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Ein Banner einer Demonstration vor dem Justizpalast in Istanbul am 26. Dezember.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Der frühere türkische Armeechef Ilker Başbug sitzt jetzt in einer Einzelzelle im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri und also praktisch um die Ecke von den ebenfalls des Staatsumsturz bezichtigten Journalisten Ahmet Şik und Nedim Şener. Der kleine Unterschied: Die beiden investigativ arbeitenden Reporter haben die verschwörerischen Aktivitäten des angeblichen Geheimbunds Ergenekon mitaufgedeckt, bis sie auf die verhängnisvolle Idee kamen, auch einmal den politischen Islam in Polizei und Wirtschaft unter die Lupe zu nehmen. Ilker Başbug dagegen saß nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gemeinsam mit so manch anderem General dem Geheimbund vor.

Allerdings hat es sich so gefügt, dass Şiks erste Erklärung vor Gericht nach zehn Monaten Untersuchungshaft genau auf den Nachmittag fiel, an dem Başbug sich vor einem anderen Richter um Kopf und Kragen redete und anschließend den Festnahmebefehl erhielt. So wendete sich die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit umgehend von den für Staat und Justiz durchaus unangenehmen Einlassungen Şiks ab.

Şik wird zusammen mit Şener, acht Journalisten des Internetnachrichtenportals Odatv und vier weiteren Publizisten in Istanbul der Prozess gemacht. Der 41-Jährige war im März 2011 verhaftet worden. Aufsehen erregte vor allem der Umstand, dass die Polizei sein Buchmanuskript „Die Armee des Imam" konfiszierte und dabei auch Festplatten auf Redaktionscomputern löschte. Die Buchfassung überlebte trotzdem und wurde vergangenen November unter dem Titel „000Kitap" auf der Istanbuler Buchmesse präsentiert. Şik soll das Buch, in dem er die Unterwanderung der türkischen Polizei durch das Netzwerk des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen beschreibt, im Auftrag von Ergenekon und unter Anleitung des Odatv-Chef Soner Yalcin geschrieben haben. Şik wies das bei seiner Erklärung vor Gericht als Unsinn zurück. Er ist seit 20 Jahren Journalist, ehemaliger Polizeireporter bei der Kemalistenzeitung Cumhuriyet, innenpolitischer Journalist bei der liberalen Tageszeitung Radikal, bis diese ihn angeblich wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten in der Redaktion hinauswarf, und Dozent für Journalismus an der Istanbuler Bilgi-Universität.

Şik präsentierte sich vergangenen Donnerstag vor Gericht zunächst als politisch unabhängiger aufklärender Journalist und distanzierte sich von den Presseschreibern sowohl der 1990er-Jahre, die im Dienst des Militärs und des Staates standen und in ihren Berichten die Übergriffe an der kurdischen Zivilbevölkerung zu Anti-Terroroperationen verdrehten, wie der Kommentatoren der Erdogan-Jahre seit 2002, die als Sprachrohr von Polizei und Regierung fungieren.

Drei Punkte scheinen mir in seiner einstündigen Erklärung bemerkenswert:

1. Der Kern der Anklage gegen Şik - ein 86 Wörter langer Satz, in dem das Adjektiv „angeblich" nicht weniger als neun Mal vorkommt - klingt schon so schwindlig, dass das ganze Verfahren gegen die Journalisten rasch eine absurde und für den türkischen Staat außerordentlich peinliche Entwicklung nehmen kann. Die Frage ist, ob Richter Mehmet Ekinci dann zu einer für die Justiz irgendwie Gesicht wahrenden Verurteilung der Angeklagten schreitet, schon allein um die lange Untersuchungshaft zu rechtfertigen; oder aber, ob der Richter dem Spuk bei offensichtlicher Haltlosigkeit der Vorwürfe ein rasches Ende bereitet.
Şik verwendete einen Gutteil seiner Erklärung vor Gericht dazu, den zentralen Vorwurf der Staatsanwaltschaft als sinnlos darzustellen: Notizen in seinem unfertigen Buchmanuskript „Die Armee des Imam" sind normale Begleiterscheinungen eines Schreibprozesses und kaum Direktiven der (angeblichen) Geheimorganisation Ergenekon, wie er - Şik - sein Buch zu schreiben habe.

2. Şik, Koautor unter anderem eines zweibändigen Readers zur „Einführung" in den Ergenekon-Fall, ist überzeugt, dass es den Geheimbund gibt. Gleichzeitig will er aber diese Organisation entmystifizieren und beschreibt sie als lediglich die Fortführung jenes „tiefen Staats", der in der Türkei seit den 1950er-Jahren existiert. Das neue Etikett „Ergenekon" diene den heutigen Machthabern nur dazu, alle missliebigen Personen und Institutionen in einem Korb zu werfen: „Auf diese Weise wollen sie einen „dornenlosen Rosengarten" für ihre eigene Sache schaffen. Deren letztendliches Ziel können wir heute noch nicht völlig begreifen." Şik spricht hier von der Gülen-Bewegung und der Regierungspartei AKP.

3. Sinn dieses Gerichtsverfahrens, ist nicht eine Wahrheit zu finden, sondern dem Beruf des Journalisten den Prozess zu machen, erklärt Şik. Das Prinzip der türkischen Justiz lautet demnach: Wer angeklagt ist, muss erst einmal seine Unschuld beweisen.

In der Spalte links findet sich ein PDF der Erklärung, die Ahmet Şik am 5. Jänner vor dem Strafgericht in Istanbul abgab. Die englische Übersetzung hat die BBC-Journalistin Zeynep Erdim veröffentlicht. Die nächste Verhandlung ist für den 23. Jänner angesetzt.