Sauerkraut zu machen ist für mich ein Experiment mit längerer Vorgeschichte. Als kleines Kind habe ich beim Baden am Kaiserwasser kein Eis bekommen, sondern eine Salzgurke vom Salzgurkenverkäufer, der allnachmittäglich seine Runden auf der Wiese drehte. Vielleicht habe ich daher eine etwas emotionalere Beziehung zu eingelegtem Gemüse als andere Leute.

Einlegen macht aus einer etwas faden, weil alltäglichen, Karotte oder Gurke eine kleine Köstlichkeit, manches, wie die Olive, macht es überhaupt erst genießbar. Gut Eingelegtes ist eine herrlich befriedigende Vorspeise, die einzig sinnvolle Begleitung zu der Welt bestem Pastrami-Sandwich oder macht aus Wurst- und Käseresten ein rundes Essen. Und es ist die logischste Antwort auf die idiotische Unausgewogenheit des mitteleuropäischen Klimas, das monatelang fast gar nichts wachsen lässt, dann aber in einigen wenigen Wochen so viel, dass man unmöglich mit dem Essen nachkommt.

Während aber jeder Kochverweigerer hin und wieder Pasta-Sauce selber macht, Gelegenheitsköche plötzlich Kekse backen, sobald es kalt wird und Motivierte hin und wieder Nudeln selber walken, legt niemand, den ich näher kenne, zu Hause Gemüse ein. Sogar die Restaurants drücken sich meist – was schade ist.

Nun ist der Winter nicht der perfekte Zeitpunkt, um mit dem Einlegen zu beginnen. Trotzdem habe ich vor ein paar Wochen aus Ungeduld und Gier vor ein paar Wochen unter anderem das Ball Complete book of Home Preserving und Liana Crissofs "Canning for a new Generation" gekauft. Die Dame hat sich vorgenommen, dem Einlegen und -kochen seinen schlechten Ruf als Beschäftigung alter Leute, Verrückter und Einsiedler zu nehmen – in einer kleinen New Yorker Wohnung – was zumindest von den Platz-Voraussetzungen meinem Projekt recht nahe kommt. Begonnen habe ich dann aber nicht mit Salzgurken, sondern einem der wenigen Gemüsesorten, die es derzeit gibt: Kraut.

Mit diversen Würsten, Speck und Fleisch ganz weich gedünstet, am besten ein bisschen süß und karamellisiert, ist es ein herrliches Winter-Wohlfühl-Essen. Nun gehört es zugegebenermaßen zu den wenigen Einlege-Gemüsen, die man wirklich oft, teils auch sehr gut, kaufen kann. Dafür entsteht es durch Milchsäure-Gärung, und die ist die Basis für diverse Einlegereien. Die Technik kennen zu lernen kann also nicht schaden, zumal sie fast enttäuschend einfach klingt: Das Kraut wird drei Wochen in Salzlake vergoren. Das wars. Theoretisch.

Tobias Müller

Anfänglich ist das Sauerkrautmachen ja ganz harmlos: Zuerst werden die äußeren Blätter des Krauts entfernt, der Kopf geviertelt und der Strunk entfernt.

Tobias Müller

Dann wird es klein geschnitten und mit je zwei Esslöffeln Salz pro Kilo eingesalzen. Dann wird es komplizierter.

Tobias Müller

Um die Flüssigkeit zu bekommen, in der das Kraut gären soll, wird es normalerweise mit den Füßen gestampft. Was nur in großen Fässern oder Bottichen geht, nicht aber in meinem Topf. Ich habe an meinem Vier-Kilo-Kraut gute zwei Stunden geknetet, am nächsten Tag hatte ich einen unangenehmen Bauchmuskelkater, trotzdem habe ich nicht genug Flüssigkeit aus dem Kraut bekommen. Ich habe es gepresst wie Schneebälle, mit dem Handballen gewalkt wie Nudelteig und mit beiden Händen gewunden wie ein nasses Handtuch.

Dazwischen habe ich es mit der Faust gestampft und gequetscht, nur auf die naheliegende Idee, den Erdäpfel-Stampfer zu nehmen, bin ich zu spät gekommen. Am Ende musste ich Lake (ein Liter Wasser, 50 Gramm Salz) zugießen, das nächste Mal würde ich das eine halbe Stunde früher tun. Zudem empfiehlt es sich, jeden Krautkopf für sich zu drücken, weil es sonst unhandlich wird.

Tobias Müller

Fertig gepresst wird das Kraut etwa mit einem Teller unter Wasser gedrückt, der Teller wiederum wird beschwert, beispielsweise mit einem mit Wasser gefüllten Plastiksackerl. An einem nicht zu kalten (mindestens 16 Grad, sonst gärt es nicht ordentlich), nicht zu warmen (höchstens 23, sonst gedeiht Unerwünschtes) Ort (Wohnzimmer) wird es nun drei Wochen stehen gelassen, nur hin und wieder soll der Schaum, der sich beim Gären bildet, abgeschöpft werden. Ich habe das für recht stressfrei gehalten, bis ich die Kahmhefe entdeckt habe.

Tobias Müller

Anfangs habe ich sie für ordinären Schimmel gehalten und mich kurz damit abgefunden, alles wegwerfen zu müssen. Tatsächlich ist sie zwar ein Pilz, wohl aber nicht weiter schädlich. Sie kann entstehen, wenn das Sauerkraut beim Vergären nicht luftdicht abgeschlossen ist wie im Gärfass, sondern eben im Topf steht. Meine Einlege-Bücher und der große Larousse haben mir die Kahmhefe verschwiegen, erst ein deutsches Grillforum sorgte für Aufklärung. Was genau die Hefe macht, darüber sind sich die Quellen nicht einig. Laut manchen soll sie den Geschmack verderben und muss daher regelmäßig entfernt werden.

Foto: Tobias Müller
Am Tag vier, als ich sie das erste Mal entdeckte, waren es bloß zwei, drei kleine, weiße Punkte. Am Tag sechs habe ich bereits einen ordentlichen Film abgeschöpft, zudem hat der Topf erstmals nicht frisch, sondern etwas scharf-medizinisch gerochen, als ich ihn geöffnet habe. Ich überlege derzeit, großflächig abzuschöpfen und die Flüssigkeit mit Klarsichtfolie zu bedecken, um dem Hefe-Wachstum etwas Einhalt zu gebieten.
Wenn dieser Text online geht, gärt das Kraut seit neun Tagen, gegessen werden kann es frühestens nach 14. Ich werde berichten, ob es soweit gekommen ist. Wenn Sie sich mit Kraut auskennen: Posten Sie! (derStandard.at, 15.1.2012)