Der Phantomschmerz über ein verlorenes Land sitzt auch 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion bei vielen Russen noch tief. Die Nachfolgeorganisation Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) konnte das Vakuum nie richtig füllen. Mit der Eurasischen Union hingegen verbindet der Kreml neue Hoffnungen. Sie soll wirtschaftlichen Aufschwung, größeren Einfluss und ein neues Selbstbewusstsein bringen.

Der Plan einer Eurasischen Union ist derzeit das Lieblingsthema von Russlands Premierminister Wladimir Putin. Eigentlich wollte er die Idee zur Vision seines Präsidentschaftswahlkampfs machen. Nach den Manipulationen bei der Dumawahl und den anschließenden Massenprotesten verkommt sie nun zum Randthema, obwohl Putin logischerweise viel lieber darüber sprechen würde als über Wahlfälschungen.

Vorbild EU

Es gehe um die Integration der früheren Sowjetrepubliken, ohne eine Rückkehr zur Sowjetunion, betont Putin. "Es ist naiv, etwas restaurieren oder kopieren zu wollen, was schon der Vergangenheit angehört", so der Regierungschef. Stattdessen wolle man sich an der EU orientieren, ohne deren Fehler zu wiederholen.

Wie weit die Integration schlussendlich gehen soll, ist wohl selbst im Kreml noch nicht ganz klar. Die ersten Schritte sind schon getan: Mit der Dreier-Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan im vergangenen Jahr hat die Annäherung begonnen.

Nachdem so der trilaterale Handel in einem Jahr um über 50 Prozent in die Höhe geschnellt ist, wurde Mitte November bereits der nächste Schritt fixiert: der Eurasische Wirtschaftsraum. Bis 2015 soll ein freier Personen- und Warenverkehr, Kapitalfluss und Austausch von Dienstleistungen in einem Markt, der sich nun auf 165 Millionen Menschen erweitert, verwirklicht werden.

Die Union steht weiteren Mitgliedern offen. Russland wirbt vor allem um die Ukraine: "Stimmt Kiew dem Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion zu, würde sie sofort zu einer mächtigen regionalen Struktur", erklärt der Politologe Fjodor Lukjanow.

Die Führung beansprucht Moskau. Der Kreml verbindet damit nicht allein wirtschaftliche Perspektiven, sondern auch politische Ambitionen. Die von russischen Politikern bereits diskutierte Währungsunion könnte Moskau zum internationalen Finanzzentrum machen. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zugleich würde Russland den Status einer regionalen Großmacht einräumen.

"Was Moskau auch erklärt, seine reale Politik fokussiert sich zunehmend auf den eurasischen Raum, ein sehr großes, aber doch abgegrenztes Gebiet", verdeutlicht Lukjanow die Absichten der russischen Führung. (ab, DER STANDARD-Printausgabe, 23.12.2011)