Lyapis Turbeckoy, eine Ska-Punk-Rock-Band aus Minsk, ist im ganzen russischen Sprachraum bekannt, in Belarus aber verboten.

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Plötzlich springen die Leute auf in dem kleinen Kellerclub in der Prager Altstadt. Sie tanzen und singen. Einige rufen "Zhyvje Belarus!". Es lebe Belarus! Es ist der Schlachtruf derjenigen, die gegen das Regime des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko kämpfen.

Hier, bei diesem Konzert in der tschechischen Hauptstadt, müssen die Musiker nichts fürchten, nicht das Regime, nicht die Staatssicherheit, die in Weißrussland immer noch ihren sowjetischen Namen trägt: KGB. Tschechien ist ein freies demokratisches Land. Aber es kann sich noch gut an die Geister des sozialistischen Autokratismus erinnern. Weißrussland, die ehemalige Sowjetrepublik, wird bis heute von diesem Geist beherrscht.

Auf der Bühne steht Ljawon Wolski, ein schmaler Mann, der so wunderbar schelmisch grinsen kann. Er ist das Idol der unabhängigen weißrussischen Musikszene. Seit Anfang der Achtziger schreibt Wolski Songs, die mittlerweile dutzendweise in den weißrussischsprachigen Kulturschatz eingegangen sind. Eines davon ist dieses Lied, das das Publikum lauthals mitsingt.

Schwarze Listen

Zu diesem Konzert vor wenigen Wochen war vor allem die weißrussische Diaspora in Tschechien gekommen. Wolski trat zudem in Vilnius, in Berlin und im Osten Polens auf. Als er auf der Rückreise in der westweißrussischen Stadt Brest ein schon lange geplantes Konzert geben wollte, wurde dieses plötzlich abgesagt. "Das sind die üblichen Praktiken", erklärt Wolski. "Da ruft jemand aus dem Machtapparat an und droht, dass der Inhaber des Konzertsaals Probleme bekommen könnte. Dann sagt er das Konzert ab. Mittlerweile ist es auch schon so, dass niemand anrufen muss. Denn die Leute haben Angst. Und dann sagen sie dir schon im Vorhinein ab."

Seit März dieses Jahres kursieren in Weißrussland sogenannte "Schwarze Listen", auf denen Musiker, Schriftsteller oder Schauspieler stehen, die das Lukaschenko-Regime als nicht genehm einstuft. Wolski und seine Band Krambambulya haben de facto Auftrittsverbot in ihrem eigenen Land. Bereits bis Ende 2006 war das Regime Lukaschenkos, das Weißrussland seit 1994 regiert, gegen die Musikszene vorgegangen. Denn gerade die Musikszene hatte sich als starke Nische der Freiheit etabliert.

Ausweichen ins Internet

"Die letzten Verbote haben mich sehr hart getroffen", erklärt Ljawon Wolski. "Schließlich ist das mein Land. Ich mache Musik bedeutend länger als dieses Regime existiert. Und dann verbieten mich diese ungebildeten Leute. Das hat bei mir eine echte Depression ausgelöst. Aber jetzt ist das Verbot nur noch komisch für mich. Es gibt das Internet, wo wir uns austoben können. Und Europa, wo wir auftreten können. Man lädt uns sogar schon nach Russland ein. Ich bin davon überzeugt, dass wir das überleben." Dieses Überleben ist dennoch ein harter Kampf für Musiker, die in ihrem Land unter normalen Bedingungen große Konzertsäle füllen würden.

Lyapis Turbeckoy ist ebenfalls eine Band, die von den Verboten betroffen ist. Die Ska-Punk-Rock-Formation aus Minsk ist im ganzen russischsprachigen Raum bekannt. Früher beschwor Frontmann Sergej Michalok auf ironische Art und Weise die Lenin-Sowjet-Nostalgie in seinen Liedern. Heute liegt diese Märchenwelt in Trümmern. Michalok hat sie selbst eingerissen. Der Abriss begann vor ein paar Jahren. Da hörte Sergej Michalok auf zu trinken, stählte seinen Körper, ließ ihn mit Tätowierungen verzieren, rasierte seinen Kopf kahl und zog in den Kampf für die Freiheit. Mit Liedern wie der Hymne Belarus Freedom vom Album Manifest, auf dem er sich verstärkt dem Agitpop zuwendete.

Im September schließlich explodierte Michalok in seiner Kritik in einer Weise, die die weißrussische Kulturszene lange nicht gehört hatte. In einem Interview mit russischen Journalisten sagte er an die Adresse Lukaschenkos: "Er ist überhaupt kein Präsident. Er vollführt einen Genozid am belarussischen Volk."

Die Minsker Staatsanwaltschaft verkündete, dass sie Michalok wegen Präsidentenbeleidigung belangen wolle. Michalok könnten zwei Jahre Haft drohen. Er befindet sich zurzeit in Moskau und plant vorerst nicht, nach Weißrussland zurückzukehren. Zu Silvester wird die Band in der russischen Hauptstadt auftreten, zusammen mit Ljawon Wolski und dessen Band Krambambulya. Es wird ein weißrussischer Abend werden im Geiste der Freiheit, die nun auch in Russland wieder erwacht zu sein scheint.  (Ingo Petz aus Prag    / DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)