Kaohsiung/Wien - "Ich komme aus Oberndorf", sagt der große, kahlgeschorene Mann mit den beredten Augen. "Dem unberühmten Oberndorf an der Melk, nicht dem anderen." Das andere ist jener Ort in Salzburg, der sich nach dem dort erstmals aufgeführten Weihnachtslied "Stille-Nacht-Gemeinde" nennt. Aber das macht nichts. Denn Hue Shou ist seinem Kometen auch so gefolgt, bis in den Fernen Osten.
Herr Hue ist nach langen Wanderjahren Mönch geworden, im Fo-Guang-Shan-Kloster in Kaohsiung, dem größten Tempel Taiwans. Dort arbeitet er als Gästebetreuer und führt Besucher durch die imposante Anlage. In seiner wallenden, orangefarbenen Mönchskutte erzählt er Schnurren aus dem Klosterleben. Er gestikuliert ausladend, zeigt, erklärt und antwortet auch noch auf die simpelste Frage zum Mahayana-Buddhismus, der Glaubensrichtung, der sein Kloster angehört.
Hue Shou ordnet ein, was es mit den 500 Erleuchteten auf sich hat, die als Figuren in einem Garten vor dem Hauptschrein stehen. Dann führt er zur 36 Meter hohen Statue des Amitabha-Buddha, der über den Tempel und das angrenzende Flusstal wacht. Und er erzählt vom 80-jährigen Meister Hsing Yun, der den Tempel vor beinahe 50 Jahren gegründet und zu einem weltumspannenden Unternehmen gemacht hat. Inzwischen ist Fo Guang Shan in beinahe allen Ländern der Erde vertreten, auch in Österreich gibt es einen Tempel (in der Wiener Sechshauser Straße 50).
"Alle wollen Lösungen"
"Ja ja", sagt Hue Shou, es kämen viele Touristen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich zu ihm. Manche blieben sogar für einige Wochen im Kloster. "Die meisten, die das machen, kommen ohne zu sagen, dass sie Probleme haben. Aber sie wollen trotzdem Lösungen dafür haben. Das ist ziemlich seltsam. Denn so spielt es sich im Buddhismus nicht."
Warum er, Hue Shou, dessen österreichischer Name Gerhard Fröschl ist, denn Buddhist geworden ist? "Wenn Gott allmächtig, allliebend und allweise ist, warum ist die Welt dann so, wie sie ist? Ein liebender Gott im christlichen Sinn ist für mich einfach unglaubwürdig, das geht mit meinem kleinen bisschen Weisheit einfach nicht zusammen", erklärt der Touristenführer seine spirituelle Reise. "Ich verstehe, wenn das andere tun, aber ich kann das nicht akzeptieren."
Und der Weg war in der Tat lang: 1976 konvertierte Hue in Scheibbs zum Buddhismus. Der Vater, ein sittenstrenger Tischlermeister, war nicht begeistert. Aber der Bub setzte seinen Kopf durch. Danach studierte er in Wien ein Jahr lang Philosophie ("Da wird alles nur zerredet"), führte ein Restaurant, wanderte für zehn Jahre nach Südafrika aus und trat dort schließlich als Mönchsanwärter in eine Zweigstelle des Klosters ein. Seit dem Jahr 2000 lebt er nun im südtaiwanischen Kaohsiung.
"Zuerst testen sie dich: Wie lange kann der bei uns überleben? Das ist die Frage", erzählt Hue. Viele Westler hielten das nicht lange durch. Denn sie wollten ihre individuelle Freiheit nicht ganz aufgeben, in der chinesischen Kultur dagegen zähle die Gemeinschaft, und es werde kontrolliert.
Nach zwei bis fünf Jahren werden Anwärter im Fo Guang Shan zu Mönchen ordiniert. Streng gehe es auch dann weiter. Aber er als Westler, der Westlern den Buddhismus erklärt, lächelt Hue Shou, habe von seinem Abt noch immer ein wenig "Narrenfreiheit" zugestanden bekommen. Und quasi zum Beweis wirft er sich in die gleiche Pose, wie sie der riesige Amitabha-Buddha einnimmt.
Nicht mehr zurück
Nach Österreich will er nicht zurückfahren. Schon seit er in den 1990er-Jahren in Südafrika war, ist er kein einziges Mal mehr dort gewesen. Auch der Vater, von dem Hue Shou viel spricht, habe ihn niemals besucht. Der sei einfach ein sehr heimatverbundener Mensch gewesen, habe im Urlaub immer nur Österreich-Rundfahrten gemacht oder bestenfalls einmal einen Ausflug nach Ungarn. Vor kurzem sei er gestorben. Es ist das einzige Mal, dass der so gelassene Hue Shou so etwas wie Schmerz erkennen lässt. (Christoph Prantner, DER STANDARD; Printausgabe, 17.1.2012)