Doch das Manna fällt nicht vom Himmel.
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Als hätten die neuen Einstürze in Pompeji nicht schon genügt, um die Sorge um Italiens Kulturgut wiederzuerwecken, drohen nun mit dem drastischen Sparprogramm der neuen Regierung von Premier Mario Monti auch noch weitere Kürzungen. Die Zuschüsse von zirka 57 Millionen Euro aus dem Acht-Promille-Topf - einer Extraabgabe der Einkommenssteuer, die, falls vom Steuerzahler nicht ausdrücklich der Kirche oder anderen gemeinnützigen Organisationen zuerteilt, automatisch in die Staatskassen fließt - werden den sanierungsbedürftigen Strafvollzugsanstalten zuerteilt. Dabei hatte auch das Kulturministerium - nun vergeblich - auf einen Obolus aus dem Topf gehofft.
Dafür öffnet sich ein anderer Geldhahn: der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Der sah im Programm "Attrattori culturali, naturali e turismo" Gelder zur Förderung des Kultur- und Naturerbes sowie der touristischen Sehenswürdigkeiten in Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien vor. Und zwar für die Jahre 2007 bis 2013. Nur hatten die Regionen, darunter eben auch Kampanien, wo Pompeji liegt, versäumt, ihre Gesuche um Unterstützung einzureichen.
Dass EU-Regionalkommissar Johannes Hahn nun doch 105 Millionen Euro für Pompeji lockermacht, ist Raffaele Fitto, dem früheren Regionsminister, zu verdanken. Das Kulturministerium freut sich und lässt verlauten, es werde die Gelder auch ausgeben. Dies ist alles andere als selbstverständlich. Denn paradoxerweise sind es weniger die fehlenden Mittel als die mangelnde Fähigkeiten, sie einzusetzen, aufgrund derer das Kulturgut so darbt.
Nun hat Italien ein Technokraten-Kabinett und somit Experten, die sich nicht mehr im politischen Sumpf verirren, sondern pragmatisch Hand anlegen. Unter der Leitung des neuen Kulturministers Lorenzo Ornaghi gab das Ministerium Mitte Dezember bekannt, dass binnen der ersten Monate 2012 der Wettbewerb zur Vergabe des öffentlichen Auftrags zur Sanierung von Pompeji ausgeschrieben wird. Dabei geht es um insgesamt 39 mit 47 Millionen Euro veranschlagte Projekte. Die Ausschreibung für die zweite Tranche in Höhe von 38 Millionen Euro soll im Herbst erfolgen.
Weltkulturerbe bröckelt
Die Frage ist nur, ob Pompeji so lange warten kann, bis die öffentlichen Aufträge unter Dach und Fach sind. Denn die Weltkulturerbe-Stätte bröckelt vor sich hin. Rief der Einbruch der Gladiatorenschule im November 2010 noch Bestürzung hervor, so wurden die jüngsten Einstürze nur mehr mit beschwichtigenden Worten bedacht. Jetzt sackten aber auch Säulen weg; kurz vor Weihnachten traf es eine im Laubengang des sogenannten Hauses von Loreio Tiburtino. Hoffentlich machen Witterung und Zerfall vor den Wandmalereien der Villa Tiburtino mit Motiven des Isiskultes Halt.
Ornaghi geht die Dinge allzu bedachtsam an, um nicht zu sagen: Er ist weitgehend untätig. Er legt die Hände in den Schoß und übt sich in erster Linie in Gottvertrauen. Und das Gottvertrauen ist mehrfach abgesichert: Der studierte Politikwissenschafter ist Rektor der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen (Università Cattolica del Sacro Cuore, UCSC) in Mailand, eine der bedeutendsten katholischen Universitäten weltweit. Zudem ist er Vizepräsident des Verwaltungsrates der katholischen, bischöflichen Tageszeitung Avvenire. Neben dem Wort Gottes hört er gerne auf das von Gianfranco Miglio, dem Theoretiker der rechtspopulistischen Lega Nord, dessen Schüler und Universitätsassistent er in den Siebzigerjahren war.
Die Appelle der Kulturschaffenden aus dem Bereich Musik, Theater und Film, die ein Rahmengesetz wie auch Steuerreformen in ihrem Sektor verlangen, blieben unerhört. Dafür setzte sich Ornaghi für die Rettung der Accademia dei Lincei und der Accademia della Crusca, also der ersten privaten Institution zur Förderung der Naturwissenschaft und ältesten Sprachgesellschaft, ein; beide waren vom Rotstift bedroht.
Gegenleistung der Mäzene
Ornaghi weiß, dass Gott zwar Trost, aber kein Geld spendet. Er scheint Hoffnung in private Mäzene zu setzen. Denn die Vermutung liegt nahe, dass der Minister sich von dem Ruf in den Verwaltungsrat der Biennale von Venedig neben kulturellen auch finanzielle Vorteile verspricht. Zu verdanken hat er dies Professor Emmanuele Francesco Maria Emanuele, Präsident der Fondazione Roma, einer Bankstiftung, die er eigens zur Unterstützung der Kultur ins Leben rief. Bezeichnenderweise bekleidet Emanuele mittlerweile mehrere hohe Ämter in Kulturorganisationen, die von den öffentlichen Geldern alleine nicht mehr leben können. Gerne rettet er sie aus der finanziellen Not, als Gegenleistung erwartete er, mitentscheiden zu können. Er ist kein Einzelfall.
Ohne private Geldgeber wäre es um das italienische Kulturgut aber noch schlechter bestellt. Die Nase rümpft jedenfalls heute keiner mehr, wenn beispielsweise Großunternehmer Diego della Valle 25 Millionen Euro für die Restaurierung des Kolosseums hinblättert und dafür das Wahrzeichen Roms zur Vermarktung seiner Tod's-Schuhe nutzen will. (Eva Clausen, DER STANDARD - Printausgabe, 3. Jänner 2012)