Dieses Medikament nur am Freitag nehmen, besagt das Kreuzerl. Der Hausarzt übersah es, die Patientin starb.

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Wien - Die Patientin war, wie es im Fachjargon heißt, multimorbid, sprich: fast 80 Jahre alt und schwerkrank. Zwei Wochen hatte sie im Krankenhaus verbracht, wo man sie neu auf ihre Medikamente eingestellt hat. Die Liste der verschriebenen Arzneien war lang, so lang, dass eigentlich kein Mensch den Überblick bewahren kann - schon gar nicht in dem Zustand, in dem sich die Patientin befand.

Die Übermittlung des Entlassungsberichts vom Krankenhaus an den niedergelassenen Arzt dauert in der Regel zwei Wochen; doch so viel Zeit hatte die Patientin nicht, denn der Hausarzt musste rasch die etwa 15 verschiedenen Medikamente verschreiben, die die Patientin brauchte. Also gab ihr das Spital einen vorläufigen Entlassungsbericht mit - mit einer handschriftlich notierten Diagnose und einer Medikamentenliste, die für den Laien schon schwer zu entziffern ist.

In diesem Fall hatte auch der Hausarzt offenbar seine Probleme mit der Dokumentation des Spitalsarztes. Um den Angehörigen der Patientin eine bessere Übersicht über deren Medikation zu verschaffen, machte er - wiederum handschriftlich - einen Übertrag mit den Namen der Medikamente sowie der Information, wann und wie oft diese einzunehmen seien - ganz formlos auf einem A4-Zettel. Zweifellos wollte er der Patientin und ihrer Familie damit das Leben leichter machen, dennoch unterlief ihm ein fataler Lapsus. Auf dem unübersichtlichen Entlassungsbericht übersah er das Kreuzerl (siehe Faksimile), das der Spitalsarzt gemacht hatte - es bedeutete: Nur jeden Freitag nehmen.

Den Anweisungen des Hausarztes folgend, gaben die Angehörigen der Patientin jeden Tag neben den ganzen anderen Tabletten das Rheumamittel Ebetrexat, das bei Überdosierung unter anderem schwere Leberschäden nach sich ziehen kann. Knapp zwei Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war die Frau tot.

Mehrmals pro Jahr wandern Fälle wie diese über seinen Tisch, sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger. Obwohl niemand mutwillig falsch handle, komme es durch Abstimmungsfehler zwischen Spitälern und niedergelassenen Ärzten immer wieder zu falschen Verschreibungen. Ganz abgesehen davon, dass die Patienten oft überfordert seien: "Wir haben Patienten, die 40 Medikamente pro Tag verordnet bekommen" , sagt Bachinger. "Die WHO stellt fest, dass schon ab fünf Medikamenten täglich niemand mehr weiß, wie diese miteinander reagieren."

Umkämpfte E-Medikation

Geschichten wie diese sind für den Patientenanwalt das wichtigste Argument für die elektronische Dokumentation der Medikamentenverschreibung. Noch bis Jahresende läuft ein Pilotprojekt, bei dem die E-Medikation in Tirol, Oberösterreich und Wien getestet wird - unter teils heftigem Protest der Ärzteschaft, die Mängel beim Datenschutz befürchtet. Ärztekammerpräsident Walter Dorner will die E-Medikation zwar grundsätzlich, wittert hinter dem Projekt aber auch ökonomische Interessen, wie er im STANDARD-Interview erläuterte: "Die EDV-Firmen wollen nur ein Geschäft daraus machen, denen hängt schon die Zunge bis zum Boden."

In der Pilotphase gab es auch andere unangenehme Nebengeräusche: Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, den das Gesundheitsministerium mit der Durchführung beauftragt hatte, wurde vom Bundesvergabeamt bereits zu 24.000 Euro Geldbuße verurteilt, weil die Software, die die Ärzte in ihren Ordinationen verwenden, nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben worden war. Das Gesundheitsministerium hält jedenfalls an der österreichweiten Einführung der E-Medikation fest, der Start wurde aber vom Sommer 2012 auf das Frühjahr 2013 verschoben.(Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 29.12.2011)