Alte-Musik-Kenner Jordi Savall: "Ich habe mir auf einen Zettel notiert: Erkundigen, was eine Gambe ist."

Foto: Werner Kmetitsch

Ein Gespräch mit dem Virtuosen über seine Wege zur Gambe, die Konkurrenz der Stile und das Lernen von seinen Kindern.

Wien - Wenn im November das Jahr schon ziemlich alt ausschaut, wird im Konzerthaus beim Festival Wien modern Neue Musik groß geschrieben; ist das Jahr noch säuglingsjung, wird ebendort Alte Musik gemacht: Die Resonanzen erklingen nun schon zum 20. Mal; der ehemalige Konzerthaus-Chef Alexander Pereira war Bernhard Trebuchs Idee eines Festivals der Alten Musik seinerzeit noch skeptisch gegenübergestanden, sein Nachfolger Karsten Witt hat die Sache dann aber durchgezogen.

Diverse Motti wurden seither der jeweiligen Jahresausgabe angeheftet, ein Musiker allerdings war fast immer dabei: Jordi Savall. Für kritische Beobachter war er die Person, an dem die fallweise bemäkelte mangelnde Fruchtwechselwirtschaft in der Programmierung des Festivals festzumachen war, für die (zahlreichen) Fans war und ist er der Grandseigneur der Alten Musik, der mit seinen verschiedenen Ensembles alle Facetten der Renaissance- und der Barockmusik so fein und verführerisch wie kein Zweiter vor Ohren führen kann.

Die Jubiläumsausgabe

Zusammen mit dem Concerto Italiano, mit Europa Galante und der Cappella della Pietà de' Turchini zählt Savall und sein Le Concert des Nations zu den vier "Luxusformationen", mithilfe derer es das Konzerthaus bei der Jubiläumsausgabe krachen lassen will. Das sich auf den Austragungsort beziehende Motto der Resonanzen - "In Wien" - konterkariert Savall aber mit seinem Programm ein wenig: "Ein musikalisches Europa" will der Katalane hier porträtieren. War der Kontrast, die Rivalität des französischen und des italienischen Stils, das dominierende Merkmal des musikalischen Europas der Barockzeit?

"Es gab damals eine Konkurrenz der Stile, aber auch einen Dialog", erklärt Savall im Gespräch. "François Couperin hat bezüglich des Unterschieds zwischen französischem und italienischem Stil gemeint: 'Ich liebe das, was mich berührt, mehr als das, was mich überrascht.'" So eine französische Arie, eine Pleinte, gehe tief; Aufregung aber wäre doch oft oberflächlich und gehe schnell vorbei. "Wir Spanier sind den Italienern zwar nah, aber wir haben nicht dieses Theatralische; der Spanier ist tiefer, ernster."

Zuerst das Cello

Nach den Anfängen seines Interesses für Barockmusik befragt, erzählt Savall, dass er sich mit 14 Jahren autodidaktisch Cello beigebracht hat. "Ich habe dann Noten gekauft, es war Barockliteratur, für Cello arrangiert. Die Stücke haben mich fasziniert, sie waren so anders, so reizend. Später hat mich jemand gefragt, wieso ich diese Stücke denn auf einem Cello spielen würde und nicht auf einer Gambe. Ich habe mir auf einem Zettel notiert: Erkundigen, was eine Gambe ist."

Das hat er gemacht und ist auch nach London wie Paris gereist und hat in den großen Bibliotheken die Notensammlungen durchforstet. "Ich war so begeistert von der Schönheit dieser Musik, dass ich von diesem Zeitpunkt an wusste, ich wollte Barockmusik mit der Gambe machen, und mein Lehrer sollten die Noten sein. Also habe ich angefangen, mich in die Bücher, die Traktate und Korrespondenzen zu vertiefen - diese Mischung aus Musik, Forschung und Kreativität hat mich fasziniert."

Seit 1965 spielt Savall Gambe, 1976 veröffentlichte er seine erstes Soloalbum, auf das unzählige weitere folgen sollten. Zuletzt bildete er mit seinen Kindern Arianna und Ferran sowie seiner madonnenhaften Frau, der Sopranistin Montserrat Figueras, eine Art Sagrada Familia der Alten Musik. Figueras ist letzten November verstorben, die Kinder spielen mittlerweile nicht mehr in seinen Ensembles mit.

"Sie haben es ein paar Jahre gemacht, und es war sehr schön, aber die Kinder gehen jetzt ihren eigenen Weg, und das ist gut so." Seine Kinder werden viel von ihm gelernt haben, aber hat der 70-Jährige auch etwas von seinen Kindern gelernt?

"Spontaneität. Ich habe von meinen Kindern den Mut zum Improvisieren gelernt. Ich bin doch von der Klassik sehr geprägt, dort wurde nicht improvisiert. Meine Kinder haben von Beginn an frei gespielt. Und das ist es doch, was die Barockmusik von der Klassik unterscheidet: Es gibt dort ein größeres Bedürfnis nach Freiheit. Viele große Komponisten der Barockzeit - Bach, Corelli, Frescobaldi, Marain Marais - waren auch große Improvisateure. Die überlieferten notierten Werke sind nur die Brotkrümel, die vom Tisch gefallen sind, im Vergleich zu dem Festmahl des Improvisierten." (Stefan Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 3. Jänner 2012)