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Die hohen Besucherzahlen machen Dieter Kosslick Freude - wohl auch ein Grund dafür, dass sein Vertrag verlängert wurde.  Kosslick, 62, leitete die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen. Seit 2001 ist er Direktor des Berliner Filmfestivals.

Foto: AP / Michael Gottschalk

Dieter Oßwald sprach mit ihm.Standard: Nach Krise und Kommunikation in den Vorjahren - was sind die thematischen Schwerpunkte der Berlinale 2012?

Kosslick: Migration ist nach wie vor ein brennendes Thema für viele Regisseure. Auffällig ist zudem die hohe Zahl an Filmen aus ganz verschiedenen Ländern, die sich mit dem Thema Rechtsradikalismus und Neonazis beschäftigen und damit, wie rechte Organisationen von staatlichen Stellen gedeckt werden. Oder wie in Ungarn Roma von Rechtsradikalen bedroht werden.

Standard: Voriges Jahr hatte die Berlinale aus Solidarität mit dem mit Berufsverbot belegten iranischen Regisseur Jafar Panahi einen leeren Jurystuhl aufgestellt, welche Aktionen sind diesmal geplant?

Kosslick: Mit Panahi habe ich gerade telefoniert, er steht weiterhin unter Hausarrest. Die Berlinale wird ihn, seinen Koregisseur Mojtaba Mirtahmasb sowie den Filmemacher Mohammad Rasoulof als Ehrengäste einladen. Ich hoffe, dass sie kommen können - und bin dabei recht zuversichtlich.

Standard: Just zum zehnten Dienstjubiläum im Vorjahr hagelte es harsche Kritik am Programm: Was sagen Sie zum Vorwurf der Mittelmäßigkeit und mangelnder künstlerischer Qualitäten?

Kosslick: Ich nehme Kritik durchaus ernst. Aber im Nachhinein mutet es beim Blick auf das Programm seltsam an. Mit Asghar Farhadi, Béla Tarr und Wim Wenders sind drei Regisseure des Wettbewerbs von ihren Ländern für Oscars vorgeschlagen worden und wurden mit zahlreichen Kritikerpreisen geehrt. Viele unserer Filme liefen anschließend auf zahlreichen anderen Festivals rund um die Welt. Und Almanya oder Pina waren in unseren Kinos enorme Publikumserfolge. Auch weitere Filme haben großen Zuspruch erlebt.

Standard: Sie fühlen sich also missverstanden?

Kosslick: Ich fühle mich nicht ungerecht behandelt, zumal es international auch viele positive Stimmen gab. Aber ich wundere mich schon über die teilweise extreme Kritik. Man hat bisweilen das Gefühl, dass ich diese Filme nicht nur ausgesucht, sondern auch noch selbst gemacht hätte.

Standard: Die bisweilen angeregte Idee einer Doppelspitze, wonach dem Festivaldirektor à la Cannes ein künstlerischer Leiter an die Seite gestellt wird, wird es in Ihrem neuen Vertrag nicht geben?

Kosslick: Der neue Vertrag beinhaltet keine Neuerungen, es handelt sich um eine Verlängerung. Aber selbstverständlich reden wir auch über Möglichkeiten, das Profil zu schärfen. Sie haben recht. In Cannes, Venedig und Locarno gibt es schon immer einen Präsidenten, einen künstlerischen Direktor und oft noch einen Geschäftsführer. Bis jetzt macht der Berlinale-Direktor alle drei Jobs.

Standard: Brauchte die alte Tante Berlinale nicht einen Facelift, weil sie durch viele "Specials" im Programm zu sehr in die Breite ging?

Kosslick: In den Berlinale-Specials zeigten wir große Filme wie The King's Speech, die aufgrund ihres Premierenstatus nicht am Wettbewerb teilnehmen konnten. Wir möchten sie aber unserem Publikum unbedingt zeigen. Die Specials wurden sehr gut angenommen. Die Berlinale ist mit ihren zehn Sektionen und rund 400 Filmen grundsätzlich breit aufgestellt. Diese Diversifikation ist aber eher ein Plus, so können wir ganz unterschiedliche Zielgruppen erreichen und unterschiedliche Genres zeigen. Und: Alle Karten sind ausverkauft.

Standard: Die Berlinale zeigt Filme, die bereits auf Robert Redfords Sundance-Festival im Jänner zu sehen waren. Was bedeutet es, wenn Redford im Mai einen europäischen Ableger seines Festivals in London eröffnet?

Kosslick: Im Wettbewerb laufen lediglich Independent-Produktionen aus Sundance. Wenn Redford nach London geht, wird es sicher nicht einfacher. Im Unterschied zu allen anderen Festivals hat die Berlinale allerdings immer noch ein ganz großes Pfund in der Tasche: Wir haben die Zuschauer, wir sind eines der größten Publikumsfestivals weltweit.

Standard: Besser betuchte Berlinale-Besucher könnten das Schlangestehen mit einem First-Class-Angebot umgehen: Für gut 12.000 Euro gibt es Tickets und eine Backstage-Führung plus Essen mit dem Festivaldirektor - wie stark wird dieses "Corporate Circle"-Angebot denn genutzt?

Kosslick: Statt des Essens gibt es nur ein Treffen mit mir, aber das Angebot ist trotzdem ausgebucht. Für Firmen, die ihren Gästen etwas Besonderes auf der Berlinale bieten möchten, ist das ein attraktives Angebot. Unsere 300.000 Kinokarten verkaufen wir natürlich zu einem etwas günstigeren Preis. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)