Der Kultur- und Sozialanthropologe Andre Gingrich wird im Executive Club der Uni Wien einen Diskurs zum Wilden, Rationalen und dem Mächtigen im Führen anleiten.

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Lange Zeit war das Wilde eine Koketterie mit dem Exotismus, sagt Andre Gingrich, Professor am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien sowie Direktor des Instituts für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Und nicht viel mehr sei es das heute unter veränderten Rahmenbedingungen. "In einer globalisierten Welt gibt es das Wilde außerhalb von uns immer weniger, sondern vielmehr in unseren Begegnungen miteinander", so Gingrich weiter. Das Wilde sei für ihn das Spontane, das nicht oder kaum von Regeln Vorstrukturierte, das Unsystematische, das sich mit Systemen schlägt und trotzdem mit ihnen koexistiert.

Mit Andre Gingrich tritt ein weiteres Aushängeschild der Uni Wien als Vortragender vor Top-Managern im Rahmen des Executive Club des Postgraduate Center an. Das nunmehr sechste Colloquium steht unter dem Titel "Das Wilde und die Führung - Führung und Ethnologie". Dabei sei es ihm, Gingrich, wichtig aufzuzeigen, dass Führung eine kulturelle Komponente hat. "Wenn in einer bestimmten Kultur die wohlgesetzte Rede total wichtig ist, dann kann gutes Führen nicht ohne gute Rhetorik auskommen", sagt er. "Wenn in einer anderen Kultur die operettenhafte Selbstinszenierung viel wichtiger ist als die wohlgesetzte Rede, dann ist es dies, was auch für Führung besonders beachtet werden muss", so Gingrich weiter. Im Übrigen sei er mit Hannah Arendt einer Meinung, dass Österreich im Prinzip eine operettenhafte Staatskultur aufweise, in der das zweite und weniger das erste eine große Rolle spiele, grinst er.

Darf's ein bissl wilder sein?

In einer globalisierten Welt entwickeln sich zudem auch transkulturelle Annäherungsprozesse. Das sei eine Frage der Lebenserfahrung und eben auch einer Einsicht, dass es - auch angesichts jener Probleme, mit denen man auch als Führungskraft dauernd zu kämpfen habe - notwendig ist, aus dem eigenen Schrebergarten der nationalen Besonderheiten herauszutreten, um mit anderen kommunizieren zu können.

Gingrich sieht das durch drei Hauptmomente angetrieben: Neugier, Improvisationskunst und eine vernünftige Form von Spaß. A priori glaube er nämlich nicht daran, dass Vernunft und Spaß, wie oft behauptet wird, einander ausschließen. Aber: Wie viel Wildheit kann sich denn eine Führungskraft dieser Tage überhaupt erlauben? Gingrich: "Sie könnte als Kollektiv so wild sein, sich 50 Prozent Frauen ins Unternehmen zu holen. Sie könnte so wild sein, dass sie auch unterschiedliche, mehrsprachige Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher spiritueller oder religiöser Hintergründe hereinlässt", grinst er. Gerade die Führungskräfte haben ja die Möglichkeit, so Gingrich weiter, auch die visionären Werte einer globalen Welt im Kleinen auszuüben, auch auf einer Organisationsebene, die selbst noch nicht global sei.

Dass im Rahmen des sechsten Colloquiums des Executive Club, am 12. Jänner wohl neugierigste Führungskräfte sich einer solchen Auseinandersetzung stellen, zeige ihm, dass man willens ist, nach alternativen Wegen Ausschau zu halten. (Heidi Aichinger/DER STANDARD; Printausgabe, 7./8.1.2012)