Schulden sind gleich Guthaben. Wer Schulden reduziert, reduziert daher Guthaben. Guthaben sind gleich Geldvermögen. Wer Schulden reduziert, vernichtet daher Vermögen. Mit diesem kleinen tautologischen Vexierspielchen wurden die Standard-Leser am letzten Wochenende von einem der führenden Wirtschaftsmathematiker des Landes gehörig verschreckt.

In den Wirtschaftswissenschaften (wie auch in der Mathematik) ist der exakte Umgang mit Definitionen und Begriffen für die Nachvollziehbarkeit von Schlussfolgerungen und Implikationen entscheidend. Das weiß natürlich Prof. Schachermayer, Wirtschaftswissenschafter und Mathematiker von Rang, Autor und Schöpfer der monierten Schreckenstautologie.

Damit die Sache mit der Schuldenreduktion=Vermögensvernichtungs-Tautologie aber so richtig kracht, zaubert er (gekonnt) aus Definitionen und Begriffen des volkswirtschaftlichen Rechnungswesens (Schein-)Paradoxien, die sich tatsächlich oft auf Grund des Spannungsverhältnisses von einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen verführerisch aufdrängen. Diese (Schein-)Paradoxien sind unter anderem auch beliebtes Rohmaterial für Partylöwen unter den Makroökonomen, bestens geeignet, um den Verwirrungszustand sämtlicher Jeti-Tanten von hier bis nach Nebraska ins Unergründliche zu steigern.

Aber hoppla, mag sich da die eine oder andere Jeti-Tant' (vorzugsweise solche, die sich ihren Lebensunterhalt durch selbstständige Erwerbsarbeit verdienen) fragen, hat sich da der Herr Professor um des Gags Willen nicht ein klein wenig in seinem Paradoxien-Dschungel verheddert?

Tatsächlich sind gar nicht so wenige "Makroökonomen" - und vielleicht auch Wirtschaftsmathematiker?- davor gefeit, bei dem beliebten, aber ziemlich verzwickten Mikro-Makro-Spiel nicht selbst in eine der verführerischen Schein-Paradoxien-Fallen zu tappen. Ein anderes beliebtes Selbstverwirrungspiel für Ökonomen ist das Ex-post-Ex-ante-Labyrinth, besonders lustig, wenn es mit dem Saldenmechanik-Puzzle kombiniert gespielt wird.

Häufige Ursache für das Entstehen von Scheinparadoxien ist, dass beim Übergang von der einzelwirtschaftlichen Ebene auf die gesamtwirtschaftliche Ebene im Kontengefüge des volkswirtschaftlichen Rechnungswesens durch Aggregieren, Aufrechnen und Saldieren zwar Übersichtlichkeit (und Einfachheit) gewonnen wird, wertvolle Information jedoch dabei verloren geht. Aus komplexen, informativen einzelwirtschaftlichen Zusammenhängen werden einfache, oftmals inhaltsleere gesamtwirtschaftliche Relationen. Letztere verführen Wirtschaftsleute, vor allem aber Wirtschaftspolitiker, allzu häufig zu Fehlschlüssen, auch in Fachdiskussionen.

Falsche Schlussfolgerungen

So lässt sich leicht zeigen, dass die Aufrechnung von Kreditbeziehungen - und damit auch Schuldenbeziehungen - zwischen den Wirtschaftssubjekten bzw. Wirtschaftssektoren auf gesamtwirtschaftlicher Ebene in eine Tautologie bzw. inhaltlose Identität von Sachvermögen und Reinvermögen (dies entspricht in etwa dem Eigenkapital auf Unternehmensebene) mündet. Daraus die wirtschaftspolitische Schlussfolgerung abzuleiten, dass gesamtwirtschaftliches Sachvermögen durch Reinvermögen begrenzt wird, ist ebenso unzulässig, wie die Schachermayer'sche Proposition, dass öffentliche Schuldenbremsen zwingend zu gesamtwirtschaftlichen Vermögensverlusten führen müssen.

Wirtschaftsanalysen und darauf basierende wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen gewinnen an Wert, wenn sie auf einer Konsolidierungsebene des volkswirtschaftlichen Rechnungswesens vorgenommen werden, die dem Untersuchungszweck hinsichtlich Übersichtlichkeit und Informationsgehalt angemessen - d.h. optimal angepasst- sind.

Die Sinnhaftigkeit von Schuldenbremsen lässt sich daher am deutlichsten auf einer Konsolidierungsebene erkennen, bei der die relevanten Kredit- bzw. Finanzierungsbeziehungen noch nicht weggekürzt sind. Auf Unternehmensebene z.B. wird Vermögen (Aktiva) durch Eigenkapital und Fremdkapital (Schulden) finanziert (Passiva). Letzteres muss unabhängig vom Unternehmenserfolg vereinbarungsgemäß verzinst und fristgerecht zurückgezahlt werden. Eigenkapital muss hingegen nicht refundiert werden, dafür sind die Eigenkapitalgeber an der Unternehmensperformance (d. h. am Erfolg und Misserfolg) beteiligt.

Eigenkapitalgeber haben daher Interesse, dass das Unternehmen effizient gemanagt wird, damit es ertragreich, vor allem aber ertragssicher bleibt. Ist der Finanzierungsanteil des Eigenkapitals am Unternehmensvermögen zu niedrig bzw. der Anteil des Fremdkapitals zu hoch, verlieren die Eigenkapitalgeber das Interesse an einem effizienten Management.

Sie verlangen dann von ihrem Management Fortune und nicht unbedingt Geschick, denn dann kassieren sie Supergewinne - relativ zu ihrem geringen Einsatz an Kapital und Leistung. Hat das Management keine Fortune, verlieren sie vergleichsweise wenig, Fremdkapitalgeber aber viel.

Letztere haben daher ein fundamentales Interesse, dass Erstere ihr Interesse an einem effizienten Unternehmensmanagement nicht verlieren. Sie erreichen dies, indem sie darauf achten, dass ihr Finanzierungsanteil im Verhältnis zu jenem der Eigenkapitalgeber eine bestimmte Obergrenze nicht überschreitet. Sie installieren eine Schuldenbremse.

Damit ist jedoch nicht logisch zwingend eine Begrenzung der Vermögensbildung verbunden, die Eigenkapitalgeber müssen lediglich den dafür erforderlichen Finanzierungsbeitrag leisten. Oder Fremdkapitalgeber wechseln die Seite und werden Eigenkapitalgeber. Selbst ein Rückgang der Verschuldungsquote führt aus denselben Gründen nicht logisch zwingend zu Vermögensverlusten.

Schuldenbremsen im öffentlichen Sektor sind in einem ähnlichen Wirkungszusammenhang zu sehen. Sie erhöhen vor allem den Effizienzdruck im öffentlichen Sektor durch gesteigertes Interesse der Steuerzahler - Eigenkapitalgeber, und fallweise Fremdkapitalgeber des Staates - an verantwortungsvoller Staatsführung. Dieser wird dann besonders wirksam, wenn bei drohendem Überschreiten von öffentlichen Verschuldungsgrenzen automatisch Massensteuererhöhungen (Mehrwertsteuer, Lohnsteuer) in Kraft treten.

Dies diszipliniert ineffiziente Regierungen außerordentlich oder zwingt sie, Mehrausgaben, die unmittelbar zu allgemeinen Steuererhöhungen führen, umfassend und überzeugend zu begründen, wollen sie nicht Gefahr laufen, bei den nächsten Wahlen dafür vernichtend abgestraft zu werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.1.2012)