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Anwar Malek: "Das Resultat der Mission ist gleich null."

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Bei einer Beobachtungsexkursion in Homs.

Foto: Screenshot Reuters TV

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Eine Beobachtergruppe in der Provinz Deraa, aufgenommen von einen Fotografen der staatlichen syrischen Agentur SANA.

Foto: EPA/SANA

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Dieses Bild zeigt Anwar Malek in Homs.

Foto: REUTERS/via Reuters Tv/Handout

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Mohammed al-Dabi, der sudanesische Missionschef, der international kritisiert wird.

Foto: REUTERS/via Reuters Tv/Handout

Seit sein Wagen in der syrischen Protesthochburg Homs von Heckenschützen unter Beschuss genommen wurde, weiß Anwar Malek (40) Drohungen ernst zu nehmen. Und seit er vor einer Woche die Beobachtermission der Arabischen Liga, entsetzt über das Ausmaß der Gewalt in Syrien, verlassen hat, reißt die Serie von Schmähanrufen und Hassmails nicht mehr ab. Seinen Abschied bereut er trotzdem nicht. Die in Bashar al-Assads Reich verbliebenen Kollegen verhelfen dem Regime zum Machterhalt, erzählt Malek im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Was haben Sie in Syrien gesehen?

Anwar Malek: Um es auf den Punkt zu bringen: ein einziges großes Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Häuser wurden mit schweren Waffen beschossen, großen Bomben, die aber auch gegen Frauen, Kinder und Alte eingesetzt werden. Den Leuten fehlt es an Nahrung, jeden Tag werden zumindest 15 Menschen umgebracht. Ich habe Leichen gesehen, die schlimme Folterspuren aufwiesen, das hat mich am meisten schockiert.

derStandard.at: Warum haben Sie aufgehört?

Malek: Ich habe die Kommission verlassen, weil ich gemerkt habe, dass die syrische Regierung ohnehin nichts tut, um Gewalt gegen Zivilisten zu vermeiden. Ihr geht es um ihren eigenen Schutz, nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung. Unsere Chauffeure und die Mitarbeiter der Hotels, in denen wir wohnten, waren allesamt Geheimdienstleute. So kann man als Kommission nicht arbeiten, das Resultat der Mission ist gleich null.

derStandard.at: Wurden Sie in Syrien bedroht?

Malek: Am Morgen des 5. Jänner habe ich auf Facebook über meine Beobachtungen geschrieben, und einige Medien haben das aufgegriffen. Danach erhielt ich die erste Morddrohung, insgesamt waren es alleine an diesem Tag mehr als zehn. Nachdem man meine Facebook- und E-Mail-Konten gehackt und blockiert hatte, habe ich beschlossen, aus der Mission auszusteigen. Freitag, Samstag, Sonntag und Montag bin ich auf meinem Zimmer geblieben und habe Homs dann in Richtung Damaskus verlassen. Gleich nachdem wir losgefahren sind, wurden wir vor einer Brücke in Baba Amr (Stadtteil von Homs, Anm.) aufgehalten, und Heckenschützen haben unser Auto unter Beschuss genommen. Zwei unserer Sicherheitsleute wurden verletzt, aber ich bin mir sicher, dass ich das eigentliche Ziel dieses Vorgangs gewesen bin.

derStandard.at: Wie haben Sie dann die Ausreise geschafft?

Malek: In Damaskus angekommen, wurde meine Kündigung ohne große Worte akzeptiert. Man hat aber verlangt, dass ich noch drei Tage, ohne zu arbeiten, in Syrien bleiben solle, weil mein Ausscheiden ansonsten zu den Medien durchdringen würde und die Kommission Schaden nehmen könnte. Das habe ich nicht akzeptiert, woraufhin mir mitgeteilt wurde, ich müsse für meine Heimreise selbst aufkommen. Es gab aber nur zwei Flüge ab Damaskus, einen nach Kairo und einen nach Doha. Die Arabische Liga hat mir mein Visum für Ägypten verweigert, also rief ich einen Freund in Doha an, der mir ein Visum für Katar besorgte. Am Abend desselben Tages war ich dann in Doha.

derStandard.at: Haben Sie heute, wo Sie in Paris sind, Angst?

Malek: Ja, ich erhalte seit Tagen E-Mails und Anrufe, in denen mir geraten wird, den Mund zu halten, weil sie sonst Fotos und Videos von mir auf Facebook und YouTube veröffentlichen, auf denen ich nackt zu sehen bin, die heimlich in meinem Badezimmer im Hotel gemacht wurden. Kürzlich hat mich ein Mann angerufen, den ich aufgrund seines Akzents für einen Syrer halte, und damit gedroht, er werde mir die Kehle durchschneiden, wenn ich nicht den Mund halte. Ich verlasse deshalb derzeit das Haus nicht.

derStandard.at: Hilft Ihnen die Arabische Liga, die Sie nach Syrien entsandt hat, in dieser Situation geholfen?

Malek: Ich habe den Direktor angerufen, aber er wollte nicht mit mir sprechen. Sein Büroleiter hat mir ausgerichtet, ich solle erst einmal meine orange Dienstkleidung und die weiße Mütze zurückgeben, die sie uns für die Mission in Syrien gegeben haben. Außerdem hätte ich mich schlecht verhalten, weil ich mich an die Medien gewandt habe. Für meine Probleme hat er sich nicht interessiert.

derStandard.at: Wie sind Sie eigentlich Beobachter geworden?

Malek: Ich wurde vom Arabischen Komitee für Menschenrechte hier in Paris ausgewählt, um es auf dieser Mission zu vertreten. Ich habe mich als Schriftsteller schon immer mit den Menschenrechten auseinandergesetzt.

derStandard.at: Wie verlief die Vorbereitung?

Malek: Wir haben uns in Kairo, wo die Arabische Liga ihren Sitz hat, mit dem Generalsekretär getroffen, der uns die wichtigsten Punkte, auf die wir bei unserer Arbeit achten sollten, erklärt hat. Danach gab es in Damaskus eine Konferenz mit General Mohammed al-Dabi (dem sudanesischen Leiter der Mission, Anm.) über die Arbeit vor Ort. Darüber hinaus gab es keine Vorbereitung.

derStandard.at: Konnten Sie während Ihres Aufenthalts in Syrien mit Ihren Kollegen sprechen?

Malek: Natürlich, wir haben ja alles gemeinsam erlebt, in Fünfergruppen. Das Problem war, dass die meisten meiner Kollegen von ihren jeweiligen Regierungen ausgewählt worden sind und weder mit den Medien sprechen noch die Mission verlassen dürfen. Jeden Tag mussten sie ihrer Regierung Bericht erstatten und danach der Arabischen Liga. Ich hatte es leichter, weil ich als Unabhängiger entsandt wurde.

derStandard.at: Die UNO hat angeboten, die Beobachter künftig auszubilden. Was halten Sie von dieser Idee?

Malek: Es liegt ja nicht an den Beobachtern selbst, das sind alles ehrenwerte Leute, Generäle, Botschafter, Universitätsprofessoren. Das Problem ist der Chef der Mission, General al-Dabi, der dem syrischen Regime nicht zur Last fallen will und dem die Beziehungen seiner Regierung zu Syrien wichtiger sind. Die übrigen Mitglieder der Mission brauchen keine Ausbildung, es liegt nicht an ihnen.

derStandard.at: Kann die Beobachtermission überhaupt irgendetwas gegen die Gewalt ausrichten?

Malek: Nein, meiner Meinung nach dient sie nur der Aufrechterhaltung des Regimes. Sie hilft dem Regime, Demonstrationen weiter niederzuschlagen.

derStandard.at: Was braucht es denn Ihrer Meinung nach, um die Gewalt zu stoppen?

Malek: Es gibt keine Lösung, weil sich Syrien in einem Bürgerkrieg zwischen der Armee und Deserteuren befindet. (flon, Mitarbeit: Sebastian Pumberger, derStandard.at, 18.1.2012)