Gibt es Menschen, die keine Wertschätzung brauchen? Wohl kaum. Joachim Bauer, Neurobiologe und Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, schreibt dazu: "Wir sind - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation ausgelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben." Wenn keine Chance auf Zuwendung besteht, schalten alle Motivationssysteme ab, so Bauer weiter. Nicht zuletzt im Job ist das von nicht unerheblicher Bedeutung.

In Zeiten, da knapp die Hälfte aller Arbeitnehmer für bessere Rahmenbedingungen (nicht Geld!) den Job sofort wechseln würde, gewinnt Wertschätzung zunehmend an Bedeutung - und zwar mit all seinen Dimensionen. Denn was man beim Thema Wertschätzung ganz allgemein sehr gerne außer Acht lasse, seien die vielen anderen Aspekte abseits des Lobes. "Vielfach wird immer nur darauf eingegangen", sagt Paul Jiménez vom Institut für Psychologie, Arbeits-, Organisations-, und Umweltpsychologie der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter der Fachsektion Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologie des BÖP (Berufsverband der Österreichischen PsychologInnen).

Anerkennende Worte oder Gesten seien - unumstritten - Balsam auf die Seele eines jeden. Aber: Was vielfach unterschätzt und sehr wohl auch im Begriff der Wertschätzung enthalten sei, ist "das Akzeptieren von Dingen oder Entscheidungen", so Jiménez, "wenn diese nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen". Das eben auch in der Arbeitswelt.

An diesem Punkt können Führungskräfte enorm viel an Motivation unter ihren Mitarbeitern freisetzen, was ja altbekannt sei. Aber auch umgekehrt hätten nicht wenige Führungskräfte mehr Wertschätzung, ihre Arbeit und Leistung betreffend, verdient, ist sich Jiménez sicher.

Allzu schnell könne Motivation in Demotivation umschlagen, weiß der Arbeitspsychologe. Statistisch bewiesen sei, dass man viermal so schnell demotivieren als motivieren könne. Demotivation werde als Misserfolg wahrgenommen, und der wiederum gebe einem das Gefühl des Kontrollverlustes. "Wie eine Wand, gegen die man läuft und von der man nicht dachte, dass sie da war", beschreibt er das Gefühl.

Illegitime Aufgaben

Ein wahrer Motor für Demotivation und mehr werden in der Forschung unter dem Begriff "illegitime Aufgaben" gesammelt. Häufig im Arbeitsvertrag definiert, verbergen sich darunter Aufgaben, die man oft als "unter seiner Würde" empfindet, so Jiménez. Auch wenn diese rein rechtlich durchsetzbar seien, sagt er, handle es sich im Prinzip um einen Machtmissbrauch. Als Mitarbeiter habe man das Gefühl nicht nur nicht geschätzt, sondern gar nichts wert zu sein. Und schon ist man in der Negativspirale. Oder wie Jiménez sagt: "Wir wissen aus der Forschung, dass die erlebte Wertschätzung das Befinden vorhersehen kann - und zwar bis hin zu Krankheitsfällen." Es ist und bleibe ein Kreislauf, so der Arbeitspsychologe, wenn Führungskräfte positives Feedback geben, dann sind die Mitarbeiter motiviert und die Ersten, die sich positiv zurückmelden.

Ist Geld im Begriffsspektrum der Wertschätzung enthalten? "Geld zählt nicht zu den primären Motivatoren", so Jiménez. "Es gibt Dinge, die Unzufriedenheit nehmen, aber nicht hochzufrieden machen. Geld ist ein kurzfristiger Zufriedenmacher. Diese Zufriedenheit hält rund zwei bis drei Wochen an. Danach relativiert sich das schon wieder", sagt er. Wirkliche Zufriedenheit entstehe nur dann, wenn man mit seiner Aufgabe wachsen könne. (Heidi Aichinger, DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)