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"Es gibt eine immer größer werdende Anzahl von Menschen, die glaubt, dass die Welt generell immer schlimmer und schlechter wird", identifiziert Matthias Horx eines der größten gegenwärtigen Probleme.

Foto: APA/Gindl

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"Wenn Sie einen Terror-Anschlag haben und keiner berichtet darüber, wird den Terroristen schnell die Motivation fehlen", so der Zukunftsforscher.

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"Wir leben in der sichersten, wohlständigsten Zeit, die es jemals gab", sagt der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx, der in Wien lebt. Um diesen Fakt den Menschen näher zu bringen, fordert der 56-Jährige eine "mentale Koalition der Bedächtigen, der Vorsichtigen". Im Interview erklärt Horx auch, warum sich die Maya-Kultur vor lauter Angstbannung selbst zerlegte, blinder Optimismus für die aktuelle Finanzkrise verantwortlich ist und man über Ratingagenturen und Terroristen nicht berichten soll.

derStandard.at: Sie plädieren für Zukunftsoptimismus und sagen die Welt werde nicht schlechter. Was stimmt Sie so optimistisch?

Horx: Ich plädiere nicht für blauäugigen Optimismus, sondern verteidige eine ausgewogene Mischung aus Realitätssinn und Zuversicht. Die scheint mir in der öffentlichen Debatte zunehmend abhanden zu kommen. Wenn man sich als Zukunftsforscher aber ein wenig mit den fundamentalen Trends in Gesellschaft und globaler Wirtschaft beschäftigt, kommt man schnell zu dem Schluss, dass das meiste, was wir über die Zukunft zu wissen glauben, schlichtweg falsch ist.

derStandard.at: Warum nehmen das viele Menschen nicht wahr?

Horx: Das liegt überwiegend an den Medien, für die halt nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist. Aber auch an der menschlichen Psychologie. Wir sind von der Evolution als Angstwesen konstruiert, damit wir Gefahren rechtzeitig wahrnehmen können. Das Problem liegt darin, dass wir in einer total vernetzten Medienwelt nicht mehr unterscheiden können, was wahr ist und was nicht. Damit wuchern die Ängste zu einem diffusen Weltuntergangsgefühl.

derStandard.at: In einem Artikel verwenden Sie den Begriff der kollektiven Angsthysterie: Ist das Denken und Handeln der Menschen dermaßen von Ängsten dominiert?

Horx: Das ist gerade im Zusammenhang mit der Finanzkrise ein deutlich wahrzunehmendes Phänomen. Die Meinungen, die wir über die Dinge haben, sind selbst wiederum Teil des Krisensyndroms. Es geht hier um verselbstständigte Angst, Angst vor der Angst. Die eigentlichen Anlässe, wie die Staatsverschuldung, sind Fakten, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Aber menschliches Verhalten, Erwartungen, prägen ja auch die Ökonomie. Wenn alle zur Bank rennen und ihr Geld abheben, haben wir eine echte Katastrophe. Hysterien und populistische Zuspitzungen von Ängsten haben in der Geschichte schon fatale Rollen gespielt, das hat eine unheilige Tradition.

derStandard.at: Was meinen Sie mit Krisensyndrom?

Horx: Es gibt eine immer größer werdende Anzahl von Menschen, die glaubt, dass die Welt generell immer schlimmer und schlechter wird. Die Renten, die Arbeitsplätze, die Kriminalität, die Natur etc. – man tauscht diese Ängste untereinander aus und verstärkt sie dabei noch. Die Trivial-Medien wirken dann wie ein Brandbeschleuniger. Das Ergebnis ist eine massive Realitätsverzerrung.

derStandard.at: Wie sieht unsere Realität tatsächlich aus?

Horx: Wir leben in der sichersten, wohlständigsten Zeit, die es jemals gab. Auch wenn es weltweit noch Kriege und Armut gibt, ist dies alles in Bezug auf sieben Milliarden Menschen viel weniger als früher geworden. Hierzulande hat man aber das Gefühl, dass wir uns in einer total fragilen Untergangswelt befinden. Viele glauben, dass Kriminalität massiv zunimmt, dabei nimmt sie massiv ab. Das sind Fehlwahrnehmungen, die dann über den Weg des Populismus ganz schnell in einer gefährlichen Politik enden können.

derStandard.at: Warum glauben die Menschen, dass alles schlechter wird?

Horx: Die Kognitionspsychologie gibt uns dafür einige Erklärungsmuster. Eine davon ist die "confirmation bias". Das heißt: Menschen neigen dazu, einmal aus einer Erregungssituation heraus eingenommene Sichtweisen um jeden Preis zu verteidigen, und sie nehmen dann nur noch Informationen wahr, die diese Meinung bestätigen. Wenn wir pessimistisch drauf sind, lassen wir nur noch negative Nachrichten an uns heran. Zweitens gibt es die "availability bias" und den "Anker-Effekt": Wenn wir uns die Zukunft vorstellen wollen, greifen wir automatisch auf Bilder zurück, die in unseren Hirnspeichern gewissermassen an der Oberfläche liegen, weil sie so drastisch sind. Und das das sind immer Katastrophenbilder: Überschwemmungen, Krieg, Hunger, Gewalt. Und schließlich gibt es noch den "Fahrstuhl-Effekt": Je wohlständiger wir werden, desto signifikanter empfinden wir die "Restübel". Wir setzen gewissermaßen die Latte der Ansprüche immer ein Stücken höher. Deshalb "erfinden" wir dauern neue Krankheiten und Symptome, denken wir etwa an Burnout. Das gab es immer schon, aber wir haben es früher eben nicht problematisiert.

derStandard.at: Haben Ängste auch eine Funktion?

Horx: Ängste sind generell produktiv, sie sollen uns wach machen, um zu kämpfen, zu flüchten oder auch zu verhandeln. In einer gefährlichen Umwelt, in der Urzeit, kam es dabei nicht auf die Details an, unser Angstmechanismus ist gewissermaßen "grobmotorisch" eingestellt. Denn bei den Urmenschen war es sinnvoll, lieber ein Gefahrenmuster zu viel zu erkennen als eines zu wenig . Die Überreaktion war bei unseren Vorfahren "eingebaut", die besonders Nervösen haben überlebt. Diese Verhaltensweise haben wir bis in die Neuzeit beibehalten, aber in einer modernen, komplexen Welt führt sie zu einem "zivilisatorischen Reiz-Syndrom". Wir können die Spannung und Erregung gar nicht mehr durch Handlung abbauen. Wo sollen wir denn anfangen? Wer ist denn der Feind? Wir sind dauernd auf Adrenalin und fühlen uns ohnmächtig. Daraus kann eine kollektive Depression entstehen. Oder auch die Produktion von Feindbildern, etwa Ausländern.

derStandard.at: Können Ängste eine Gefahr für die Demokratie darstellen?

Horx: Genau das ist der Punkt. Übersteigerte Ängste können in der Tat ganze Zivilisationen zerstören, denken wir nur an die Maya-Kultur, die sich in einer ständigen Steigerung von Angstbannungsritualen schließlich selbst zerlegte. Das gilt auch in kleineren Systemen, beispielsweise in der Ehe: Wenn man dauernd das Gefühl hat, dass der Partner einen betrügen will, dann stellt man diesen Zustand vielleicht selbst her. Wenn man dauernd das Gefühl hat, dass die Politiker einen betrügen, dann ist man irgendwann Teil einer undemokratischen Bewegung. Das hat sich in den vergangenen Jahren massiv gesteigert.

derStandard.at: Kann man die Gesellschaft zu mehr Optimismus erziehen?

Horx: Nein, man kann aber daran arbeiten, dass sich die Besonnenen und Vernünftigen besser vernetzen und organisieren. Es gibt inzwischen auch eine Gegen-Bewegung gegen die Hysterisierung: die mentale Koalition der Bedächtigen, der Vorsichtigen – die kann man stärken.

derStandard.at: Kann zu viel Optimismus frustrieren?

Horx: Ja natürlich. Blinder Optimismus erhöht die Gefahr von Abstürzen. Er hat massiv zur Finanzkrise beigetragen, die ja in Amerika ihren Anfang nahm. Die Leute waren einfach zu optimistisch, was Kredite, Banken und Zukunft betraf. In Österreich und Deutschland haben wir dieses Problem nicht, wir haben keinen blauäugigen Überschuss. Ein gesundes Verhältnis zwischen Optimismus und Vorsicht zeichnet ein gesundes Leben aus. Das heißt eben auch Verantwortungsübernahme: für etwas einzustehen, wenn es darauf ankommt, auch wenn es mal schwierig wird. Demokratie etwa, oder Europa. Diese Geisteshaltung nennen wir Possibilismus: auf das Mögliche vertrauen.

derStandard.at: Wie sieht ein possibilistisches Weltbild aus?

Horx: Wir haben das Privileg, heute Probleme zu bearbeiten, die wir uns früher gar nicht "leisten konnten", obwohl sie durchaus existiert haben. Waren Ehen früher glücklicher als heute? Natürlich nicht. Aber wenn Sie in den Medien über die steigende Scheidungsrate lesen, haben Sie genau dieses Gefühl. Gab es früher weniger Depressionen als heute? Nein, wir diagnostizieren heute zum ersten Mal Depressionen öffentlich. Wir bearbeiten also das, was früher "Luxusprobleme" waren. Auf diese Weise entstehen graduell Fortschritt und ständige Verbesserung. Wir steigen gewissermaßen auf dem Ast der Möglichkeiten nach oben, indem wir uns immer neue, verfeinerte Sorgen machen. Das ist gut so, aber es heißt eben keineswegs dass alles immer schlechter wird, sondern dass es so weit besser wird, dass wir uns um Verdrängtes kümmern können.

derStandard.at: Sie haben in einem Interview gesagt, "eine chronische Depression lähmt unsere Gesellschaft": Woher kommt die negative Grundhaltung in der Gesellschaft?

Horx: Das bezog sich in erster Linie auf Deutschland und Österreich. Hier gibt es die historische Erfahrung eines mehrfachen Zivilisationszusammenbruchs. Wir trauen dem Frieden und dem Fortschritt nicht, weil wir als Gesellschaft historisch traumatisiert sind. Unsere Eltern und Großeltern haben schreckliche Dinge im Krieg erlebt, Hyperinflation, Hunger. Wir fürchten, dass das wiederkommt. In gewisser Weise haben wir ein schlechtes Gewissen, heute im Wohlstand zu leben, und sehnen uns unbewusst nach Bestrafung: "Ihr habt das nicht verdient!". Darin finden sich immer noch Elemente der alten Elternvorwürfe – "Euch gehts zu gut" – und auch religiöse Schuldmotive. Wenn Sie mit Skandinaviern oder Angelsachsen reden, erleben Sie das nicht oder zumindest weniger.

derStandard.at: Aber die momentane Finanzkrise ist auch in diesen Ländern allgegenwärtig, ebenso wird dort über Terroranschläge oder Katastrophen, wie jene im AKW Fukushima. Wie schaut ein besserer medialer Umgang mit solchen "Ereignissen" aus?

Horx: Ein richtiger Umgang mit Bedrohung ist die Einordnung im Kontext. Alle Medien kämpfen um die eine knappe Ressource und das ist die menschliche Aufmerksamkeit. Das Wichtigste ist, dass eine Schlagzeile gelesen wird. In Deutschland gibt es das Phänomen der "scripted reality": Skandale und Alltagskatastrophen werden dort künstlich nachgespielt, die Zuschauer halten das aber für echt. In diese Richtung wird es immer mehr gehen. Oder man zeigt abends im Fernsehen einen dramatischen Spielfilm und danach eine Talkshow über das Problem, obwohl es eine fiktive Geschichte war. Die Medien fangen an, zu Produzenten von angsterregenden Wirklichkeiten zu werden. Das führt irgendwann zu einem Kollaps. Den Zuschauern wird ein einziges Drama des Zusammenbruchs vorgespielt. Sie sind dann nicht mehr in der Lage, Informationen zu sortieren und einzuordnen.

derStandard.at: Gibt es einen Bedarf an guten Nachrichten?

Horx: Das muss nicht unbedingt eine gute Nachricht sein, schon eine konstruktive Fragestellung kann einen konstruktiven Effekt haben. Die Fragen machen die Zukunft. Wenn man immer nur fragt: "Wer ist schuld an der Finanzkrise, und wann bricht unser Geld zusammen?" verstärkt man die Krise. Wenn man aber fragt "Welche Botschaft gibt uns die Finanzkrise für die Zukunft unseres Kontinents auf den Weg?", sieht die Welt schon ganz anders aus. Es geht um innere Haltungen, die Konstruktivität zulassen.

derStandard.at: Wie stark hemmen Ängste Innovationsfreude und Glücksempfinden?

Horx: Menschen sind immer dann glücklich, wenn sie Probleme lösen können. Das heißt, wir kommen dann voran, wenn wir Ängste überwinden, uns etwas trauen und uns auch einmal aus der Komfortzone herausbewegen. Das ist der Kern des Erwachsenwerdens: aushalten, stehenbleiben, handeln. Es sind also nicht Ängste, die das Glück behindern, sondern der falsche, regressive Umgang mit ihnen.

derStandard.at: Nicht nur Boulevardmedien dramatisieren, es gibt auch genügend Politiker, die populistisch agieren und mit übersteigerten Ängsten Politik machen.

Horx: Klar, denn Ängste sind das beste Kapital für Politik. Das geht hin bis zum Terrorismus: Terrorismus braucht die Verstärkung durch Massenmedien. Angst wird nur zum Terror, wenn er sich in Bildern unendlich vervielfältigt. Wenn Sie einen Anschlag haben und keiner berichtet darüber, wird den Terroristen schnell die Motivation fehlen. Wenn eine Ratingagentur schon wieder einem europäischen Staat mit Herabstufung droht, erzeugt das nur dann den entscheidenden Effekt, wenn alle Medien in aufgepumpten Schlagzeilen darüber berichten. Wenn man das einfach ignorieren oder auch nur nüchtern auf einer Fünfzeilen-Meldung bringen würde, wäre dieser Verstärkungseffekt weg. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 3.1.2012)