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Rote Privacy-Schleife

Mark Zuckerberg ist am Morgen in Wien gelandet. Eine Delegation aus Landtagsabgeordneten, SPÖ-Sektionschefs und Blumenmädchen bildet das Empfangskomitee. Der Facebook-Chef ist in die österreichische Hauptstadt gekommen, um einen Internet-Pionier zu ehren. Werner Faymann wird heute für seine Verdienste um Social-Media der blaue Facebook-Orden am Bande mit roter Privacy-Schleife verliehen. Am Nachmittag wird es zwischen einem Telefonat mit Niko Pelinka und der Aufzeichnung der Weihnachtsansprache ein kurzes Treffen zwischen Kanzler und Webseitenbetreiber geben. Der Kanzler ist beschäftigt. Er muss regieren.

Die Jury aus Zuckerberg und Zuckerberg kam zu der Erkenntnis: Faymann hat die Art, wie wir auf Facebook kommunizieren, geradeweg revolutioniert. Bisher dachten wir, es komme auf die Kommunikation zwischen Nutzern an, seit Faymann wissen wir, es kommt auf die Nutzer, die Menschen an. Wie kein anderer stellt er durch die Nutzung eines Teams gängige Konzepte des Individuums und der Authentizität in Frage, die Botschaft vor den Dialog. Ein besonderer Verdienst ist die Integration von falschen Freunden, das überwinden der Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit. Darüber hinaus hat er sein Team davon überzeugen können das Revolutionsmedium 'Twitter' seit November nicht mehr zu nutzen.

Zuckerberg war vor dem Treffen sichtlich nervös. Was sollte er diesen Revolutionär fragen, diesen Großmeister der subtilen Kommunikation, der seine kleine, unbedeutende Internetseite erst zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Durfte er sich neben Angelika Feigls Flügel ablichten lassen, vielleicht das Team Bundeskanzler kennenlernen? Doch dann auf der Fahrt nach Wien kam ihm ein Gedanke, welche Frage er Faymann stellen möchte, wenn er denn darf: Was ist ein Leserbrief und wie lange bleibt der gespeichert?

Foto: AP/Sakuma

One-Way-Tickets sind teurer

Ernsthaft: Eines hat Werner Faymann mit seinem Facebook-Auftritt erreicht. Man redete über und auf Twitter und Facebook über ihn. Nicht immer positiv, aber zumindest Aufmerksamkeit war im sicher. Mit ihm kommuniziert man weniger, aber das ist so eine Sache mit der Kommunikation. One-Way-Tickets sind ja auch beim Fliegen teurer und man weiß nicht, ob es einem in dem Land auch gefällt. In unserem Fall heißt das Land Österreich. Ein Team assistiert dem Kanzler in seinem Treiben, ein Satireformat bedient sich seines Antlitzes und seiner Rhetorik. Sehr lange vor dem Start angekündigt, dumpf gelandet, hoch gepokert, schnell gestrandet. Was schief gehen kann, ging schief. Die eine Hand (Bundespressedienst) wusste nicht, was die andere Hand (SPÖ-Löwelstraße) machte. Falsche Freunde, fehlende Twitter-Strategie und zu frühe Ankündigung inklusive. Und beim allem bleibt die Frage: Ist es Aufgabe des Bundeskanzleramts für den Bundeskanzler eine Facebook-Seite zu betreuen oder würde dies nicht sinnvollerweise in den Bereich der SPÖ fallen?

Doch nicht nur Faymann wühlte die Twitteria oder Facebook-Community auf. Werfen wir einen Blick zurück durch das Social-Media-Jahr, oder zumindest was davon in Erinnerung blieb.

Foto: Screenshot

"Kanzler der Herzen"

Für gehörig Wirbel sorgte neben dem Kanzler im Herbst auch ein gewisser @wernerfailmann, vom Beruf Kanzlerdouble, das es zu leicht doppelt so vielen Freunden und Followern gebracht hat als der echte Faymann. Eine eigene #csifailmann beschäftigte sich mit der Enttarnung des ständig twitternden Doppelgängers. Bislang ohne Erfolg. Seine Identität ist noch immer nicht restlos geklärt, eine Single ("Kanzler der Herzen") wurde herausgebracht und sogar Presseaussendungen verschickt, von Interviews, Chats und Themenseiten ganz zu Schweigen. Die Professionalität des Doubles wäre beim Original manchmal wünschenswert gewesen.

Zu schön, zu gut, zu intelligent

Eine Erkenntnis nehmen wir aus diesem Jahr mit. So schön wie Karl-Heinz Grasser könnnen wir keine Briefe vortragen. Es braucht ein wenig Chuzpe nach all den Anschuldigungen vor laufender Kamera diesen Brief zu verlesen, aber vielleicht lernen wir das auch noch.

Grasser war in diesem Jahr mehrmals Thema auf den Social-Media-Kanälen. Das wird wohl auch 2012 so sein. Unter dem Kürzel #grassermovies wurden Filmtitel auf das Oeuvre des Ex-Finanzministers angepasst. Daraus wurde dann zum Beispiel "Die verlorene Ehre des KHG" oder "Der buwogte Mann". Was die Leistung der Twitteria war, kann in diesem Fall auch hier nachgelesen werden. Bei einem Online-Voting wurde übrigens der Titel "Die fabelhafte Welt der Amnesie" zum besten grassermovie gewählt.

Die Gepäcksträgerin

Es war sicher kein leichtes Jahr für die ÖVP. Obmann weg, Umfragen im Keller, Skandale um Korruption, Rücktritte im EU-Parlament, eine langwierige Chefsuche in Wien. Doch auch unterhalten hat uns die "Volkspartei". In Tirol tauchte im Frühjahr dieses Video auf, es sollte eigentlich zeigen, was Frauen nicht alles leisten. Die Aufbereitung war jedoch vollgepackt mit stereotypen Frauenklischees und Sexismen. Auch wenn die Intention der Tiroler ÖVP-Frauen eine andere war, geredet hat man nur über das vermeidlich verquere Frauenbild der ÖVP. Nachzulesen übrigens auch in einer unserer Blogschauen.

Shortly, whitout von delay

Eurokrise, Schuldenkrise, Schuldenbremse, Griechenland, Portugal, Ratingagenturen, Triple-A, Hebel - die Medienwelt war heuer voll von Finanzbegriffen und Untergangsszenarien.  Schön, dass in Österreich wenigstens eine Person den Durchblick hat. Finanzministerin Fekter kümmert sich um die Schuldenkrise, quasi "shortly and without von delay". Na dann kann uns ja nichts passieren. Das dazugehörige Video hat mittlerweile Kultstatus.


Kafka und die Sex-Schule

Gut - auch wir haben uns von der Jungen Industrie täuschen lassen. Mit zwei Aktionen, einem vor Fehler strotzendem Kafka-Roman und einer Sexschule, machten die vermeidbaren Medienkünstler The BirdBase auf sich aufmerksam. Man wolle in der Bildungspolitik und in der Pensionsdebatte aufrütteln, hieß es zunächst. Dann kam heraus, dass selbst die Medienkünstler ein Hoax waren, dass die Junge Industrie dahinter steckt. Viele, die davor die Aktionen für gut befanden, waren danach peinlich berührt ob der Tatsache, etwas gut zu finden, was aus der Industriellenvereinigung kommt. Auf die politischen Anliegen der jungen Industrie haben sich die Aktionen nicht ausgewirkt, da war das ganze wohl einmal zu oft um die Ecke gedacht. Lustig und entlarvend für Medien wie Konsumenten war die Aktion aber alle Mal.

Absprung für einen Bundespräsidenten

Bundespräsident Heinz Fischer hat in diesem Jahr auch seine Internetpräsenz ausgebaut. Auf Facebook ist er ja schon länger, ein Video von einem Fallschirmsprung zeigte den obersten Mann im Staate von einer ungewohnt waghalsigen Seite und liefert gleichzeitig eine Breitseite gegen Norbert Darabos, der bekanntlich in diesem Jahr das Berufsheer einführen wollte. Fischer unterstützt demonstrativ die Truppe. So macht man international auf sich aufmerksam und weist auf seine neue Homepage hin. Hier wurde nichts lange angekündigt, hier wurde einfach abgesprungen. So soll es sein.

Wutbürger

2011 war ja auch das Jahr des Wutbürgers, des Bürgers, dem alles reicht. Geprägt wurde das Wort in Deutschland im Zuge der Stuttgart 21 Proteste durch den "Spiegel". Was genau diesen zornigen Bürger ausmacht (Die Wut, der Zorn kann es ja nicht allein sein), was seine Anliegen oder Forderungen sind, damit können wir uns ja 2012 beschäftigen. In Österreich sorgte Roland Düringer mit seinem Auftritt im Dorfers Donnerstalk im Dezember für Furore im Social Web. Das Interview mit Roland Düringer zählt zu einem der meistglesenen auf derStandard.at.

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Nudelsieb am Kopf

Mit einem Nudelsieb am Kopf beantragte der Wiener Unternehmer Niko Alm einen Führerschein, als bekennendes Mitglieder der Pastafaris, argumentierte Alm, sollte es ihm gestattet sein, seine religiöse Kopfbedeckung - in dem Fall ein Nudelsieb - auch auf einem offiziellen Dokument aufzubehalten. Er bekam seinen Führerschein nach einigen Jahren schließlich ausgestellt (siehe Chat mit Niko Alm). Die Meldung des Mannes mit dem Nudelsieb auf dem Kopf ging um die Welt. Und fand Nachahmer im Netz. Die besten Kopfbedeckungen wurden schließlich von den Initiatoren des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien gekürt. Gewonnen hat übrigens ein Herr, der bekennder Zebraniker ist.

Foto:APA/Hochmuth

Das AG-Monster

Heuer war ja ein besonderes Jahr. Es gab keine österreichweite Wahl. Auch wenn man das oft nicht merkt, gewählt wird erst wieder 2013. Im ausgehenden Jahr wurde zumindest die Entzugserscheinungen des politisch-interressierten Österreichers durch die ÖH-Wahl ein wenig gestillt. Wie bei jedem Wahlkampf gibt es Dinge, die klappen, und Dinge, die weniger gut klappen. Bei diesem Video der Aktionsgemeinschaft Salzburg stand wohl eher die ÖVP-Tirol mit Rat und Tat zur Seite. Aber zumindest in Erinnerung blieb man dadurch.

FPÖ und rechte Recken

Über die Tücken des Internets stolperte heuer auch ein FPÖ-Nationalratsabgeordneter, Werner Königshofer. Nach den Attentaten von Oslo verglich Königshofer auf seiner Homepage die Fristenlösung mit den Attentaten. Auch diverse Facebook-Kommentare nahe des rechten Rands trugen dazu bei, dass Könishofer schließlich sein Mandat zurücklegte. Rechtsextreme Wortmeldungen gab es heuer auch wiederholt auch auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache selbst. Allzu freizügig gingen auch andere FPÖ-Politiker auf Facebook mit ihren Freunden und Gruppen um.

Der Wurf einer Wurstsemmel in Richtung Heinz-Christian Strache und die anschließende grobe Zurrechtweisung des Werfers durch das Sicherheitspersonals des FPÖ-Chefs sorgte auch für virtuelle Reaktionen. Die "Wurstbürger" streben auf ihrer Facebook-Gruppe "Kann diese Wurstsemmel mehr Fans haben als Strache?" nach mehr Freunden als der FPÖ-Chef hat. Dieser hat zumindest nach einer Experteneinschätzung den professionelsten Umgang auf Facebook (siehe: Die großen Zehn der Innenpolitik in Social Media). Mehr Freunde hat aber ein Ziegelstein.

Foto: Screenshot

Ursula Stressned

Gegen Ursula Stenzel richtete sich eine Cover-Version des Duck Sauce-Hits Barbra Streisand. Mit "Ursula Stressned" protestierte man gegen die Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks. Stenzel forderte seit Jahren regidere Sperrstundenregelungen in der Inneren Stadt. Die Wiener Party-Szene schlug zurück und siegte, seit September gilt die Sperrstunde ab sechs Uhr in Wien.

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Für Aufregung sorgte Ende Dezember die Bestellung von Nikolaus Pelinka zum Büroleiter von ORF-Chef Alexander Wrabetz. ORF-Journalisten und andere Twitteranten beschwerten sich lautstark. Doch auch ein Double hat der vormaligen SPÖ-Stiftungsrat bereits. Unter @ORF-Büroleiter wird gegengetwittert. Nur eines von vielen Beispielen von virtuellem Protest im Jahr 2011.

Was bleibt: Soziale Netzwerke, auch wenn deren Nutzung in Österreich ausbaufähig ist, sind noch stärkerer Teil der politischen Kommunikation geworden. Politiker treten aufgrund von Äußerungen in der virtuellen Welt zurück, die Bevölkerung mischt sich mit zahlreichen Satire-Videos, Twitter-Meldungen und Facebook-Likes direkt in den politischen Diskurs ein. Politiker lernen zu kommunizieren oder sie verwenden ihre alt eingefahrenen Stilmuster. Das, was in einem Leserbrief wirken kann, kommt online hölzern an. Manche Politiker wissen das Netz für sich zu nutzen, manchen wird es zum Verhängnis. (seb, derStandard.at, 30.12.2011)

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