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Was die Politiker eines Landes repräsentieren, müssen viele Bürger nicht teilen. Hier wurde am 2.1.2012 gegen die Politik der ungarischen Regierung protestiert.

Foto: Reuters/Bernadett Szabo

Budapest - Die internationale Kritik an Ungarn sorgt auch im Land selbst für unterschiedliche Reaktionen. Tausende Rechtsradikale forderten am vergangenen Samstag in Budapest den Austritt Ungarns aus der Europäischen Union. Während die Rechtsradikalen unten auf dem Kalman-Szell-Platz skandierten, strömten oben auf dem Burgberg Besucher zur Ausstellung "Helden - Könige - Heilige", eröffnet aus Anlass des Inkrafttretens der neuen Verfassung am 1. Jänner. Unter den Betrachtern Begeisterung angesichts der "patriotischen Kunst", doch auch Kritik wegen "zu viel Politik in den Werken" meint eine Frau.

Diese Art "nationaler Weg", den die Ungarn fahren, kostet nämlich einen hohen Preis. Obwohl der Schuldenberg massiv auf 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes anwuchs, erklärte Premier Viktor Orban, Ungarn könne auch auf eigenen Beinen stehen ohne Finanzspritzen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU. Doch das finanziell schwer angeschlagene, immer stärker isolierte Land musste einlenken, sonst bleibt der Geldhahn geschlossen, lautet die eindeutige Botschaft aus Brüssel und Washington. Einlenken bedeute Ende des Konfrontationskurses und Änderung verschiedener Verfassungsgesetze, wie das Notenbankgesetz und die Steuergesetzgebung, mit denen Orban IWF und EU verärgert hatte. Das Notenbankgesetz beschneide die Souveränität der Zentralbank, warnte Brüssel und kritisierte, dass das System der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle außer Kraft gesetzt und die Kompetenz des Verfassungsgerichtes bedeutend eingeschränkt wurde. 

Machtspiele sind teuer

Doch Orban zeigte bisher keine überzeugende Entschlossenheit, Gesetze zurückzunehmen. Der Premier demonstrierte zwar Ende vergangenen Woche eine Spur neuer Kompromissbereitschaft, kritisierte jedoch zugleich, er habe bisher "nur politische Meinungen vernommen und keine Argumente". Lenkt Orban nicht ein, steht ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU ins Haus, könnten Gelder aus den EU-Töpfen eingefroren werden, erinnern Finanzexperten. Zugleich könne der IWF die Verhandlungen mit Budapest über einen neuen Kredit auf die lange Bank schieben.

Machtspiele sind teuer, erklärt Peter Juhasz von der Facebook-Seite MILLA (Eine Million für die Pressefreiheit). Der Kurs der ungarischen Landeswährung Forint war dramatisch gefallen, alles würde teurer. Auch der Weg zu der versprochenen eine Million neuer Arbeitsplätze laufe zurzeit in eine Sackgasse. Der 30-jährige Juhasz organisiert gemeinsam mit seinen Freunden zivilen Widerstand gegen "den Abbau der Demokratie" in Ungarn. Immer mehr Menschen würden sich anschließen, immer mehr Nichtregierungsorganisationen miteinander kooperieren, behauptet Juhasz und erinnert an die jüngsten großen Demos vor dem Parlament und der Oper, bei denen Zehntausende Bürger gegen die Regierung Orban protestierten. Dabei hat MILLA nicht einmal ein Büro, sondern ein Cafe dient als Treff. Aber von Demonstrationen lasse sich Orban nicht unbedingt beeindrucken, gibt Juhasz zu. Andere Mittel müssten gesucht werden, um Orban zu stoppen. 

Orban fürchtet protestierende Arme

Bisher demonstrierten Bürger aus Sorge um die Demokratie des Landes. Noch nicht auf die Straße gezogen sind hingegen jene Menschen, die Unentschlossenen, die mit finanziellen Nöten kämpfen. Dieses Potenzial könnte dazu beitragen, dass die Demonstrationen gegen die Regierung Orban einen immer stärkeren Massencharakter erhalten.

Laut Meinungsumfragen hat die über eine bequeme Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügende Regierungspartei Fidesz-MPSZ massiv an Popularität verloren, soll nur noch 16 Prozent der Stimmen erhalten, wären heute Wahlen. Zugleich seien 84 Prozent der Bürger unzufrieden mit der Regierung Orban. Experten beanstanden eine irrationale Wirtschaftspolitik, die Ungarn in eine immer größere Schuldenfalle treibe. Selbst Fidesz-nahe Experten warnen vor den Folgen der - von der Regierung selbst so bezeichneten - "unorthodoxen" Wirtschaftspolitik, fordern eine grundlegende Wende und eine Einigung mit IWF und EU. All diese Besorgnisse werden vor einem Hintergrund formuliert, auf den das Bild des Staatsbankrotts mit immer festeren Strichen gemalt wird.

Griff in die Staatskasse?

Orban habe einen Plan B, erhalte er keinen Kredit von IWF und EU, meinen Politologen. Er könnte zur Sanierung des Budgets auf die Devisenreserven der Notenbank zurückgreifen, wird spekuliert. Im Frühjahr muss Ungarn viel Geld refinanzieren. Doch die Staatsanleihen der Donaurepublik sind nicht gefragt, vor allem nachdem das Land von den Ratingagenturen auf Ramschniveau herabgestuft wurde.

Die Ereignisse in Ungarn werden international als "besorgniserregend" bezeichnet, Demokratie und Rechtsstaat seien in Gefahr. Darauf weisen mehrere Briefe hoher internationaler Vertreter hin, so von US-Außenministerin Hillary Clinton und dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso. Barroso hat nach eigener Aussage Orban davor gewarnt, die kritisierten Gesetze zu verabschieden. Am Dienstag entscheidet nun Brüssel, ob ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen Ungarn eingeleitet wird und sich die Kommission für ein entschlossenes Vorgehen gegen die Regierung Orban entscheidet. Konkret prüft die EU-Kommission die Unabhängigkeit der ungarischen Justiz, der nationalen Notenbank und der Datenschutzbehörde. (APA)