Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/ Michael Crabtree

In Wien gibt es ein paar Hundert Personen, die keine Unterkunft haben. Für sie wird nach Betreuungsangeboten gesucht. Am wirkungsvollsten erwies sich Streetwork, um unterstandslose Alkoholiker, psychisch Kranke oder verängstigte Menschen zu erreichen.

***

Wien - "Darf ich da rauchen?" Peter nestelt ungeduldig an seiner Hosentasche. "A Tschick wär' jetzt schon gut", meint auch Karin. Die beiden sitzen im Fond des Caritas-Betreuungswagens. Sozialarbeiterin Doris ist zweimal die Woche auf Nachtstreetwork unterwegs. Sie hat die beiden Obdachlosen überzeugen können, wie gut eine frische Dusche und ein Kleidungswechsel täten. Doris erlaubt das Rauchen im Wagen. "Aber bitte passt's mir auf. Nicht dass alles dreckig wird", bittet sie. "Ja eh, eh klar." Peter ist trotz seines scheinbar ungeregelten Lebenswandels bereit zur Disziplin. Er pafft zufrieden. Karin zieht kräftig durch.

Für Sozialarbeiterin Doris ist es ein Erfolg, dass die beiden mitgefahren sind, um sich im Caritas-Betreuungszentrum "Gruft" frisch einkleiden zu lassen. Sie kennt Karin und Peter seit langem. Die beiden schlafen meist am Wiener Franz-Josefs-Bahnhof, in alten Waggons. Oder in Nischen, die nur Obdachlose kennen.

Als "gescheiterte Existenzen" würde der Volksmund die beiden bezeichnen. Karin trinkt. Ehekatastrophe. Irgendwann stand sie auf der Straße. Seit Monaten bemühen sich Sozialarbeiter um die Annullierung der Ehe. Für die Formalitäten hält die Gruft als Adresse her. "Ich will was machen, ich will hier weg", beteuert Karin. Immer wieder bricht das aus ihr raus. "Das ist ja kein Leben. Ich stinke", ätzt sie. Dass sie auf der Straße lebt, dass packt sie noch. Aber dass sie stinkt, das tut weh. So tief führt kein sozialer Abstieg, dass mangelnde Sauberkeit nicht an der Würde kratzt.

Nur sehr behutsam kann Doris "Fälle" wie Karin angehen. Doris selbst ist vor ein paar Jahren bei einem Praktikum bei der Caritas hängen geblieben. Seither ist sie draußen unterwegs, um Leute wie Peter, den spitzbübischen Walter oder Karl ("I hob a super Platzl im Prater") zu betreuen. Während Karin und Peter sich unter der Dusche schrubben, schaut Doris in den Esterhazy-Park, gleich ums Eck. Das Packerl Tschick hat sie schon in der Hand, das gehört zum Anbahnungsrepertoire.

Fußballmeisterschaft

Beim Flakturm hocken ein paar Männer und eine Frau. Das Pärchen mit den zerschlissenen Kleidern lallt laut. Doris beachtet sie kaum, sondern plaudert mit zwei Männern. "Gibt's was? Kommt's ihr mit zum Fußballspiel?" So kurios es klingen mag: Es gibt so was wie die Obdachlosenmeisterschaft. Sozialarbeiter organisieren Fahrten zu den Spielen. Einzige Bedingung: ein paar alkfreie Tage.

Solche Angebote sind Teil der Strategie, um obdachlose Menschen wieder zu stabilisieren. Mit derlei Angeboten, insgesamt zahlt die Stadt Wien pro Jahr 470.000 Euro für die Caritas-Obdachlosenhilfe, bekommen sie soziale Kontakte, können sich auf etwas freuen. Das sind wichtige Voraussetzungen, damit diesen Menschen die Rückkehr ins "normale" Leben möglich wird. Manche wollen diese Rückkehr gar nicht, Fußball ist trotzdem eine Gaudi.

Zurück in der Gruft, sucht Doris nach Karin. Die trocknet ihre Haare. Eine Wunde am Fuß ist frisch verbunden. "Das ist gut", seufzt sie. Ihre Würde steckt in sauberen Kleidern. Sie will noch am selben Abend zurück zum Franz-Josefs-Bahnhof. Karins Weg ins normale Leben ist noch weit. (Andrea Waldbrunner/DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2003)