"Ideologische Zeit": künstlerische Reflexionen über sozialistische Regimes des 20. Jahrhunderts.

Foto: Herwig Höller

Einer modernistischen Szene und insbesondere dem Kollektiv Neue Slowenische Kunst (NSK) ist es zu verdanken, dass radikale Kunst in der nördlichsten Republik des damaligen Jugoslawien eine bemerkenswerte Wirkungsmächtigkeit entfalten konnte. In den 1980er- Jahren setzte die Industrial-Band Laibach auf Dauerprovokation, 1987 schrieb die NSK-Designabteilung Novi Kolektivizem mit dem "Posterskandal" landesweite Schlagzeilen: Die Künstler hatten einen staatlichen Wettbewerb für ein Poster zum Tag der Jugend gewonnen, dabei jedoch ein leicht modifiziertes Sujet aus dem Dritten Reich verwendet.

1991 erklärte Slowenien seine Unabhängigkeit. Nach kurzen Kämpfen zog die jugoslawische Volksarmee ab und verließ ihre slowenischen Kasernen - darunter auch jene an der MetelkovaStraße in Ljubljana (Laibach). Der Teil des Areals avancierte in den Neunzigern zum wichtigsten Zentrum der autonomen Kulturszene des Landes.

Auch größere Kulturtanker zog es dorthin: Nach dem Ethnografischen Museum wurde nach langen Vorbereitungen kürzlich auch das Museum für zeitgenössische Kunst Metelkova (MSUM) eröffnet, das formal ein Bestandteil der staatlichen Moderna Galerija ist.

Architektonisch tritt das MSUM bescheiden auf, es ist in einem überschaubaren Gebäude aus dem 19. Jahrhundert mit einem Zubau untergebracht. Punkten will man mit intelligenten Ausstellungen, die insbesondere auch aus einer beachtenswerten Sammlung südost- und osteuropäischer Nachkriegskunst schöpfen: Die slowenische Moderna war international die erste größere Institution, die seit den Neunzigern systematisch Kunst aus der Region erwarb.

Parallel konstruierte die NSK-Kunstfraktion Irwin eine neue, gemeinsame Kunstgeschichte des ehemals sozialistischen Ostens. Diese East Art Map, kommt prominent in der Eröffnungsschau Gegenwart und Gegenwärtigkeit vor.

Das Kuratorenteam um Moderna-Direktorin Zdenka Badovinac geht für seine erste größere Sammlungspräsentation von unterschiedlichen Zeitkonzepten aus. In Kriegszeit wird der Ort zunächst historisch verankert, Dokufotos von Tone Stojko berichten von der Staatswerdung, die das Museum in einer Kaserne letztendlich erst möglich gemacht hat. Kontrastiert wird die Historie Sloweniens mit Lustmord von Jenny Holzer: Die US-Konzeptkünstlerin reagierte Mitte der Neunzigerjahre auf die Massenvergewaltigungen des Bosnienkrieges. Ihre Fotoserie zeigt fiktive Rechtfertigungen von Vergewaltigern, die auf die Haut geschrieben wurden. Auf sozialistische Regimes des 20. Jahrhunderts verweisen im Abschnitt Ideologische Zeit berühmte Arbeiten der osteuropäischen Kunstgeschichte wie der skandalöse "Tag der Poster" oder die Lenin-Coca-Cola-Pop-Art des Sowjetkünstlers Aleksandr Kosolapow, der seinerzeit im New Yorker Exil lebte.

Auch jenseits der Sammlung ist das MSUM international bestens vernetzt. Unter dem Label L'Internationale - eine Kooperation mit Museen in der Slowakei, den Niederlanden und Spanien - präsentiert sich ein temporäres Museum der Affekte. Europäische Nachkriegskunst wird hier auf ihre Fähigkeit abgeklopft, Unterschiedlichstes anzusprechen, etwa das Verlangen nach sozialem Wandel zum Ausdruck zu bringen wie zum Beispiel in Diskrimierung von Frauen der spanischen Künstlerin Eulàlia Grau. Sie dokumentierte in den späten Siebzigern mit ihrer Fotoserie untergeordnete Rollen von Frauen.

Mit einem seiner zentralen Werke ist Wladimir Kuprijanow präsent. Der Doyen der Moskauer konzeptuellen Fotokunst verstarb vor wenigen Wochen im 57. Lebensjahr. In Erinnerung an Puschkin (1984) zeigt nüchterne Schwarz-Weiß-Porträtfotos von Angestellten einer Telefongesellschaft, die mit Versen des russischen Nationaldichters Aleksandr Puschkin kombiniert werden. Es ist eine Poesie des Alltags, die aus diesen Gesichtern spricht. (Herwig Höller, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Jänner 2012)