In der Weihnachtsausgabe des HVG, der Budapester Wochenzeitung, wurde ein höchst aktueller Auszug aus dem vor 65 Jahren geschriebenen, aber erst vierzig Jahre später erschienenen Buch des großen Denkers Istvan Bibo (1911- 1979) veröffentlicht.

"Demokrat zu sein bedeutet vor allem, keine Angst zu haben" schrieb Bibo und warnte davor, dass "im permanenten Gefühl der Angst, der Gefährdung all das zur Regel werden könnte, was die wahren Demokratien nur in der Stunde der wahren Gefahr kennen: die Einschränkung der Freiheitsrechte, die Zensur, die Suche nach den 'Söldnern' des Feindes, nach den 'Verrätern' und die Forcierung der Ordnung oder des Scheins der Ordnung und der nationalen Einheit auf Kosten der Freiheit."

In diesen Tagen spürt man auf Schritt und Tritt in Budapest die Angst vor der Zukunft, vor allem vor dem wirtschaftlichen Bankrott des Landes, nach dem bereits zwei Ratingagenturen (Moody's und Standard & Poor's) Ungarns Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau herabgestuft haben.

Vor einigen Wochen behauptete noch Ministerpräsident Viktor Orbán, dass Ungarn nicht mehr von der EU und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig sei, auf eigenen Füßen stehe und sich durch Kredite vom internationalen Geldmarkt finanzieren würde.

Zugleich erreichte die politische und Medienkampagne gegen die Unabhängigkeit der Notenbank und vor allem gegen deren standhaften und international angesehenen Präsidenten András Simor einen neuen Höhepunkt. Trotz der beispiellos scharfen Mahnungen von Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der Europäischen Zentralbank hat Orbán mit seiner Zweidrittelmehrheit allein am vergangenen Freitag 16 Gesetze und Verfassungsgesetze nicht nur über die Notenbank, sondern unter anderen auch über ein neues Wahlsystem durchgepeitscht.

Viktor Orbán hat in einem großen Weihnachtsinterview die Schuld für die Wirtschaftsmisere auf die Misswirtschaft der sozialliberalen Regierungen und auf die Weltwirtschaftskrise abgewälzt. Herausragende unabhängige Finanzexperten sprechen dagegen von einer hausgemachten Krise und führen diese auf das Scheitern der dilettantischen Wirtschaftspolitik der Regierung zurück. Der Forint befindet sich im freien Fall, nicht nur die Investoren, sondern auch viele Ungarn fürchten eine Pleite und legen ihre Ersparnisse auf Konten bei Banken in Österreich an.

Der IWF und die EU hatten Ungarn bereits 2008 mit Notkrediten von rund 20 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott gerettet. Orbán kündigte nach seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr den IWF-Vertrag. Es ist kaum anzunehmen dass er nun, wie ein bekannter Feuilletonist dieser Tage schrieb, "barfuß, mit dem Hut in der Hand, bescheiden um Kredite bitten" wird.

Obwohl in Budapester Intellektuellenkreisen die wildesten Gerüchte über ihn kursieren, deutet nichts auf eine Palastrevolte in seiner Partei gegen den de facto Alleinherrscher Ungarns hin. Trotz der Welle der Protestdemonstrationen bleibt die Opposition schwach und zerstritten. Die größte Gruppe bilden die Nichtwähler und die Unentschiedenen.

Der international scharf verurteilte Entzug der Frequenz für Klubradio, den letzten regierungskritischen Sender, zeigt allerdings auch die wachsende Angst Orbáns und seiner Hofschranzen vor dem freien Wort. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.12.2011)