S&P-Chef zu Vorwürfen aus Politik und Medien, die Ratingagentur spreche Drohungen gegen Europa aus: "Das ist eine völlig unangemessene Wortwahl, weil die Kommentierung und Veröffentlichung, die wir machen, unsere Meinung zur zukünftigen Zahlungsfähigkeit beschreiben und als solche völlig unemotional sind."

Foto: Lukas Kapeller

derStandard.at: Wo ist aus Sicht von Standard & Poor's der Unterschied zwischen Österreich und den noch vier mit AAA eingestuften Ländern in der Euro-Zone?

Hinrichs: Ratings setzen sich aus verschiedenen Analysebereichen zusammen: politischer, wirtschaftlicher, externer, finanzieller und monetärer Faktor. Wir haben eine Verschlechterung bei fast allen Euro-Staaten im politischen Faktor gesehen: Unterschiede zwischen den AAA gerateten Staaten und Österreich sehen wir in den teilweise schwächeren Ausgangspositionen in anderen Analysebereichen, vor allem im fiskalischen Bereich.

derStandard.at: Europas Medien schreiben seit Monaten von Drohungen von Standard & Poor‘s an Europa oder von Attacken auf die Euro-Staaten. Verstehen Sie das?

Hinrichs: Das ist eine völlig unangemessene Wortwahl, weil die Kommentierung und Veröffentlichung, die wir machen, unsere Meinung zur zukünftigen Zahlungsfähigkeit beschreiben und als solche völlig unemotional sind.

derStandard.at: Mittlerweile haben ja auch die meisten Bürger ihre Meinungen zu Ratingagenturen. Eine lautet, Ratingagenturen würden härter herabstufen als früher, weil man niemandem mehr zu Unrecht ein Triple-A erteilen wolle. Was sagen Sie dazu?

Hinrichs: Diese Aussage ist als solche unhaltbar. In schwierigen Zeiten kommt es zu mehr Herabstufungen als in wirtschaftlich stabilen. Das ist vollkommen logisch. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, dass in jüngster Zeit vergleichsweise mehr Herabstufungen erfolgen, ist zwar richtig. Das ist aber nur bedingt durch das Umfeld, weil wir schon seit mehreren Jahren in der Finanzkrise stecken.

derStandard.at: In der öffentlichen Debatte sind in erster Linie Ihre Länderratings umstritten. Welchen Anteil Ihres Geschäftsvolumens machen eigentlich die Ratings von Staaten, Bundesländern und Kommunen aus?

Hinrichs: Der Anteil von Staatsratings, Bundesländern und Kommunen ist in Europa relativ gering. Der Anteil von Bankenratings, Firmenratings, Versicherungsratings ist bei weitem größer. Ich sage Ihnen auch, warum. Die meisten Staatenratings, die wir in Europa haben, sind so genannte unbeauftragte Ratings. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind gute Beispiele für Länder, wo es kein Vertragsverhältnis mit uns gibt. Aus einem unbeauftragten Rating erzielen wir keine Umsätze.

derStandard.at: Das heißt, Sie könnten aus betriebswirtschaftlicher Sicht doch auf die Länderratings verzichten?

Hinrichs: Das würde ich ungern. Auch wenn der Anteil am Gesamtumsatz jetzt nicht signifikant ist, brauchen wir Länderratings in vielen Bereichen als Ankerpunkt für andere Ratings. Wir bewerten zum Beispiel Firmen, die vom Bund oder vom jeweiligen Bundesland abhängig sind. Auch unsere Bankenratings sind relativ stark abhängig vom Rating des Staates selber, in dem sie operieren. Deswegen brauchen wir die Länderratings, ob sie bezahlt werden oder nicht.

derStandard.at: Aber Sie wissen ja auch, welche Interpretationen aus Ihren Ratings abgeleitet werden ...

Hinrichs:: Glauben Sie, dass die Märkte effizienter funktionieren würden oder weniger volatil wären, wenn unsere unabhängige, objektive Meinung nicht veröffentlicht werden würde? Ich glaube, dass genau das Gegenteil passieren würde. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Wirkung unserer Aussagen auf den professionellen Markt. Unsere Wahrnehmung ist, wir werden heute mehr denn je als unbeeinflusst von politischen, ökonomischen oder sonstigen Interessen gesehen.

derStandard.at: Es gibt aber auch Menschen, die S&P für diese Meinungen haftbar machen wollen.

Hinrichs: Was die Arbeitsprozesse und die Kriterien betrifft, sind wir heute schon in einer Haftung bei den europäischen, aber auch bei den amerikanischen Regulierern. Darüber hinaus gibt es die Meinung, dass wir für die Richtigkeit unserer Ratings haftbar sein sollen. Das kann nicht sein. Erstens geben wir eine zukunftsgerichtete Meinung ab. Zweitens bauen unsere Prognosen auf dem auf, was man heute weiß. Auch Ratings können sich ändern, weil die Welt sich ändert. Wir können nicht dafür haftbar gemacht werden, ob etwas, das wir heute annehmen, in drei Jahren auch so passieren wird oder nicht. Dann wüssten wir auch die Lotto-Zahlen.

derStandard.at: In Frankfurt stehen auch Zelte der "Occupy"-Bewegung. Können Sie den Protest nachvollziehen?

Hinrichs: Ich kann dieses Unbehagen aus der Ohnmacht, etwas verändern zu können, gut verstehen. Ich kann gut nachvollziehen, dass die Zusammenhänge, die zur Euro-Schuldenkrise geführt haben, so komplex sind, dass es der Normalbürger nicht mehr wirklich versteht.

derStandard.at: Wie würden Sie einem der Protestierenden erklären, was ein Rating ist?

Hinrichs: Was wir im Rating abgeben, ist eine Meinung über die zukünftige Fähigkeit eines Schuldners, Zahlungsverpflichtungen und Zinszahlungen pünktlich und vollständig zu bedienen. Generell wird in Ratings mehr hinein interpretiert, als sie aussagen. Ein Rating ist ein Maßstab für zukünftige Bonität.

derStandard.at: Würde sich mehr festgeschriebene, völkerrechtlich bindende Solidarität unter den EU-Staaten bei den Schulden positiv auf die Ratings auswirken?

Hinrichs: Um Ihre Frage andersrum zu beantworten: In Verbünden wie zum Beispiel dem Bundesstaat Deutschland oder dem Bundesstaat Österreich, wo Bund und Länder eng zusammenhängen und relativ klar ist, dass der Bund für die Schulden der Länder am Ende des Tages einspringen wird, gelten andere Regeln als bei einer Gruppierung von Staaten innerhalb der Euro-Zone, die eben nicht diese Regeln untereinander haben. Man sieht an der Art und Weise, wie wir Bundesländer bewerten, dass sie alle relativ dicht beieinander liegen und sich nicht großartig unterscheiden von dem Rating des Bundes. Das trifft auf Österreich genauso zu wie auf Deutschland. Das ist Resultat dieser verfassungsmäßigen Zusammengehörigkeit, die in der Euro-Zone so nicht existiert.

derStandard.at: Sie haben mehrfach betont, dass S&P nie danach getrachtet hat, eine Referenzgröße bei der Euro-Rettung zu sein. Sie haben kürzlich gesagt, die Bemühungen der Politik, den Ratings den offiziellen Charakter durch Bankregulative wie Basel II wieder zu nehmen, würden Sie begrüßen. Das heißt, Sie wollen Ihre starke Position freiwillig aufgeben?

Hinrichs: Ich bin der Meinung, dass die Wertschätzung, die die Märkte Standard & Poor's entgegen bringen, davon abhängig sein soll, wie treffgenau unsere Analysen sind. Die Meinungsführerschaft durch die Qualität unserer Analytik und durch den Track-Record, den wir uns aufgebaut haben, ist der Maßstab, an dem wir gemessen werden wollen - nicht das feste Verankern unserer Ratings in Vorschriften wie zum Beispiel Basel II oder Basel III.

derStandard.at: Allerdings fragt man sich, wie der Weg dorthin aussehen soll. Die Regulierungsvorschriften der Banken nehmen nun einmal Bezug auf Ratings, und die Bonität der Institute wird doch ein zentraler Faktor bleiben?

Hinrichs: Die Frage stellen Sie am besten den Politikern, die diese Forderung stellen. (derStandard.at,16.1.2011)