4.471 Unterschriften wurden an die Parlamentsdirektion übergeben, seither kann die Initiative gegen die Vorratsdatenspeicherung auch online unterstützt werden.

Foto: AK Vorrat / [cc;3.0;by-sa]

Seit vergangenem Oktober haben alle Österreicher die Möglichkeit, Bürgerinitiativen mit mehr als 500 schriftlichen Unterstützungserklärungen auch online mitzuzeichnen. Mit einer solchen Initiative richtet sich der Arbeitskreis Vorrat (AK Vorrat) gegen die "EU-Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG)", deren Umsetzung der Nationalrat im vergangenen April beschlossen hat. Im Petitionstext zu "Stoppt die Vorratsdatenspeicherung" wird das Hohe Haus aufgefordert, die Bundesregierung mit der Intervention gegen das Gesetz im EU-Ministerrat zu beauftragen.

Die Vorratsdatenspeicherung sieht eine sechsmonatige unbegründete Aufzeichnung von Verbindungsdaten bei Telefongesprächen, Kurznachrichten und Internetnutzung vor und erlaubt der Exekutive, zu Ermittlungszwecken in diesen Datensätzen zu recherchieren. Über 43.000 Unterschriften zählt die Initiative mit Stand 24. Jänner 2012. Zum Vergleich: Die bisher größte Petition in Deutschland erreichte mit jener gegen die Internetsperren im Jahr 2009 143.000 Mitzeichner.

Unterstützt wird die Initiative unter anderem vom Ludwig-Boltzmann-Institut, der Piratenpartei, den Grünen und mehreren Datenschutzvereinen. derStandard.at sprach mit dem Obmann des AK Vorrat, Andreas Krisch.

derStandard.at: Auf der Projektwebsite zeichnemit.at zeigt ein grüner Balken die Zahl der Unterstützungserklärungen an. Zu Beginn der Aktion wäre er bei 10.000 Mitzeichnern voll gewesen, nun wurde der Counter auf 40.000 Unterschriften erhöht – wächst Ihr Ziel mit der Zeit?

Andreas Krisch: Wir werden ständig von der Wirklichkeit überholt, es ist überwältigend, was hier passiert. Unser erstes Ziel im vergangenen Oktober war es, die 500 Unterschriften auf Papier zu sammeln, damit auf der Website des Parlaments auch online mitgezeichnet werden kann. Das haben wir innerhalb kürzester Zeit erreicht, und 48 Stunden nachdem wir online waren hatten wir 10.000 Mitzeichner. Das war eigentlich unser damaliges Ziel bis zum Ende der Zeichnungsfrist.

derStandard.at: Wann endet die Frist?

Krisch: Die Initiative kann noch unterschrieben werden, bis der Petitionsausschuss des Parlaments zusammentritt. Das wird voraussichtlich Mitte März sein.

derStandard.at: Sie stellen auf Ihrer Website in Aussicht: "Hilf mit, die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen!" Wie realistisch ist ihre Abschaffung wirklich, nachdem das Gesetz den Nationalrat schon passiert hat?

Krisch: Einige Parteien haben bereits beim damaligen Beschluss gesagt, dass sie sich für die Abschaffung auf EU-Ebene einsetzen werden. Das ist es, was wir einfordern. Derzeit findet in der EU außerdem eine Evaluierung der gesamten Richtlinie statt, weil sie in einigen Ländern nicht verfassungskonform ist. Die Kommission hat ja schon vergangenes Jahr einen Bericht vorgelegt und nicht beweisen können, dass diese Maßnahme für irgendetwas gut ist. Es gibt also Hoffnung, auch wenn kürzlich ein Papier der EU-Kommission an den EU-Rat durchgesickert ist, wonach sogar ein weiterer Ausbau dieser Maßnahme diskutiert wird. Dann könnten auch Inhalte wie Chats, Up- und Downloads überwacht werden.

derStandard.at: Könnten Sie sich vorstellen, auch selbst auf EU-Ebene demokratischen Protest zu erheben, sollte die Regierung abwinken?

Krisch: Wir sind seit längerem mit Datenschutzorganisationen in der ganzen EU vernetzt und setzen uns auf verschiedenen Wegen gegen die Vorratsdatenspeicherung ein. Wir haben schon in einer früheren Aktion europaweit 50.000 Unterschriften gesammelt und vorgelegt und stehen in Kontakt mit der zuständigen Kommissarin. Unmittelbare Maßnahmen, die man setzen kann, sind auf EU-Ebene aber nicht so einfach. Darum stellt sich die Frage, ob wir durch öffentlichen Druck und Medienarbeit nicht auf einem besseren Weg sind.

derStandard.at: In den sozialen Netzwerken verbreitete sich die Initiative sehr schnell, auf Twitter schrieben Sie selbst: "Das Socializing-Treffen heute war sehr fruchtsam. Macht euch auf einige tolle Kampagnen gefasst!" Würden Sie sagen, im weitesten Sinne so etwas wie Social-Media-Marketing zu betreiben?

Krisch: Es war für uns von Anfang an klar, dass wir den Schwerpunkt der Initiative online haben werden. Es ist einfach viel stärker unser Kommunikationsmedium, mit dem wir gut umgehen können. Ein konkretes Beispiel unserer Kampagne ist die Möglichkeit, Videos aufzunehmen und hochzuladen, wo die Leute sagen können, warum sie gegen die Vorratsdatenspeicherung sind. Wir hoffen, dadurch eine aussagekräftige Sammlung von Argumenten zu bekommen und dem Ganzen ein Gesicht geben zu können.

derStandard.at: Glauben Sie, die Bürgerinitiative ist im Netz deshalb ein Erfolg, weil es sich um ein Online-Thema handelt?

Krisch: Nicht nur. Ich glaube, dass die ganzen Anti-Terror-Maßnahmen den Menschen schon zu weit geht. Ich war sehr überrascht, als wir anfangs die Unterstützungserklärungen per Post bekommen haben: Darunter waren Briefe von Menschen mit Geburtsjahrgang 1936, die uns offenbar aus eigenem Antrieb unterstützen und nicht, weil sie das Enkerl überredet hat.

derStandard.at: Im offiziellen Initiativentext sprechen Sie wie selbstverständlich von "Terrorgesetzen", die der Nationalrat zu evaluieren ersucht wird. Haben Sie nicht die Befürchtung, durch so eine Wortwahl zu plakativ und unseriös zu wirken?

Krisch: Ich denke nicht, dass es an einem saloppen Wort hängen wird, ob wir ernst genommen werden oder nicht. Die zehntausenden Unterschriften sind ein starkes Signal, dass viele Leute ähnlich denken, und wir legen ja auch sachliche und fachliche Argumente für unsere Sichtweise auf den Tisch.

derStandard.at: Woraus speist sich Ihre persönliche Motivation für eine wahrscheinlich nicht unaufwendige Sache?

Krisch: Wir sind im AK Vorrat hauptsächlich Leute, die mit dem Internet groß geworden sind und es regelmäßig nutzen. Vielleicht sehen wir deshalb das Gefährdungspotenzial der Vorratsdatenspeicherung kritischer. Wenn sie eingeführt wird, gibt es faktisch keine Möglichkeit mehr für vertrauliche Kommunikation. Bei den traditionellen Kommunikationsmedien wie dem Postverkehr wird das Briefgeheimnis aufrechterhalten, und wir wollen es uns bei den elektronischen Medien nicht wegnehmen lassen.

derStandard.at: In der Begründung für die Initiative zählen Sie mehrere Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung auf. Gibt es sonst noch Gründe, warum man mitzeichnen sollte?

Krisch: Österreich hat sich immer wieder für die Menschenrechte starkgemacht, und ich glaube, dass es uns auch in diesem Punkt ganz gut anstehen würde, uns auf EU-Ebene für eine Wahrung der Menschenrechte und des Rechts auf Privatsphäre einzusetzen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 24.1.2012)