Der straßenweise Driss (Omar Sy) verhilft seinem Arbeitgeber Philippe (François Cluzet) zu allerhand neuen Erfahrungen.

Foto: Constantin Filmverleih

Wien - Kassenrekorde sind im Kino meist US-Großproduktionen vorbehalten. Dass Hollywood im vergangenen Jahr vor allem auf Fortsetzungen bereits erfolgreicher Produkte - und auf 3-D - setzte, kann man auch an der österreichischen Besucherstatistik für 2011 ablesen: Fluch der Karibik 4, das endgültige Harry Potter-Finale und Hangover 2 lagen in der Publikumsgunst ganz vorn.

In vielen Ländern sieht das ähnlich aus - nur nicht in Frankreich: An der Spitze der Jahrescharts rangiert dort ein ungewöhnliches Heldenduo. Ein vom Hals abwärts gelähmter Pariser Großbürger, der einen neuen Pfleger sucht, und ein vorbestrafter arbeitsloser Banlieue-Bewohner, der sich beim Vorstellungsgespräch eigentlich nur einen Stempel fürs Arbeitsamt abholen will.

Natürlich kann der gestrenge Philippe (François Cluzet) den lässigen Driss (Omar Sy) dann doch umgehend für eine Probezeit gewinnen. Die wechselseitige Abhängigkeit und der Culture-Clash, der sich zwischen Stadtpalais-Bewohnern und dem jungen Mann aus der kleinen, überbelegten Sozialwohnung anbahnt, sind die Basis für komische Situationen und für eine allmähliche Annäherung der beiden Männer.

Ziemlich beste Freunde, der im Original Intouchables heißt, hat sich in Frankreich recht überraschend zum Kinoerfolg des eben zu Ende gegangenen Jahres entwickelt: Erst Anfang November gestartet, firmiert er nunmehr mit rund 16 Millionen Besuchern an der Spitze der Jahrescharts - vor Harry Potter und Tintin.

So ein Phänomen verlangt nach Erklärung, der Kritiker von Le Monde liest die Beziehung der ungleichen Männer etwa als eine gesellschaftliche Metapher - das "Alte Frankreich, paralysiert von seinen Privilegien, und die lebendige Kraft der migrantischen Jugend" gingen hier eine geglückte Allianz gegen die falschen Versprechen des vorherrschenden Egoismus ein. Offenbar, das konstatieren auch andere, gibt es in Zeiten sich verschärfender sozialer Widersprüche Sehnsucht nach derlei Aussöhnungsszenarien.

Ähnlich wie Willkommen bei den Sch'tis oder Nichts zu verzollen setzt auch Ziemlich beste Freunde, geschrieben und inszeniert von Olivier Nakache und Eric Toledano, auf Dialektik und ein starkes Gegensatzpaar. Ziemlich beste Freunde beruft sich außerdem auf reale Vorbilder: Zum Abspann sieht man diese beiden Männer auf Videoaufnahmen. Ihre filmischen Alter Egos hat man dagegen in klassischer Komödientradition auf Typen zugespitzt und mit einer überschaubaren Entourage aus (zum Teil ärgerlich) funktionalen Figuren umgeben.

Fortan lernt der Bourgeois von seinem straßenweisen Helfer neue Entspannungstechniken und die Vorzüge unverblümter Ausdrucksweise. Macho Driss bekommt Nachhilfe in Sachen Kunst, er erkennt, dass man manchmal mit guten Umgangsformen weiter kommt, auch sonst wird manches Klischee bemüht.

Letztlich wird in Ziemlich beste Freunde eben nicht über anarchische Aufsprengungen sozialer Verhältnisse gelacht, sondern über ganz altbackene Überschreitungen von Benimm und Correctness. Und das ist nun einmal massentauglich. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 3. Jänner 2012)