Wirtschaftsforscher Karl Aiginger: "Europa hat nur eine Chance, wenn es größer wird."

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Banken auf Kapitalsuche müssten sich auch nach Investoren aus arabischen Ländern, China oder Norwegen umsehen. Und wenn das nicht reicht, sollen Weltbank, IWF oder Europäische Investitionsbank dabei sein, meint Wifo Chef Karl Aiginger.

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STANDARD: 2012 wird die Wirtschaft kaum wachsen. Gleichzeitig müssen die Banken auf EU-Druck ihr Eigenkapital enorm aufstocken. Ist das nicht der komplett falsche Zeitpunkt? Droht eine Kreditklemme?

Karl Aiginger: Die EU hat sich lange nicht entschlossen, etwas zu machen. Wahrscheinlich wäre das 18 Monate früher besser gewesen. Aber irgendwann muss man das Bankensystem stabilisieren. Es wäre klüger gewesen, nicht einen Prozentsatz des Eigenkapitals festzulegen, sondern absolute Beträge. Diese muss man tatsächlich aufbringen, Prozentsätze kann man auch durch Zurückfahren des Geschäfts erreichen, was eine Gefahr für die Realwirtschaft darstellt. Da bräuchte es Ergänzungsmaßnahmen. Weltbank, Internationaler Währungsfonds oder europäische Instanzen wie die Investitionsbank oder die Osteuropabank EBRD müssten verhindern, dass es zu Kreditklemmen besonders in Osteuropa kommt.

STANDARD: Sollen sich diese Institutionen direkt an den Banken beteiligen? Das wäre ja eine Art Verstaatlichung ...

Aiginger: Nein. Ich wäre für eine kombinierte Strategie. Zum einen müsste man versuchen, am Markt Kapital zu bekommen, inklusive Investoren aus arabischen Ländern, aus China oder Norwegen. Dabei geht es nicht um Mehrheitsbeteiligungen. Aber es wäre absurd, wenn diese Länder Anlageprobleme haben und Europa klagt, dass unsere Banken kein Geld finden. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass die erwähnten internationalen Organisationen vorübergehend Eigenkapital an Banken halten. Man könnte dazu in Europa auch eine neue Organisation schaffen. Dabei geht es nicht um den Staat, der 100 Prozent hält und die Banken zum Sklaven seiner Fiskalpolitik macht. Das wäre eine Drittinstanz, die das als Investment sieht - etwa mit zehn bis 30 Prozent - und den Blick einer internationalen Organisation hat.

STANDARD: 2011 war das Jahr der Eurokrise. War es mit dem heutigen Wissensstand gescheit, von Anfang an beim Euro dabei zu sein?

Aiginger: Unbedingt. Gerade für Österreich war das eine wichtige Entscheidung, weil wir seither von allen Währungsspekulationen ausgeschlossen sind und weil viele unserer Handelspartner zuvor regelmäßig starke Abwertungen vornahmen. Der Schilling wäre vermutlich mit der D-Mark lange stärker gestiegen, wir hätten also eine schlechtere Konkurrenzfähigkeit als mit dem Euro. Man hätte allerdings bei der Aufnahme der Euroländer kritischer sein müssen. Es ist notwendig, dass Griechenland in der EU ist. Ob es ein Euroland werden musste, hätte man stärker von längerfristiger Stabilität abhängig machen sollen. Da war man zu großzügig.

STANDARD: Der Kreis der Euroländer wurde zu weit gefasst?

Aiginger: Ein zu großer Kreis mit einer zu kurzen Beobachtungszeit und einer zu laxen Kontrolle. Deswegen belastet Griechenland die Eurozone, obwohl der Euro selbst ein Erfolgsmodell ist.

STANDARD: Wenn der Kreis zu groß ist, könnte man ihn ja verkleinern.

Aiginger: Dieser Umkehrschluss ist leider nicht möglich. Ist man einmal drinnen, wäre der Austritt mit enormen Kosten verbunden - auch für die, die drinnen bleiben. Wenn ein Haus brennt, muss man jedes Feuer löschen. Man kann dann nicht sagen, die Mieter in der Wohnung Nr. 13 sind selber schuld, also löschen wir nicht.

STANDARD: Wobei wohl keiner die Kosten seriös beziffern kann.

Aiginger: Es lässt sich eindeutig sagen, dass es eine Katastrophe wäre, wenn ein Land ausbricht. Der gesamte Euro würde an Glaubwürdigkeit verlieren. Das ausscherende Land wäre mit starker Anpassungsrezession konfrontiert. Dann reden wir nicht von minus zehn, sondern von minus 30 Prozent. Es gibt dann keine Finanzierung mehr für dieses Land, sondern Kapitalflucht und Zusammenbruch der Banken. Das Land müsste neu aufgebaut werden.

STANDARD: Trotzdem träumen mittlerweile viele von einem getrennten Nord- und Südeuro.

Aiginger: Das ist doch Illusion. Ein Nordeuro würde aus wenigen Ländern bestehen: Neben Österreich und Deutschland wären nur Finnland und die Niederlande dabei. Frankreich könnte maximal Ehrenmitglied sein. Belgien und Italien dürften angesichts ihrer Schulden nicht Mitglied sein. In der Nordzone würde der Wechselkurs um 40 bis 50 Prozent hinaufgehen, wodurch auch diese Länder Exportprobleme hätten. Den Südeuro gäbe es nicht. Diese Länder würden nie eine gemeinsame Zone bilden, sondern als Problemsplitter herumliegen.

STANDARD: Was wäre also Ihr Rat?

Aiginger: Europa hat in der globalisierten Welt nur eine Chance, beachtet zu werden, wenn es größer wird: die heutige EU plus die Länder des ehemaligen Jugoslawien. Und wenn Europa an Randzonen aktiv wird, wenn es Vorbild für den Schwarzmeerraum und Nordafrika wird. Der Anteil Kerneuropas an der Weltproduktion liegt nur bei 13,5 Prozent und wird bis 2050 auf zehn Prozent schrumpfen. Ein Europa mit stark wachsenden Nachbarschaftsregionen bliebe bei einem Weltmarktanteil von 30 Prozent. Damit wäre es die größte Wirtschaftsmacht. Europa kann sich also entscheiden, ob es 2050 ein globalisiertes Dorf sein will oder ein weltweiter Spieler. (Günther Oswald, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 30.12.2011)