Für einen Politiker am Balkan ist der Wähler weniger wert als ein lästiges Insekt. In Österreich dagegen sind die Gepflogenheiten ganz anders: Hier nimmt dich der Politiker an der Hand, schmiert dir Honig ums Maul und gibt dir zu verstehen, dass er eine Beziehung mit dir aufbauen will. Du bekommst etwas von ihm, dafür sollst du ihm im Gegenzug Gehör schenken. Lass ihm, dem Politiker, deine Unterstützung angedeihen, sag ihm, dass er Recht hat, sei sein Freund auf Facebook, tu so, als würde dich interessieren, was er zu sagen hat! Zeig ihm, dass dir wirklich etwas an ihm liegt.
Meine erste Begegnung mit der österreichischen Politik war übrigens eine echte Katastrophe. Nur wenige Tage nach Erhalt eines gültigen Aufenthaltstitels in Österreich, genauer gesagt eines Meldezettels, erhielt ich einen Brief: Von der Bürgermeisterin Hilde höchstpersönlich. Darin nichts als raffinierteste Phrasen, verbale Verführung und Koketterie. So quasi in dem Stil, "Danke, dass du dich entschieden hast, dich ausgerechnet in unserer schönen Stadt niederzulassen und hier deine beruflichen Pläne zu verwirklichen". Unterschrieben von Bürgermeisterin Hilde.
An eine solche Art der Kommunikation ganz und gar nicht gewöhnt, dachte ich sogleich, das muss mehr sein als ein rein höflicher Willkommensgruß. Vielleicht waren Hilde und ich uns ja schon irgendwo begegnet, vielleicht hatte sich meine rassige Balkangestalt in ihr Herz eingebrannt und ihre Sicht getrübt, sodass Hilde eine Sklavin ihrer Leidenschaft geworden war? Ich schrieb feurige Liebesbriefe an Hilde, aber vergeblich. Da Hilde die Tochter eines angesehenen lokalen Metzgers war, trieb ich mich darbend vor dem Familienunternehmen herum und versuchte mich in ihr Blickfeld zu drängen. Während im Schaufenster braune Salamis und dunkelrote Blutwürste rhythmisch hin und herschwangen, bearbeitete Hilde große Fleischstücke und würdigte mich keines Blickes.
Ich brauchte lange, um mich von diesem Schiffbruch zu erholen. Unlängst bekam ich eine Freundschaftsanfrage auf Facebook - von Bundeskanzler Faymann! Aber ich kann einfach nicht. Ich bin emotional erschöpft und kann eine weitere Enttäuschung nicht ertragen. Das musst du verstehen, Werner! (Uroš Miloradović, 22. Dezember 2011, daStandard.at)