Wohnhaus in Wien-Favoriten von Rüdiger Lainer+Partner. Experten glauben, dass die hohe Qualität im geförderten Wohnbau bald ein Ende haben wird.

Foto: Hubert Dimko
Grafik: STANDARD

Manche Länder spekulieren - und andere bauen nicht billiger, sondern teurer und besser.

Wien – Mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung lebt in geförderten Wohnungen. Rund 1,8 Milliarden Euro schüttet der Bund aus seinen Steuereinnahmen jährlich an die Länder aus, damit diese das Geld an die Bevölkerung in Form von Wohnbauförderungen weitergeben. Förderhöhe und Kriterien zur Förderwürdigkeit variieren je nach Projekt (Neubau, Sanierung, thermische Sanierung), je nach Bautypologie (Wohnung, Einfamilienhaus, Aufstockung) und je nach Wohnmodell (Miete, Eigentum). Außerdem hat jedes Bundesland seine eigenen Richtlinien, die sich drastisch voneinander unterscheiden (siehe Grafik). Das Chaos ist perfekt.

Auch das technische Anforderungsprofil, das ein Gebäude erfüllen muss, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, was etwa den jährlichen Heizwärmebedarf, die Bauweise, die Barrierefreiheit, den Einsatz von Solarthermie oder die Geometrie des Hauses betrifft.

"Die Förderrichtlinien sind sehr heterogen", sagt Karl Wurm, Chef des Verbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs (GBV). Dass sich ein Single in Salzburg auf 55 Quadratmeter beschränken müsse, um förderwürdig zu sein, während sich sein oberösterreichischer Nachbar auf der dreifachen Wohnfläche ausbreiten dürfe, bezeichnet er als "interessantes Phänomen". Seit dem Wohnbauförderungsgesetz 1955 ist die Vergabe der Fördermittel Ländersache.

Spekulieren statt fördern?

Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Förderung immer schwammiger. Die anfänglich vorgeschriebene Zweckbindung wurde immer freizügiger interpretiert, bis sie im Zuge des Finanzausgleichs 2008 komplett aufgehoben wurde. Seitdem kann jedes Bundesland frei entscheiden, ob es das Geld für Objekt- oder für Subjektförderungen vergibt – beispielsweise in Form von Heizkostenzuschüssen. Manche Länder verwenden die Mittel sogar für Spekulationen auf den internationalen Finanzmärkten. Das endet oft in einem Desaster – wie etwa in der Bankenkrise 2008, als Niederösterreich durch die Veranlagung von Wohnbaufördergeldern mehrere hundert Millionen Euro verlor.

"Eine zweckgebundene Objektförderung ist wirtschaftlich nachhaltig, weil man mit jedem geförderten Euro fünfmal so hohe Investitionen auslöst", sagt Wurm. "Bei Subjektförderungen und Projekten, die an der Börse landen, ist das nicht der Fall." Dass die Zweckbindung bald wieder eingeführt wird, ist unwahrscheinlich. Beim Standard-Wohnsymposium vor zwei Jahren erklärte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (VP): "Die Länder haben sich festgelegt. Eine andere Willensbildung zu erreichen ist kaum möglich."

Auch in ganz anderer Hinsicht führt die Verwendung der Fördermittel am eigentlichen Ziel vorbei. Österreich – und da vor allem Wien – ist für die hohe Qualität im geförderten Wohnbau international bekannt. Bauträger und Planer aus aller Welt pilgern hierher, um sich Best-Practice-Beispiele anzusehen. Die Kehrseite der Medaille: Durch die Konkurrenz zwischen den Bauträgern und die damit verbundene Qualitätsschraube nach oben sind die geförderten Wohnungen in puncto Bauqualität, Energiestandards und sozialer Infrastruktur mittlerweile deutlich hochwertiger als jene am freien Markt. Freifinanzierte Wohnungen, die für die höheren Einkommensschichten errichtet werden, stinken dagegen jämmerlich ab. Das System hat sich ad absurdum geführt.

"Der soziale Wohnbau hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine hohe Latte vorgegeben", bestätigt Ewald Kirschner, Generaldirektor der Gesiba. "Private Investoren können da schon lange nicht mehr mithalten." Michael Gehbauer von der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) meint: "Der freifinanzierte Wohnbau ist deutlich konservativer und weniger hochwertig." Und Michael Pech, Vorstand des Österreichischen Siedlungswerks (ÖSW), ist überzeugt, dass man in Zukunft "dringend wieder reduzieren" müsse.

"Eigentlich dient die Wohnbauförderung der Schaffung von billigem Wohnraum", sagt Karl Wurm. Doch von diesem Prinzip sei man heute meilenweit entfernt. Wohnbaukosten in der Höhe von 1800 Euro pro Quadratmeter und mehr sind keine Seltenheit mehr. Häufig werden die Mehrkosten eins zu eins auf die Mieter abgewälzt. Das war's dann mit dem billigen Wohnen. Wurm: "Jahrelang haben wir weit über unseren Verhältnissen gebaut. Die Wohnbauförderparty ist definitiv vorbei."

Was das heißt, zeigt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SP) mit der Ausschreibung Seestadt Aspern. Da beträgt die absolute Obergrenze der Wohnbaukosten 1450 Euro pro Quadratmeter. Im März letzten Jahres rief er zudem die Wohnbauoffensive ins Leben. Sie dient dazu, den Engpass an geförderten Wohnungsneubauten zu kompensieren. Sechs Baukonsortien werden mit einem Darlehen der Stadt Wien bis 2014 rund 6250 freifinanzierte Wohnungen errichten. Einzige Bedingung: Die Mieten müssen dem geförderten Wohnbau angeglichen werden.

Schuld an Zersiedelung

Glaubt man den Wohnbauträgern und Experten, müsse es derartige Alternativmodelle in Zukunft verstärkt geben. Viele Bauträger bereiten sich darauf vor, dass sie in Zukunft mehr Eigenmittel einsetzen müssen. Einige rechnen damit, dass sich demnächst auch Pensionskassen am heimischen Wohnbau beteiligen werden.

Doch der allerwichtigste Schritt wäre, die Wohnbauförderung so rasch wie möglich an raumplanerische Kriterien zu knüpfen, was etwa den Bodenverbrauch und die Nähe zu bestehender Infrastruktur und zu öffentlichen Verkehrsmitteln betrifft. "Die Verhüttelung quer durchs ganze Land kommt davon, dass jeder Bürgermeister glaubt, er kann eine zusätzliche Stimme gewinnen, weil er auf der grünen Wiese wieder ein schönes Einfamilienhaus bewilligt", sagt Karl Wurm. Die Potenziale der Wohnbauförderung wären dahingehend enorm. Doch davon will man in den Bundesländern nichts wissen. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Printausgabe, 7.1.2012)