Schneemassen am Arlberg: Die Urlauber sind eingeschneit.

Foto: Der Standard/Rottenberg

"Ist das Unserer?" fragt die Urlauberin aus München ihren Mann.

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Gesucht, gefunden.

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Stuben - "Peter, das ist unserer!" - "Bist du sicher?" - "Nein, aber immerhin ist er blau!" Aber um doch sicher zu gehen, stochert die Dame im Skianzug dann noch ein bisserl weiter in den Schneehaufen vor ihr - bis sie auch Teile einer Nummerntafel freigelegt hat: "Es IST unserer!" Peter, ihr Mann, lässt daraufhin die Schneehaufen, an denen er ebenso wie seine Frau Irene gestochert hat, Schneehaufen sein und eilt zur Hilfe: Das Münchner Ehepaar B. trat Freitagmorgen gegen die Naturgewalten an - und versuchte, jenen einen Meter Neuschnee, der über Nacht auf ihr Auto auf dem Parkplatz der kleinen Arlberggemeinde Stuben gefallen war, weg zu schaufeln.

Eine Sisyphusarbeit. Doch "wir wollen abreisen", betont Irene, "denn an Skifahren ist hier nicht zu denken." Während in Ostösterreich fast Frühling war, versank der Arlberg im Wortsinn im Schnee. "Hoffentlich kommt der Besitzer des Nachbarautos jetzt nicht" seufzte Peter B, als er auf den von ihm noch tiefer eingegrabenen Wagen neben seinem sah - und freute sich auf das Frühstuck. "Obwohl: Danach ist der Wagen ja wieder eingeschneit." Doch wirklich frustriert war der deutsche Gast erst, als ein Einheimischer, der seinen Labrador Gassi führte, kurz stehen blieb: "Jetzt hast dein Auto ausgeschaufelt - aber wie glaubst, dass du aus der Parklücke rauskommst?"

Plötzliche Sperre

Doch sogar dann, wenn der Parkplatz am Ortsende befahrbar gewesen wäre: Die B.s wären nicht weit gekommen: Schon Donnerstagabend war die Straße über den Arlberg geschlossen worden. In beide Richtungen: Der Pass - also die Strecke nach Lech oder Richtung Tirol nach St. Christoph und St. Anton - ebenso, wie die Straße ins Tal, nach Langen: Der kleine Ort am Arlberg war - wie etliche andere Bergdörfer der Region - von der Außenwelt abgeschnitten.
Angesichts der Wettervorhersagen war das nicht weiter überraschend oder unerwartet - dennoch kam die Sperre ein wenig plötzlich: Als Eva-Maria Walch, die Patronin des Hotels Mondschein, Donnerstagabend durch ihren Gasthof lief und an allen Tischen fragte, "ob heute noch jemand weg muss, sie machen die Straße gleich dicht", hatte sie die Info von einem Gast bekommen. Den hatte ein Bekannter angerufen.

Dennoch, betont Walch, sei eine schneebedingte Sperre am Arlberg im Winter nicht weiter ungewöhnlich: "Als ich ein Kind war, dauerte das oft fünf oder sechs Tage." Seit den 80er-Jahren, als eine Lawine einmal den ganzen Parkplatz vor dem Ort leer geräumt hatte, habe man zwar mit einem Tunnel bergab (Richtung Langen) und noch weiter verbesserten Lawinenverbauungen viel erreicht, aber "im Winter ist das eben so."

Perplexe Touristen

Freilich - auch wenn das kein Hotelier je so sagen würde: Skitouristen, vor allem aus Deutschland und den Beneluxländern, sind reichlich perplex, wenn der Winter dann ein bisserl intensier ausfällt, als im Fremdenverkehrskatalog: "Wir wollen aber Skifahren", raunzt ein Familienvater an der Mondschein-Rezeption - und ist nur mit Geduld und ein wenig Mühe davon zu überzeugen, dass ihm Liftbetreiber und Hoteliers nicht aus Faulheit oder Böswilligkeit einen Streich spielen, wenn bei Lawinenwarnstufe 4 alle Lifte gesperrt sind: Die Entscheidung darüber trifft die lokale Lawinenkommission - und in der sitzen Experten, die zuerst an die Sicherheit und erst dann an den Umsatz denken. "Es hat schon einen Grund, dass ich da nicht drin bin - das wäre ein Interessenskonflikt" erklärt etwa Rudi Waldner, der Chef der Stubener Bergbahnen.

Manchen Gästen ist das aber nicht klar zu machen: Während schweres Räumgerät die einzige Straße Stubens zumindest begehbar machen soll, fragt ein Niederländer, ob "denn zumindest in St. Anton Lifte laufen". Schließlich könne man ja mit dem Zug durch den Berg von Langen nach St. Anton fahren. Dass die Straße nach Langen gesperrt ist, wischt der Mann beiseite: "Dann fahren wir eben mit den Skiern zum Bahnhof." Walch legt den Kopf schief: "Wenn sie lebensmüde sind, ist das eine Option." Der Mann stutzt.

Kein fehlender Räumwille

Hotelchef Markus Kegele erklärt ihm, dass es nicht am fehlendem Räumwillen oder -gerät läge, sondern daran, dass die Straße nach Langen im Auslauf einer potentiellen Lawine liegt: Der Graben, in dem sich der Schnee der Arlenmähder-Lawine normalerweise fange, sei zugeschneit - und bei der Galerie habe man in den 80er-Jahren jene paar letzten Meter eingespart, die dann alle paar Jahre doch einmal sinnvoll wären.
"Zwei bis drei Tage", weiß Walch, "nehmen die Gäste das mit Humor, dann werden sie nervös." Aber so lange, ist sie sicher, wird die Sperre nicht dauern - Richtung Klösterle könnte die Straße am Abend "für eine Stunde zum Abreisen" geöffnet werden.

Die meisten Gäste nehmen die Situation auch locker. In der Dorfstraße werden Erinnerungsfotos geschossen. Hunde und Kinder haben ihren Spaß - und die Ruhe, die nur vom gelegentlich vorbeifahrenden Radlader beim Schneeschippen gestört wird, ist nachgerade malerisch: "Wir sollten heute heim fahren - aber da niemand anreisen kann, ist unser Zimmer gesichert", lacht eine Touristin im "Dorfladen", dem einzigen Geschäft des Ortes. Und auch Peter B., der Auto-Freischaufler aus München, erkennt, dass es gerade in einem so kleinen, von Nightlife- und Dulliöh-Beschallung verschonten Ort, seine Vorteile haben kann, eingeschneit zu sein: "Alle reden ständig von Entschleunigung - aber wann hat man schon die Chance, die einmal wirklich zu genießen?" (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Printausgabe,  7/8.1.2012)