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Erste Aufnahmen aus dem Inneren der havarierten "Costa Concordia".

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Aufgrund schlechter Wetterbedingungen wurde die Suche nach vermissten vorübergehend unterbrochen.

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Mehr als zwei Tage nach dem schweren Unglück des Kreuzfahrtsschiffs werden noch 16 Personen vermisst.

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Francesco Schettino, der Kapitän des Kreuzfahrtsschiffs, wird von der Polizei abgeführt. Er soll schwere Beurteilungsfehler gemacht haben.

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Giglio - Nach dem Kreuzfahrtschiff-Unglück vom Freitagabend haben sich die Vorwürfe gegen den Kapitän der "Costa Concordia" erhärtet. Hunderte Zeugen, darunter Passagiere und Mitglieder der Rettungsteams, wurden vernommen. Fest stehe, dass Kapitän Francesco Schettino das Schiff verlassen habe, als sich noch viele Passagiere an Bord der Costa Concordia befanden, sagte der Oberstaatsanwalt der toskanischen Stadt Grosseto, Francesco Verusio. Der Kapitän war am Samstag festgenommen worden, als Grund nannte Verusio nach Angaben von Medien Fluchtgefahr.

Die Reederei Costa Crociere, Betreiber der "Costa Concordia", warf dem Kapitän "Fehlentscheidungen" vor. Er habe sich nicht an Bestimmungen gehalten. "Die Route des Schiffs führte offenbar zu nahe an der Küste vorbei, wobei sich die Einschätzung des Kapitäns für einen Notfall nicht mit den von Costa vorgegebenen Standards deckte", heißt es in einer Presseaussendung der Costa Crociere. Schettino sei 2002 als Sicherheitsoffizier zu Costa gekommen und 2006 zum Kapitän ernannt worden.

Mögliches Verfahren wegen fahrlässiger Tötung

Dem Kapitän droht unter anderem ein Verfahren wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung. Berichten zufolge soll er das Schiff so dicht an die Insel herangesteuert haben, um Touristen im Hafen mit dem Signalhorn grüßen zu können. Medienberichten zufolge soll der Kapitän mehrfach von der Küstenwache aufgefordert worden sein, wieder an Bord zu gehen, um die Evakuierung seines Schiffes zu koordinieren. Dies habe er jedoch nicht getan. Auch einen "SOS"-Ruf soll es nicht gegeben haben.

Nach einigen Berichten war Schettino schon fünf Stunden vor Ende der Evakuierungsaktion an Land. Der Kapitän behauptete jedoch, er habe als letzter das Schiff verlassen. "Der Kapitän ist bestürzt, konsterniert und erschüttert. Sein Trost ist, dass er in dieser schwierigen Situation ruhiggeblieben ist, um das Schiff bis zu einem Punkt zu führen, an dem der Meeresboden niedriger war. Somit konnte er viele Menschenleben retten", berichtete Schettinos Rechtsanwalt Bruno Leporatti. Schettino stehe unter psychologischer Betreuung und unter ständiger Aufsicht.

Einzelheiten zum Hergang des Unglücks erhofft man sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffes, die ähnlich wie in Flugzeugen die Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet.

Ermittlungen gegen drei weitere Offiziere

Die Staatsanwaltschaft der toskanischen Stadt Grosseto hat Ermittlungen gegen weitere drei Offiziere der "Costa Concordia" aufgenommen. Ihnen wird Mitverantwortung bei der Schiffskatastrophe vorgeworfen, bei der mindestens sechs Personen ums Leben gekommen sind. Die Offiziere werden außerdem verdächtigt, wie Kapitän Francesco Schettino das Schiff verlassen zu haben, als sich noch viele Passagiere an Bord der "Costa Concordia" befanden. Auch der Erste Offizier, Ciro Ambrosio, wurden am Samstag wegen Fluchtgefahr festgenommen.

Suche wegen Schlechtwetters unterbrochen

Montagvormittag verschlechterten sich die Wetterbedingungen vor der Insel Giglio. Die Costa Concordia begann, sich sichtbar zu bewegen. Daraufhin wurde aus Sicherheitsgründen beschlossen, die Suche nach Überlebenden im Wrack vorübergehend auszusetzen. "Wenn sich das Schiff weiterhin bewegt, besteht höchste Gefahr für die Taucher", erklärte Umweltminister Corrado Clini.

Nach neuen Angaben der italienischen Küstenwache werden noch 29 Menschen vermisst. Es gebe bisher kein Lebenszeichen von 25 Passagieren und vier Crewmitgliedern, sagte Küstenwachenchef Marco Brusco am Montagabend im Fernsehsender RAI Uno. Nach seinen Angaben sind zehn Deutsche und sechs Italiener unter den Vermissten. Zuvor hatte die Polizei die Zahl der Vermissten mit mindestens 16 angegeben, darunter elf Deutsche. Sechs Menschen wurden bisher tot geborgen.

Aus Deutschland werden offenbar ein Paar aus Berlin, ein Paar aus Nordrhein-Westfalen sowie fünf Senioren aus Hessen und zwei Frauen aus Baden-Württemberg vermisst.

An Bord hatten sich auch 77 Österreicher befunden, die alle unverletzt davonkamen. Nach einer Wetterbesserung konnte die Suche wieder aufgenommen werden.

Bei zwei zuletzt aus der havarierten und auf der Seite liegenden "Costa Concordia" geborgenen Toten handelt es sich Medienberichten zufolge um einen Italiener und einen Spanier. Am Montag in der Früh berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA von der Bergung eines weiteren Opfers. Damit stieg die Zahl der bestätigten Todesopfer auf sechs.

Neben den Wetterbedingungen wird die Suche vor allem durch die extreme Schräglage des 290 Meter langen Schiffes sowie blockierte Türen und Treppenhäuser erschwert. "Wir hoffen weiter, Überlebende zu finden", sagte Küstenwacht-Kapitän Cosimo Nicastro dem Sender tgcom24. Zuletzt lebend geborgen war ein an den Beinen verletztes Besatzungsmitglied worden. Der Offizier Marrico Giampetroni hatte in einem teilweise gefluteten Bereich des Schiffes ausgeharrt. "Ich habe einen 36-stündigen Alptraum durchlebt", sagte er nach seiner Rettung.

Kampf gegen Umweltkatastrophe

Nach einem Abschluss der Such- und Bergungsaktion wird vor allem die Frage nach möglichen Umweltbelastungen für die knapp 2300 Tonnen Dieselöl in den Tanks der "Costa Concordia" in den Vordergrund treten. Spezialisten sind bereits auf der Insel, und der italienische Umweltminister Corrado Clini hat für diesen Montag eine Gruppe von Fachleuten nach Livorno eingeladen, um das Problem zu erörtern. Die Sorge wuchs, dass das Schiff zur Gänze sinken könne - was das Abpumpen des Öls sehr erschweren würde.

Auch Vorbereitungen für ein Leerpumpen der Öltanks der "Costa Concordia" wurden in die Wege geleitet. Die niederländische Bergungsfirma Smit sei vom Eigner und dem Versicherer des Kreuzfahrtschiffs mit den Pumparbeiten beauftragt worden, sagte ein Sprecher des Smit-Mutterkonzerns Boskalis Westminster am Sonntag.

Umweltminister: "Gefahr für Giglio enorm"

Das zuständige Hafenamt in Livorno hat die Kreuzfahrtgesellschaft in einem Mahnschreiben aufgefordert, unter Berücksichtigung der noch laufenden Suchaktionen "das Schiff zu sichern und abzuschleppen". Offen ist, ob es etwa bei stürmischer See weiter abrutschen könnte.

"Die Umweltgefahr für die Insel Giglio ist enorm", sagte der italienische Umweltminister Corrado Clini am Montag. Man versuche alles, um das Auslaufen des Treibstoffs zu verhindern. Es sei ein Wettlauf gegen die Zeit. "Sehr, sehr besorgt" gab sich auch Costa-Crociere-Chef Pier Luigi Foschi.

Regierung will Notstand ausrufen

Die Regierung Monti will den Notstand in dem von der Katastrophe betroffenen Gebiet ausrufen. Dadurch soll schnelle Hilfe ermöglicht und Geldmitteln zur Verfügung gestellt werden, berichtete Umweltminister Corrado Clini. Der Notstand soll bei der nächsten Ministerratsitzung in den nächsten Tagen ausgerufen werden.

"Wir planen Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr, dass Dieselöl aus den Tank des Schiffs läuft. Wir rennen gegen die Zeit. Wir müssen verhindern, dass Öl ins Meer läuft", berichtete der Minister. Hubschrauber der italienischen Küstenwachse hätten einige Ölflecke rund um das Wrack gesichtet.

Nationalpark betroffen

Bei Greenpeace Italien beobachtet man die Situation mit großer Sorge. Das Unglück passierte in einem Nationalpark, in dem das Meer zwar nicht unter Schutz stehe, sehr wohl aber die Küstenabschnitte, sagte der italienische Kampagnenchef Alessandro Gianni, dem Standard. Zudem würden in dem Gebiet mehrere Wal- und Delfinarten leben. Trete Öl aus, hätte das "große Auswirkungen" auf die Umwelt.

Zum Vergleich: Nach der Havarie des im Herbst vor Neuseeland havarierten Frachters Rena waren rund 360 Tonnen Öl ausgelaufen. 70 Kilometer Küste seien dabei verschmutzt und 20.000 Vögel betroffen gewesen, erinnert Gianni. "Wenn das Öl der Concordia ausläuft, haben wir eine weit größere Katastrophe."

Toxische Stoffe an Bord

Das Abpumpen des Schweröls ist aber ein schwieriges Unterfangen. Das Öl müsste laut Gianni erhitzt werden, um flüssig genug und abpumpbar zu sein. Abgesehen vom Öl bestehe auch durch diverse toxische Stoffe an Bord oder durch im Wasser schwimmende Schiffstrümmer eine Gefahr für Natur. Greenpeace Italien plädiert dringend dafür, das Schiff unbedingt zu bergen und nicht am Meeresgrund liegen zu lassen.

Großschaden für Rückversicherer

Den weltweit drittgrößten Rückversicherer Hannover Rück kostet die Havarie laut einer Sprecherin des Unternehmens mindestens 10 Millionen Euro, was intern als "Großschaden" eingestuft wird. Der Schiffseigner Carnival bleibt nach eigenen Angaben auf einem Schaden von 85 bis 95 Millionen Dollar (bis zu 74,4 Millionen Euro) sitzen, weil die vor der italienischen Küste gesunkene "Costa Concordia" voraussichtlich das ganze Jahr nicht einsetzbar sein werde. Das Schiff ist nach Angaben des Eigentümers mit einem Selbstbehalt von 30 Millionen Dollar versichert.

Auch die Anleger reagierten am Montag auf das Unglück: Die Carnival-Titel fielen in der Spitze um knapp 29 Prozent auf ein Zweieinhalb-Jahrestief. Dabei wechselten binnen der ersten Handelsstunde fast viermal so viele Aktien den Besitzer wie an einem gesamten Durchschnittstag. Die Titel notierten im Verlauf noch knapp 18 Prozent im Minus. (APA/red, spri, derStandard.at, 16.1.2012)