Mieming - "Es ist eigentlich wie bei der Mafia, nur ohne die Toten", sagt Ulrich Stern: "Jeder bekommt etwas, und alle halten den Mund." Der gebürtige Kärntner, mittlerweile Pensionist und seit Jahren in Mieming sesshaft, sitzt mit seiner eigenen Liste, der "Liste Stern", im Gemeinderat. Er will "den Bauern und ihren Agrargemeinschaften auf die Finger schauen".

Bereits 1982 hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein Urteil zu den Tiroler Agrargemeinschaften - zu Körperschaften öffentlichen Rechts zusammengeschlossene Bauern - erlassen: Die Gemeinden bekamen recht, und die Landesregierung wurde aufgefordert, die Quasi-Enteignung von Gemeindegut durch Agrargemeinschaften rückgängig zu machen. Doch erst als sich die Gemeinde Mieders 2008 an die Höchstrichter wandte und diese ein Erkenntnis von 1982 bekräftigten, bekam der Konflikt neue Dynamik.

Drei Jahre nach dem Höchstgerichtserkenntnis schwelt der Streit zwischen Gemeinden und Agrargemeinschaftsvertretern unvermindert weiter. Die Gemeinden warten nach wie vor auf die Erlöse aus dem sogenannten Substanzwert, also auf jene Gewinne, die beispielsweise aus Jagdpachten, Schottergruben, Autobahnraststätten oder dem Verkauf von Bauland stammen.

Der VfGH hatte zudem in seinem Urteil bestätigt, dass die Landesregierung bisher "offenkundig falsche Beschlüsse erlassen hatte". Und spätestens nach dem Urteil von 1982, das ja den Streit um Gemeindegut in Händen der Agrargemeinschaften zugunsten der Gemeinden klar- und richtiggestellt habe, hätte die Regierung des Unrecht aufheben müssen.

Ulrich Stern hat in den Grundbüchern selbst nachgelesen: Empfohlen wurden Übertragungen von Gemeindegründen an die Agrargemeinschaften, also an die Bauern, sogar vom damaligen Landesrat und späteren Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (ÖVP), der selbst in Mieming lebte.

Stern hob Akten aus und studierte Enteignungen - und konnte es nicht fassen: "Das kann doch in einem Rechtsstaat nicht passieren." Als er immer weiter forschte, wurde ihm schließlich die Akteneinsicht im Landesarchiv verwehrt.

Ein Unrecht, gegen das der Anwalt Andreas Brugger nicht nur juristisch, sondern auch politisch als Abgeordneter der Liste Fritz kämpft. Er vertritt zahlreiche Gemeinden im Paragrafendschungel beim Kampf um ihr Geld. Für Brugger mussten die Gemeinden durch die Enteignung über die Jahrzehnte Verluste in Milliardenhöhe hinnehmen. "Jährlich wird mit bis zu 30 Millionen Euro gerechnet. Diese Gelder stehen zu 99,9 Prozent den Gemeinden zu."

Allein in Mieming rechnet Gemeinderat Stern mit Rücklagen der Agrargemeinschaft von rund 1,1 Millionen Euro. Jährlich dürften der Gemeinde geschätzte 200.000 bis 300.000 Euro aus den Erträgen der Agrargemeinschaften entgehen. Genaue Summen gebe es aber nicht. Diese könnten nur geschätzt werden, sagt Stern.

Denn offizielle Bücher gibt es bei den Bauern nicht. So werde etwa kein einziges Stück Holz, das gefällt und dann verkauft oder eben Eigenbedarf eines Bauern sei, offiziell irgendwo vermerkt. Also könnten auch Summen - jener Substanzwert, der den Gemeinden zustehe - nur schwer nachvollzogen werden.

Geschätzte Substanz

Schätzen müssen die Gemeinderäte der Liste Stern daher auch die Einnahmen aus Pachtverträgen. Etwa beim Golfplatz. Laut Abrechnung der Agrargemeinschaft liege die Pacht bei 30.000 Euro im Jahr, erzählt Stern. Sein Listenkollege sei aber selbst Golfspieler und habe nachgerechnet: Die üblichen Preise lägen bei 30 Cent pro Golfplatz-Quadratmeter. Das würde bei 700.000 Quadratmetern immerhin 250.000 Euro Pacht ausmachen.

Ob dieses Geld wirklich verlangt werde und wohin es fließe, sei aber nicht herauszufinden. Zu kompliziert seien die Firmenkonstruktionen, zu lückenhaft die Belege. Mitglieder der Agrargemeinschaften wollen ohnehin nichts zum Thema sagen, nicht zu Stern und nicht zu Medienvertretern.

Zudem gebe es auch von der Gemeindeführung kein Interesse, die Finanzlage aufzuklären, sagt Stern. Denn die Mehrheit der Gemeinderäte sei ja auch Mitglied einer Agrargemeinschaft. Darin sieht Stern einen Grund, warum gerade ein für die Gemeinde nachteiliges Urteil abgesegnet wurde.

2009 war in Mieming beschlossen worden, die Agrargemeinschaften neu zu regulieren. Der Landesagrarsenat entschied jedoch anders als der VfGH. Die Hälfte des Substanzwertes stehe den Nutzungsberechtigten zu. "Gegen dieses Urteil hätte sofort berufen werden müssen", erklärt Gemeinderat Stern. Berufen wurde nicht. Damit dürfen die Mieminger Bauern weiterhin an Grundverkäufen mitverdienen. Zahlen Mitglieder der Agrargemeinschaft und ihre Familien für einen Quadratmeter am Sonnenplateau rund 40 Euro, legen ortsansässige Nichtbauern bereits 110 Euro, Nicht-Mieminger gar 210 Euro für den Quadratmeter ab.

Obwohl die Tiroler Landesregierung hinter dem VfGH-Erkenntnis steht, wehren sich die Bauern. Anfang November wurde aus Protest der "Agrargemeinschaftsverband West" gegründet. Ziel sei der gemeinsame Kampf um das Eigentum. Kritisiert wird die Enteignung der Agrargemeinschaften mithilfe eines "neuen Richterrechts", erklärt Obmann Toni Riser. Niemand könne von den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft verlangen, Grundstücke zu verkaufen, wenn den Erlös dafür die Gemeinde kassiere.

Für Stern ist die "Agrar West" eigentlich ein Sprachrohr des Bauernbunds. Dieser könne es sich politisch aber offiziell nicht leisten, das VfGH-Urteil nicht anzuerkennen. Stern selbst ist kein Bauer. Er war nie Nutznießer des Systems. Im Ort wird er offiziell beschimpft. Doch inoffiziell steht so mancher Gemeindebürger an seiner Tür und bietet anonym seine Unterstützung gegen die Ungerechtigkeiten an. Stern: "Die Täter sitzen in den Behörden, ein kleiner Bauer könnte allein nichts bewirken." (Verena Langegger, DER STANDARD, Printausgabe, 3.1.2012)