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Gleich mehrere Euro-Länder verloren am Freitag ihren AAA-Status.

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Patrick Artus

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STANDARD: Das Unverständnis in Frankreich und Österreich über die Herabstufung der Ratings durch Standard & Poor's ist groß. Verstehen Sie den Unmut?

Patrick Artus: Nein. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich sind gewaltig. Deutschland hat in den letzten Jahren die Arbeitskosten reduziert, die Wettbewerbsfähigkeit und Forschungsausgaben erhöht. Frankreich setzte auf Konsum, es gibt Anreize für Autokäufe, Eigenheime bis hin zu niedrigen Umsatzsteuern auf Restaurantbesuche sowie massive öffentliche Investitionen. Die französische Politik ist somit nachfrageorientiert, die deutsche angebotsorientiert. Die französischen Unternehmen sind wenig profitabel, investieren daher kaum. Konsumstärkende Maßnahmen fördern nur den Import.

STANDARD: Im Ergebnis gibt es aber weder bei den Schulden noch beim Wohlstand der beiden Nationen erhebliche Unterschiede.

Artus: Das Problem ist die künftige Entwicklung. Frankreich hat ein niedriges Potenzialwachstum von einem Prozent, Deutschland von zwei bis 2,5 Prozent. Das ergibt langfristig einen gewaltigen Unterschied, vor allem was die Reduktion der Schulden anbelangt. Frankreichs Budgetdefizit lag 2011 bei knapp sechs Prozent, das deutsche bei gut ein Prozent.

STANDARD: Wie wird Präsident Nicolas Sarkozy, der ja mitten im Wahlkampf steckt, auf den Verlust des AAA reagieren?

Artus: Er wird wahrscheinlich schon diesen Mittwoch angebotsseitige Maßnahmen verkünden. Meiner Einschätzung nach werden die Arbeitskosten gesenkt und die Lasten in Richtung Umsatzsteuer umgeschichtet werden. Frankreich wird jetzt das machen, was Deutschland seit zehn Jahren macht.

STANDARD: Wie beurteilen Sie diese erwarteten Schritte?

Artus: Vor allem kommen sie zu spät. Derartige Strukturreformen in Abschwungzeiten sind sehr hart, sie sollten im Aufschwung erfolgen.

STANDARD: Zurück zu Standard & Poor's: Die Agentur begründet das Downgrade vor allem mit den mangelhaften politischen Lösungen auf Ebene der Eurozone, warum behalten dann außer Deutschland auch die Niederlande, Finnland und Luxemburg das AAA?

Artus: S&P bewertet nicht die Wirtschaft eines Landes, sondern das Risiko für den Käufer einer Staatsanleihe. Und das Risiko französischer oder österreichischer Staatsanleihen ist eben größer als jenes deutscher Papiere, wobei in Österreich nicht die Wettbewerbsfähigkeit, sondern das große Engagement der Banken in Osteuropa, und hier wiederum die im hohen Ausmaß vergebenen Fremdwährungskredite das Problem sind.

STANDARD: Analysten schätzen, dass der Kreditrahmen des Eurorettungsfonds EFSF wegen der Herabstufungen um 170 Milliarden Euro sinkt, sofern der Schutzschirm ein AAA haben soll.

Artus: Der EFSF ist ohnehin tot, somit spielt das keine Rolle. Egal ob EFSF oder ESM (European Stability Mechanism, der permanent wirken soll, Anm.): Sie müssen selbst Geld an den Märkten aufnehmen, um es verleihen zu können. Das wird bei großen Volumina, wie im Fall Italiens erforderlich, nie funktionieren. Der EFSF hat jetzt schon den Zugang zu den Märkten verloren. Er kann langfristig kein Geld aufnehmen. Der Internationale Währungsfonds kreiert hingegen Geld, indem er es von den Notenbanken nimmt. Nur so kann man einer Liquiditätskrise begegnen. EFSF und ESM waren von Anfang an Fehlkonstrukte.

STANDARD: Parallel zu den neuen Problemen kocht das abgehakt geglaubte Sorgenkind Griechenland wieder hoch. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?

Artus: Ich glaube, in Griechenland wird es einen Staatsbankrott geben, also einen Zahlungsausfall nicht nur die Forderungen privater Gläubiger, sondern auch die Hilfskredite und die von der Europäischen Zentralbank gehaltenen Staatsanleihen betreffend. Daher wird die EZB, die 45 Milliarden an griechischen Anleihen hält, eine Kapitalaufstockung benötigen. Ich bin schon sehr gespannt, wie das in Deutschland aufgenommen werden wird, das ein Drittel der Rekapitalisierung aufbringen muss.

STANDARD: Was waren die Fehler?

Artus: Bis jetzt sind sämtliche Hilfsgelder in die Bedienung von Altschulden geflossen, kein einziger Euro in Investitionen. Das ist ein kompletter Nonsens. Wir hätten vor zwei Jahren einen Schuldenschnitt um 80 Prozent machen und erst dann frische Kredite geben sollen. Das wurde leider vom damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet verhindert. Griechenland war nicht wie Italien nur illiquid, sondern insolvent. In solchen Fällen geht es nicht ohne Schuldenrestrukturierung, während Italien dank Primärüberschüssen eben nur Hilfen zur Überbrückung eines Engpasses benötigt.

STANDARD: Italien kann sich offenbar nur refinanzieren, weil die Banken das von der EZB geliehene Geld in Staatsanleihen pumpen. Halten Sie diesen Vorgang für nachhaltig?

Artus: Dabei handelt es sich um eine Umgehung des Verbots der direkten Staatsfinanzierung, die in Deutschland abgelehnt wird. Der derzeitige Weg ist die einzige Möglichkeit, um der Krise zu entkommen. Allerdings ist die Vorgangsweise äußerst gefährlich, wenn sie länger andauert, weil die Banken dann nur noch die Regierungen finanzieren, aber keine Unternehmen und Konsumenten. Wohin das führen kann, sieht man am Beispiel Japans. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 17.1.2012)