Wien - Die "Personalisierte Medizin" ist nicht unbedingt eine Erfindung der jüngsten Vergangenheit. "In der antiretroviralen Therapie bei HIV-Infektionen wurde zunehmend eine personalisierte Behandlung entwickelt. Immerhin haben wir schon fünf verschiedene Wirkstoffklassen und rund 30 verschiedene Medikamente, die gegen HIV wirken", sagte bei dem Symposium der Österreichischen Akademie und der Deutschen Akademie der Wissenschaften am Freitag in Wien der Schweizer Aids-Forscher Giuseppe Pantaleo (Universität Lausanne).

Was bei der Behandlung der Immunschwächekrankheit durch eine beim einzelnen Patienten möglichst passende Medikation möglich ist, so der Experte: "Die Sterblichkeit durch Aids ist um 75 Prozent zurückgegangen. Eine wirksame Therapie bedeutet eine um 96 Prozent reduzierte Übertragungsrate (auf nicht infizierte Partner via sexuelle Kontakte, Anm.). Allerdings, die mit der Infektion einher gehende ständige Aktivierung der T-Zellen (Lymphozyten, Anm.) und die Entzündungsreaktion bleibt erhalten." Diese chronische Entzündung bei HIV-Infizierten dürfte auch die größere Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebsleiden erklären.

Mit Penicillin gezielt gegen Keime

"Wir starteten bei einer intuitiven Medizin. Dann gelangten wir zur Evidence Based Medicine, die Krankheiten nach gemeinsamen Symptomen klassifiziert und auf statistischen Untersuchungen beruht, wer im Durchschnitt besser (oder schlechter, Anm.) abschneidet. Aber wir wussten nicht, welcher Patient das sein würde. Jetzt kommen wir zu reproduzierbaren Prognosen", sagte Boris Bastian, Professor für Krebsbiologie der Universität von Kalifornien. Man sollte aber die neue Entwicklung auch nicht überbewerten: "Schon Penicillin war die erste gezielte Therapie - bei Infektionen. Man hat ja auch gegen bestimmte Keime und nicht gegen die (bei der Infektion, Anm.) auftretende Hautrötung behandelt."

Durch die "Personalisierte Medizin" als "Präzisionsmedizin" dürfte es aber auch zu einer teilweise völlig neuen Einteilung von Erkrankungen kommen, die in - genetisch oder epigenetisch - unterschiedliche Krankheitsformen zerfallen. Dies ist ähnlich der Entwicklung in der Zoologie und Botanik in den vergangenen Jahren, wo die Erbgut-Sequenzierung ebenfalls alte Klassifizierungen nach Aussehen etc. zum Teil deutlich verändert hat.

Einfluss auf die Melanom-Therapie

Bastian nannte hier das Melanom als Beispiel: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kennt hier in ihrer Krankheits-Klassifizierung derzeit 14 verschiedene und zum Teil überlappende Krankheitsformen. Die Tumorgenetik bringt hier völlig neue Erkenntnisse. Der Experte: "Es gibt offenbar zwei verschiedene Typen von Melanozyten (pigmentbildende Hautzellen, Anm. Red.), aus denen Melanome entstehen können." Melanozyten aus oberen Hautschichten oder zum Beispiel in Unterhautgewebe oder im Umfeld von Nerven wären wahrscheinlich unterschiedliche Formen.

Solche Unterscheidungen beeinflussen bereits die Melanom-Therapie: Bei Patienten, bei denen der Tumor eine bestimmte Mutation im BRAF-Gen aufweist, hilft ein neues und speziell dafür entwickeltes Medikament (Vemurafinib) im überwiegenden Teil der Fälle. Tumoren mit Mutationen im KIT-Gen wiederum sprechen auf Vemurafinib nicht an, hingegen auf die Substanz Imatinib, welche in den vergangenen zehn Jahren die Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML) revolutioniert hat. Dies beweist, dass die Personalisierte Medizin in der Krebstherapie auch Gemeinsamkeiten sonst ausgesprochen unterschiedlicher Erkrankungen identifizieren kann. Das wird wohl auch herkömmliche Therapiekonzepte verändern.

Doch, nicht alles, was die Molekularbiologen und Genetiker bei Tumorerkrankungen an Mutationen finden, ist auch relevant. Bastian: "Bei Melanomen gibt es rund 30.000 verschiedene Genveränderungen. Es wird in der Zukunft eine Herausforderung sein, die den krebsverursachenden Mutationen und die bloßen 'Trittbrettfahrer' zu identifizieren." (APA)