kleinen Zinssprung.

derStandard.at: Und der Rest?

Weichenrieder: Auf viele andere Länder hat das kaum merklichen Einfluss. Schon in der Vergangenheit haben die Ratingagenturen ja meist nur nachvollzogen, was die Märkte ohnehin gesagt haben. Wenn jetzt eineinhalb Prozent Rendite Unterschied zwischen einem deutschen Staatspapier und einem französischen Staatspapier besteht, müsste man die Frage an die Ratingagentur richten, warum beide die gleiche Bonität bekommen. Das ist doch ein eklatanter Unterschied bezogen auf die derzeit sehr niedrigen Zinsen. Deutschland zahlt am langen Ende so um die zwei Prozent und dann kommen noch einmal eineinhalb Prozent drauf. Das sind deutliche Spreads. Wenn man umgekehrt davon ausgeht, wie die Versicherungskontrakte aussehen, um sich gegen einen Default von Deutschland zu versichern, muss man auch fragen, ob Deutschland das Triple-A noch verdient hat, weil die Märkte inzwischen auch für Deutschland ein erhebliches Ausfallrisiko attestieren. Hier drückt sich die Sorge aus, dass auch ein großer Helfer unter der Last der Hilfszusagen zusammenbrechen könnte.

derStandard.at: Zurück zur Griechenland-Pleite. Wird sie geordnet oder ungeordnet ablaufen?

Weichenrieder: Was wir jetzt machen, ist letztendlich ökonomisch ein Default. Die Banken wissen, wenn sie jetzt nicht freiwillig nachgeben und die Umschuldung erlauben, kommt die Bankrotterklärung auf normalem Weg. So verhandelt man eben jetzt. Das ist ein geordneter Prozess. Wenn der zum Stoppen kommt und Griechenland einfach seine Zahlungen zur Bedienung der Staatsschuld und zur Ablösung der fällig werdenden Staatsschulden einstellt, dann haben wir erst einmal einen langwierigen Prozess mit unterschiedlichen Interessen. Es gibt große und kleine Schuldner, die kleinen werden ein bisschen aggressiver auftreten, weil sie wissen, dass es auf sie nicht so ankommt. Die großen internalisieren eher das Problem und wollen die Lösung früher eingetütet haben. Für die Banken ist es gut, wenn es schnell geht und sie irgendwann wissen, dass das Staatspapier wieder fungibel ist. Das ist die Idee dessen, was wir jetzt versuchen, die Ablösung durch länger laufende Staatspapiere, die die Banken in die Lage versetzt, danach wieder ein Asset zu haben, das die EZB dann wieder genauso wie die alten annimmt.

derStandard.at: Würde man sich jetzt nicht einigen, ergäbe das ganz praktische Probleme auch für die Griechen. Müssten zum Beispiel die Banken schließen?

Weichenrieder: Im Falle eines griechischen Defaults würde ich annehmen, dass die griechische Nationalbank in großem Maße sogenannte ELAs (Emergency Liquidity Assistance) an die privaten Banken geben würde. Das hat in gewissem Umfang in der Vergangenheit die irische Nationalbank gemacht und in Ausnahmefällen sogar die deutsche Bundesbank. Man kann als Nationalbank, obwohl man im EZB-System untergeordnet ist, den eigenen Banken Liquidität einräumen und dabei die Sicherheit nehmen, die man gerade selbst für geeignet findet, überspitzt gesagt, man kann dann fast Toilettenpapier beleihen, um Liquidität bereitzustellen.

derStandard.at: Da hat auch die EZB nichts mehr mitzureden?

Weichenrieder: Sie kann mit qualifizierter Mehrheit im EZB-Rat widersprechen. Entweder man verhindert einen Bankrun dadurch, dass man enorm viel Liquidität in die Banken gibt und sagt, ihr braucht keine Sorgen zu haben. Oder man macht es wie die Argentinier: Man friert die Konten ein und versucht den Ausstieg aus der Währungsunion zu organisieren.

derStandard.at: Nun hat ja Europa in den vergangenen zwei Jahren einiges auf den Weg gebracht. Es klingt dennoch so, als ob man heute eine Griechenland-Pleite nicht leichter wegstecken würde als damals.

Weichenrieder: Das würde ich so nicht sagen. Die Banken hatten einige Zeit, sich darauf vorzubereiten. Wir haben in vielen Ländern immer noch die staatlichen Bankensicherungssysteme, die man 2008/2009 aufgesetzt hat und die man reaktivieren könnte.

derStandard.at: Was sorgt Sie dann?

Weichenrieder: Im Prinzip bräuchten wir zwei Standbeine, um Europa solider zu machen. Die Verschuldung der Staaten muss runter. Hier setzt die Idee der Fiskalunion an. Gleichzeitig müsste aber auch die Abhängigkeit der Banken von den Staaten als Gläubiger sinken. Beispielsweise ist es in Deutschland immer noch möglich, Staatspapiere minderer Qualität - zum Beispiel portugiesische - zu kaufen und sie mit null Eigenkapital zu unterlegen. Das ist problematisch, weil die Banken jetzt sehr viel Liquidität bekommen und sich unter Umständen mit den problematischen Staatspapieren zusätzlich vollsaugen. Dass wir als Steuerzahler erpressbar sind, hängt insbesondere an diesen Verbindungen zwischen Staatsverschuldung und Bankbilanzen. Die Banken haben immer noch einen zu hohen Anreiz, lieber den Staaten Geld zu geben als den Unternehmen, weil bei den Unternehmen Eigenkapital unterlegt werden muss. Aber die Regierungen scheuen davor zurück, sich die eigene Refinanzierung zu verteuern. (Regina Bruckner, derStandard.at, 19.1.2012)