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Kroatische Nationalisten werben lautstark, aber wohl erfolglos, in Zagreb dafür, kommenden Sonntag gegen den Beitritt zu stimmen.

Foto: Reuters/Solic

Viele Kroaten sehen es geradezu als Selbstverständlichkeit an, in die Mitte der Union zu kommen.

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Zagreb/Wien - Petar Preradović betrachtet von seinem Sockel aus die Sonnenhungrigen, die versuchen, einen Platz an den Kaffeehaustischen zu ergattern. Neben dem Monument des kroatischen Nationaldichters und österreichischen Offiziers in Zagreb, haben sich auch die Unternehmer Ante Matić und Dubravko Rudeš eingefunden: blaue schicke Lodenmäntel, hochgestellte Krägen, blitzende Schuhe. Eleganz ist wichtig am Preradović-Platz. Die beiden Freunde bezweifeln keine Sekunde, dass die Kroaten am Sonntag für den Beitritt zur EU stimmen werden. "Nun kehren wir endlich wieder in die Normalität und Ordnung zurück" , sagt Matić. Wann die Normalität aufgehört hat? "1918." Und in welche Ordnung geht es zurück? "In die k. und k. Ordnung" , sagt Matić mit großer Selbstverständlichkeit. Für ihn ist der Beitritt eine historisch logische Heimkehr nach Europa. die Monarchie ein Modell für die EU.

Realitätsverweigerung

Das Narrativ über die Kroaten als Ureuropäer, die bloß durch eine Art Unfall der Geschichte bisher nicht im Zentrum der EU standen, ist verbreitet. Die Zeit in Jugoslawien wird dabei verdrängt. "Das ist eben Realitätsverweigerung" , sagt der Politikwissenschafter Davor Gjenero, dessen schwarzer Labrador in die frühlingshafte Sonne schnuppert.

Gjenero rechnet mit etwa 60 Prozent Zustimmung am Sonntag. "Es gibt ja keine Alternative. Kroatien kann nur als Mitgliedsstaat der EU funktionieren." Außerdem wäre es nach dem langen Reformprozess irrational, wenn das Land nun nicht auch die Früchte ernten würde. Als eine der größten Errungenschaften sieht Gjenero, dass sich die ehemalige Tudjman-HDZ unter der Kontrolle der Europäischen Volkspartei von einer "gefährlichen nationalistischen Bewegung" zu einer "normalen korrupten proeuropäischen Partei" gewandelt habe. "Nun geht es darum, dass daraus noch eine normale konservative Partei wird" , analysiert er gelassen.

Der Beitrittsprozess habe außerdem dazu geführt, dass eine "Bereitschaft zum Konsens" und Standards für eine freie Marktwirtschaft entwickelt und die Zivilgesellschaft in die Entscheidungsfindung eingebunden wurde.

Die außenpolitisch wichtigste Veränderung in dem Prozess ist für den Berater der liberalen Partei, dass Kroatien jeglichen Anspruch in Bosnien-Herzegowina aufgegeben hat. Eine Verbesserung der Beziehungen zu Serbien kann man seit langem beobachten. Die neue kroatische Außenministerin Vesna Pusić erwägt nun sogar, die Völkermordklage gegen Belgrad zurückzuziehen.

"Es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu leben" , sagt Mila S. Die Serbin, die "wegen der Liebe" hierher gezogen ist, hofft, dass der Beitritt Kroatiens zu einem Motor für den Integrationsprozess von Serbien wird. Derweil hat ihr kroatischer Ehemann aber in Zagreb noch weit mehr Zukunftschancen als in Serbien. Sie selbst hat aber "furchtbare Sehnsucht nach der Herzlichkeit der Belgrader" . Und nach einem Job. "Als Serbin ist es hier nicht leicht" , sagt sie und rennt ihrer Tochter nach, die eine Taube einfangen will. Der Krieg ist noch in Erinnerung, und Mila S. will ihren vollen Namen nicht in der Zeitung sehen.

Dabei ist der dominante aggressive Nationalismus tatsächlich passé. Auch die Bürgerinitiative "Bewegung für Kroatien - nicht in die EU" , die am Hauptplatz lautstark vor dem "Verrat" am Heimatland warnt und EU-Flaggen verbieten will, kann nur ein paar Pensionisten begeistern. Die Umfragen zeigen eine Pro-EU-Stimmung zwischen 55 und 60 Prozent.

Es gibt aber noch Unentschlossene. "Wir sind nicht reif für den Beitritt" , glaubt etwa die 28-jährige Ökonomin Slavica B. "Wir müssen zunächst unsere eigene Wirtschaft stärken. Wenn wir so schwach Mitglied werden und die EU in der Krise ist, bringt uns das keine Vorteile" , sagt die Frau mit den riesigen Sonnenbrillen. Dann sprintet sie geistesgegenwärtig zu einem Kaffeehaustisch, der gerade frei wird, und gewinnt das Rennen. An der Ecke spielt ein junger Mann auf einer Flöte "Freude schöner Götterfunken". (Adelheid Wölfl /DER STANDARD, Printausgabe, 18.1.2012)