Patriotisches Kunstgewerbe: Kriegsglas der Wiener Werkstätte mit dem Motiv der Emden (1915/18), das im Dorotheum zu Bruch ging.

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Die "S.M.S. Emden" auf einer Postkarte aus dem Jahr 1914 (wikipedia.org/wiki/SMS_Emden_[1908])

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Die Störung feindlicher Handelsrouten unter Vermeidung von direktem Feindkontakt verhalf Seiner Majestät Schiff (SMS) Emden zu wahrem Weltruhm. Ausgestattet mit einem falschen Schornstein, der das Aussehen gegnerischer britischer Kreuzer vortäuschte, konnte es am Beginn des Ersten Weltkriegs in zwei Monaten 23 feindliche Handels- und zwei Kriegsschiffe versenken oder aufbringen. Kurz, die Bilanz der Emden war eine vorbildhafte. Im Tamil bedeutet das Wort emtan noch heute "schlauer Fuchs" oder "gewiefter Bursche".

Das Ende des kleinen deutschen Kreuzers erfolgte am 9. November 1914 in einem Gefecht vor den Kokosinseln im Indischen Ozean. Die damals veröffentlichten Medienberichte waren voll des Lobes, nicht nur im neutralen Ausland: Es gäbe "nur wenige Ereignisse in der neueren Seekriegsgeschichte, die bemerkenswerter wären als die glänzende Laufbahn der kleinen Emden", schrieb etwa die Times. Und auch in Österreich hielt der Emden-Hype Einzug, sogar in ausgesprochen gefälliger Form: In der allgemeinen Kriegseuphorie hatte die Wiener Werkstätte (WW) ihr Sortiment um sogenannte "Kriegsgläser" erweitert. Motivisch zierten die von Johann Oertel & Co im böhmischen Haida nach Entwürfen der WW-Künstler ausgeführten Gläser in grafische Dekore integrierte Jahreszahlen, stilisierte Flaggen, politische Sprüche oder eben auch tagesaktuelle Kriegshelden.

Das Becherglas "S. M. Emden", entworfen von Josef Hoffmann (Form) und "Frl. Rix" (Felice oder Kitty, Dekor), dürfte in die Kategorie Bestseller gefallen sein. Rund 90 Ausführungen sind von Mai 1915 bis Ende 1918 im WW-Modellbuch (Mak) verzeichnet. Nur ein Bruchteil überdauerte die Jahrzehnte, weshalb dieses Modell in einschlägigen Sammlerkreisen als Rarität gilt.

Direkter Feindkontakt

Am 23. November gelangte eine solche im Zuge der Jugendstil-Auktion im Dorotheum zur Versteigerung. Zwei Telefonbieter lieferten sich ein kleines Scharmützel, und bei 2.800 Euro setzte sich ein Wiener Kunsthändler durch, der noch weitere 14 Objekte für insgesamt etwa 80.000 Euro ersteigerte. Das Glas sollte ihn zuzüglich der Provision des Auktionshauses 3.444 Euro kosten. Nach Erhalt der Rechnung überwies er (29. 11.) den Betrag. Drei Tage später (2. 12.) pilgerte sein Mitarbeiter ins Dorotheum, der Zahlungseingang wurde vor Ort bestätigt und der Großeinkauf abgeholt.

Nicht aber das Emden-Glas, das - einem veritablen Sprung nach zu urteilen - mittlerweile "direkten Feindkontakt" erlitten hatte. Als es der Dorotheums-Mitarbeiter übergeben wollte, ging es vollständig zu Bruch. "Zufälliger Untergang" nennen Juristen derlei, egal. Der schuldlose Händler ersuchte um Rücküberweisung der bezahlten 3.444 Euro - ein Wunsch, dem das Dorotheum aber nicht zur Gänze entsprechen wollte.

Man bedaure den Vorfall, sei bereit, das Meistbot (2.800) zu refundieren, nicht aber die Differenz (Gebühren), und verwies auf die AGB, wonach "die Haftung für ein ersteigertes Objekt ab dem Zuschlag beim Käufer liegt". Dies sei grob benachteiligend, sittenwidrig und daher unwirksam, attestiert Ernst Ploil, Rechtsanwalt, Sammler und als Kinsky-Teilhaber mit den Gepflogenheiten der Auktionsbranche vertraut. Der Händler habe Anspruch auf die komplette Kostenerstattung, ja sogar auf Schadenersatz aus entgangenem Gewinn. Denn spezialisierte Sammler würden für dieses Glas wohl 5.500 Euro oder auch mehr bezahlen.

Auf Standard-Anfrage reagiert das Dorotheum Anfang dieser Woche etwas irritiert: Die zuständige Mitarbeiterin der Abteilung Sicherheitsmanagement & Versicherung urlaubt, internen Recherchen zufolge würde diese Vorgehensweise gar nicht der "im Haus üblichen Praxis" entsprechen, könne es sich nur um ein "Missverständnis" betreffend den "genauen Hergang des Schadeneintritts" handeln. Die Kaufsumme würde nun doch komplett ersetzt. "Kein Fall gleicht dem anderen", lautet die Erklärung, weshalb alle Sachverhaltselemente geprüft und "einer individuellen Lösung zugeführt werden".

Achtung Abholfristen

Nein, die Rechtsabteilung stünde für ein Standard-Gespräch nicht zur Verfügung, diese wolle sich dazu nur schriftlich äußern. Ein Manöver, um auf einen anderen Aspekt der Causa zu fokussieren? Denn die übermittelte Stellungnahme behandelt das Thema "Annahmeverzug". In diesem befänden sich Käufer, sofern das ersteigerte und bezahlte Objekt nicht prompt bzw. innerhalb der nach den Geschäftsbedingungen gesetzten Frist abgeholt wird. Solche Fristen sind in den auszugsweise in Auktionskatalogen publizierten AGB nur im Zusammenhang mit Lagergebühren (ab 14 Tagen) und Wiederversteigerung (nach 90 Tagen) angeführt, selbst auf der Website finden sich hierzu keine anderen oder ergänzenden Angaben.

Ob, wie in diesem Fall, ein Zeitraum von exakt sieben Werktagen zwischen Auktion und Abholung tatsächlich spezieller Vereinbarung bedarf, muss mangels Gesprächsbereitschaft des Dorotheums offen bleiben. Ebenso, warum theoretisch allgemein gültige Geschäftsbedingungen in der Praxis individuell gehandhabt werden. Bei wichtigen Kunden womöglich großzügiger als bei privaten, die sich von akademischem Paragraphen-Winke-Winke einschüchtern lassen?  (Olga Kronsteiner / DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)