Borussia Mönchengladbach stieg 1965 in die deutsche Bundesliga auf und gewann 1970, 1971, 1975, 1976, 1977 fünf Meisterschaften. 1998 folgte der erstmalige Abstieg, 2007 der zweite. In der laufenden Saison lag die Borussia erstmals seit 13 Jahren wieder (vorübergehend) an der Tabellenspitze, nachdem der erneute Abstieg wenige Monate zuvor erst in einem Relegations-Duell mit Bochum gerade noch verhindert werden konnte. Die Hinrunde beendete man auf Platz vier, nach einem 3:1 gegen Schalke steht die Borussia auch im Viertelfinale des DFB-Cups.

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2003 sorgte Killerwels Kuno, der angeblich gar einen Dackelwelpen verschlungen haben soll, für Aufregung im beschaulichen Mönchengladbach. Die Stadt hieß bis 1960 allen Ernstes München Gladbach, dann entschloss man sich zu einer Umbenennung. Missverständnissen, es handle sich hierbei um den Vorort einer gewissen bayrischen Metropole ähnlichen Namens, sollten so ein für allemal der Boden entzogen werden.

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Günther Netzer, das Symbol der alten Borussia...

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...und Marco Reus, Hoffnungsträger der Gegenwart.

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22. Mai 2004: Abschied vom volkstümlichen Bökelberg beim letzten Match im alten Stadion, einer ehemaligen Schottergrube, gegen 1860 München und...

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...Umzug in das dringend benötigte größere Haus, das wenig griffig benamste "Stadion im Borussia-Park".

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derStandard.at: Borussia Mönchengladbach geht es besser und alle scheinen das irgendwie gut zu finden. Warum ist das so?

Jenrich: Das ist die Nostalgikerfraktion, die betreibt das natürlich. Es hat schon so viele Situationen gegeben, wo man geglaubt hat, jetzt klappt es wieder - etwa Mitte der 90er Jahre als Gladbach Pokalsieger wurde. Da gibt es viel Sehnsucht, man will nicht immer die Bayern siegen sehen. Die Nostalgikerfraktion treibt das um, dass Borussia endlich wiederkommt.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich denn diesen spektakulären sportlichen Umschwung ins Positive im Vergleich zu vor einem Jahr?

Jenrich: Das kann man gar nicht richtig erklären. Ich glaube es liegt daran, dass sie eine eingespielte Mannschaft haben. Das war ähnlich wie damals, als Otto Rehhagel mit Kaiserslautern abstieg. Der behielt die Mannschaft beisammen, stieg auf, und wurde Meister. Und sie haben den Schwung mitgenommen, aus dieser sensationellen Rettung mit der keiner mehr gerechnet hat. Wenn die ersten Spiele nicht so gut gelaufen wären, wäre die Saison völlig anders verlaufen. Sie hätten das Selbstvertrauen nicht gehabt, man hätte sie auch nicht hochgeschrieben sondern eher so etwas wie: "Zauber der Rückserie von (Trainer Lucien, Anm.) Favre schon verflogen."

derStandard.at: Von Saisonbeginn  an fiel auf, dass Gladbach sehr wenige Gegentore bekommt. Hohe Siege kamen dagegen erst zuletzt. Auch das spräche für einen solchen Schneeball-Effekt.

Jenrich: Es gab ein Serie von 1:0-Erfolgen. Da ist aber auch die Favre-Philosophie. Das hat er bei Hertha BSC nicht anders gemacht. Er legt großen Wert auf die defensive Stabilität. Er rotiert da auch nicht groß. Und vorne haben sie einfach auch keine gute Qualität. De Camargo ist dauerverletzt und Bobadilla nicht gut genug. Man überlegt auch, noch Stürmer zu kaufen. Wenn Marco Reus verletzt ist, haben sie ein Problem.

derStandard.at: Es ist ja phänomenal, dass Gladbach trotz der langen Jahre des Niedergangs so populär geblieben ist und immens hohe Besucherzahlen erhalten konnte.

Jenrich: Das hat damit zu tun, dass man den Verein nicht mehr wechselt, an den man sein Herz einmal verloren hat. Ich glaube, der Stamm der Anhänger, das sind diese mit Borussia alt gewordenen Leute. Dazu gibt es einen riesigen Einzugsbereich. Düsseldorf hat jahrelang gedarbt, da sind viele nach Mönchengladbach gefahren. Die niederländische Grenze ist nicht weit, auch aus Belgien kommen viele Leute. Und es gibt jetzt ein komfortableres Stadion als früher. Die hätten ja früher auch zum Bökelberg fahren können, aber das haben die Leute nicht getan. Man stand, das war nicht überdacht. Das hat sich geändert. Gladbach hatte auch auch schon in den schlechten Zeiten, als sie im neuen Stadion gruseligen Fußball gespielt haben, einen Schnitt von 43.000.

derStandard.at: Gladbach selbst scheint also als Reservoir gar nicht so wichtig zu sein. Was ist das für eine Stadt?

Jenrich: Das ist eine langweilige Stadt, eine im Krieg zerstörte Stadt. Sie ist nicht hübsch, eher hässlich. Sie ist katholisch und bieder. Sie hat lange von der Textilindustrie gelebt. Düsseldorf ist eine Modestadt, in Gladbach wurde Textil gefertigt. Borussia hat bis 1965 keine Rolle gespielt, das war ein Sportverein wie viele andere. Jetzt aber ist der Fußballklub der Werbeträger dieser Stadt.

derStandard.at: Ich kann mich noch an die 1980er Jahre erinnern. Da gab es den Manager Grashoff, der saß da mit seiner Pfeife...ist nicht auch der Verein ein bisschen bieder gewesen?

Jenrich: Grashoff ist das falsche Beispiel. Er ist kein Niederheiner, sondern Hanseat aus Lübeck. Er stammte aus einer Kaufmanns-Familie und stand für Ehrlichkeit und Seriosität. Ich glaube, ein solcher Mensch wäre heute nicht mehr denkbar im Fußballgeschäft. Gladbach hat 1989 zum ersten Mal einen Trainer hinausgeschmissen. Die Philosophie war: Wir fällen eine Entscheidung und bleiben dann auch dabei. Wenn es in die Hose geht - was es bis dahin ja nie tat - dann geht es eben in die Hose. Aber natürlich war der Verein bieder. Auch die Leute, die ihn heute repräsentieren. Das sind alles kleine Fürsten, die in der Provinz ein bisschen Glamour um sich haben und damit ein bisschen wichtiger sind. Sonst würde die niemand kennen.

derStandard.at: Was ich auch gemeint habe, Grashoff und Präsident Helmut Beyer, die den Verein in seinen größten Zeiten geführt haben, waren 30 Jahre lang im Amt. Sind sie zu lange geblieben, hat man auch dadurch den Anschluss an die Moderne ein bisschen verpasst?

Jenrich: Das ist bestimmt so.

derStandard.at: Es hat ja auch sehr lange gedauert, bis man sich vom alten Stadion auf dem Bökelberg gelöst hat. Erst 2004 wurde der Umzug vollzogen.

Jenrich: Dieses Stadion war natürlich eines der letzten richtigen Fußballstadien. Die Erfolge und der Mythos Borussia haben eben auch an diesem Stadion gehangen. Das jetzt einfach abzuhaken war schwer. Aber es war eine wirtschaftliche Notwendigkeit, wenn man wieder aufholen wollte. Lange gab es auch Überlegungen den Bökelberg zu erhalten, aber es wurde doch klar: das funktioniert nicht.

derStandard.at: Das neue Stadion hat nicht einmal einen richtigen Namen...

Jenrich: Am Anfang hieß es Nordpark, jetzt Borussia-Park. Immerhin verkaufen sie den Namen nicht, das finde ich ja gut. Ich weiß nicht genau, ob das daran liegt, dass es keine Angebote gibt - was ich mir aber nicht vorstellen kann.

derStandard.at: War es problematisch für die alten Fans, sich im neuen Stadion zurecht zu finden?

Jenrich: Ja klar, das gab es schon. Es ist ja auch miserabel angebunden, dieses Stadion. Während der Planungen stand die WM in Deutschland vor der Tür und es war noch nicht entschieden, welche Städte den Zuschlag als Spielorte bekommen sollten. Gladbach hat sich beworben, allerdings vergeblich. Andernfalls hätte die Deutsche Bahn einen Zuganschluss gemacht. Den gibt es jetzt nicht. Am Bahnhof muss man sich stattdessen in bescheuerte Busse quetschen. Die rumpeln 20 Minuten durch die Stadt und man landet mitten auf der grünen Wiese, wo früher Kasernen der britischen Rhein-Armee standen. Dann läuft man noch durch unwirtliches Gelände, bis man endlich das Stadion erreicht. Das ist nicht wirklich schön. Es gibt auch keine Infrastruktur. Wenn man früher vom Bahnhof zum Bökelberg ging, kam man an tausend Kneipen vorbei, die waren alle voll. Man stieg dann diese Anhöhe ein bisschen hoch, sah die Flutlichtmasten und hatte so ein Gefühl der Vorfreude: "Gleich bin ich da!" Das ist alles weg.

derStandard.at: In den späten 1990er Jahren hatte der inzwischen verstorbene damalige Manager Rolf Rüssman gigantomanische Pläne und wollte eine Superarena mit herausrollbarem Rasen und Pipapo. Auch in Österreich war er übrigens als Planer im Gespräch, als eine  US-Investmentgruppe angeblich eine Riesenarena in St. Pölten errichten wollte. Beides ist nie realisiert worden.

Jenrich: So etwas war finanziell nicht zu stemmen. Die jetzige Version ist eine Nummer kleiner, aber bezahlbar. Man konnte ja nicht einschätzen, wie voll das wirklich wird. Wird das angenommen? Es war die Phase des Niedergangs, wo man nicht wusste: Wo landen wir sportlich? Und dann plötzlich in der 2. Liga so ein Stadion zu haben, das kann auch richtig in die Hose gehen. Ich bin dort ja nicht so gerne, es hat nichts Eigenes. Das ist ein Stadion, wie es heute in Europa hunderte gibt. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber dass man gerne in dieses Stadion geht, dass man es als Kultstätte begreift, das hat sich nicht durchgesetzt. Es ist effizient und effektiv. Fertig.

derStandard.at: Nimmt man das alles in den Blick, hat sich die große Vergangenheit nun also eher als Segen oder als Fluch für Borussia erwiesen?

Jenrich: Ich glaube beides. Segen, weil sich viele Leute dadurch ja erst für einen solchen Verein interessieren. Ohne diese Erfolge wäre das ein Verein, der auch hätte untergehen können - wie viele andere Traditionsklubs. Aber natürlich auch Fluch, denn man misst die aktuellen immer an den alten Mannschaften. Wenn man Mönchengladbach hört, verbindet man das immer noch mit Netzer, Vogts oder Heynckes. In zehn Jahren mit Reus vielleich schon.

derStandard.at: Was ist damals eigentlich zusammen gekommen, dass das so explodiert ist, nach dem Bundesliga-Aufstieg? Gladbach hat sich ganz schnell in der Spitze etabliert und ist zehn Jahre lang dort geblieben.

Jenrich: Das hatte mit der speziellen Philosophie von Trainer Hennes Weisweiler zu tun. Der setzte wirklich auf junge Leute. Sehr lange jedenfalls. In den ersten Jahren bis '69 hat er nur mit erstliga-unerfahrenen Spielern gearbeitet, die alle aus der Region kamen. Diese ganze Mannschaft bestand aus Rheinländern. Es hat offensiv funktioniert, und so hat man auch die Herzen der Leute erobert. Doch Weisweiler hat dann gemerkt, dass er in der Defensive einfach schwach war. Erst dann wurden gestandene Spieler dazu geholt. Die anderen haben nie so auf die Jugend gebaut wie Mönchengladbach.

derStandard.at: Das heißt aber, das Schlagwort von der "Fohlen-Elf" stimmt so gar nicht?

Jenrich: Die Fohlen-Elf, das war die Mannschaft aus 1964. Die ist ganz überraschend in der Regionalliga West Erster geworden. Nur mit jungen Leuten.  Das kommt also noch aus Vor-Bundesliga-Zeiten. Den Begriff selbst hat ein Lokalredakteur erfunden.

derStandard.at: Und wenn eine Gladbacher-Elf einmal ganz gut spielt, wird er auch sofort wieder hervorgeholt. Obwohl der Altersschnitt etwa zuletzt beim Sieg gegen Mainz bei über 26 Jahren lag.

Jenrich: Das liegt auch daran, dass es einzelne Spieler gibt, die den Schnitt nach oben treiben. Daems, Dante, Stranzl, De Carmago oder Arango zum Beispiel.

derStandard.at: Wie lange wird Reus denn noch bleiben? Es gibt ja offensives Münchner Interesse.

Jenrich: Also ich kann mir schon denken, dass er noch ein Jahr bleibt. Vorausgesetzt, es kommt nicht noch zum großen Absturz. Er scheint mir jemand zu sein, der anerkennt, dass er dem Verein viel zu verdanken hat. 

derStandard.at: Der Gladbacher Stürmer Kalle Del'Haye war ja angeblich Anfang der 1980er der erste Spieler, den die Bayern in dezitiert feindlicher Absicht verpflichtet haben.

Jenrich: Das stimmt. Es hat lange ein ungeschriebenes Gesetz zwischen den Klubs gegeben, sich gegenseitig keine Leute abzuwerben. Dann haben es die Bayern aber doch gemacht. Und das war eine Zeit, wo Gladbach ja noch zu den besseren Mannschaften gehörte. Und danach ging das ja weiter mit Matthäus oder Effenberg. Immer wenn Gladbach drohte, wieder ein bisschen größer zu werden.

derStandard.at: Weil der relative Niedergang nun schon so lange dauert, übersieht man ja gerne, dass Gladbach in den 80ern ja durchaus noch gut dabei war.

Jenrich: Aber keine Spitzenmannschaft mehr. Jupp Heynckes hab ich als Trainer nie so richtig gemocht. Er hat zu oft Beton angerührt und das ist immer in die Hose gegangen. Zum Beispiel, als man im Europacup gegen Real Madrid noch ausgeschieden ist, trotz eines 5:1 im Hinspiel. Ich habe ihn damals nicht für einen guten Trainer gehalten. Man hat den Sprung nicht mehr geschafft.

In den 70ern war das ja ein Verein, wo man als Talent gerne hingegangen ist. Die Gehaltsunterschiede waren noch nicht so gewaltig, da hat man gerne bei einem Klub gespielt, wo man wusste: junge Leute kommen dort gut zu Rande. Als dann auf einen Schlag viele großer Spieler wie Heynckes, Kleff, Wittkamp oder Wimmer aufgehört haben, war die Durststrecke absehbar. Und dann war das nicht mehr so ein attraktiver Verein für gute Junge.

derStandard.at: Als die Borussia in der letzten Saison vor dem Abstieg stand, wurde dem Klub auch seine angeblich nicht mehr zeitgemäße Struktur vorgehalten. Die populistische Versuchung der sogenannten "Effenberg-Revolution", der Präsident Königs stürzen und selbst Sportdirektor werden wollte, haben die Mitglieder im Frühjahr 2011 jedoch ganz eindeutig zurück gewiesen...

Jenrich: Man hat dem Verein zum Vorwurf gemacht, dass er es nicht geschafft hat, die alten Spieler einzubinden. Man hat es sich mit sehr vielen Leuten verscherzt, auch aus der zweiten Reihe. Hans-Günter Bruns oder Hans-Jörg Criens etwa, die Helden der 80er Jahre, hätten durchaus Interesse gehabt, eine Funktion zu übernehmen. Das hat man jahrelang schleifen lassen, sodass im Gegensatz zu anderen Klubs in der Vereinsspitze keine ehemaligen Spieler waren.

derStandard.at: Ist Gladbach also doch gut genug aufgestellt, um sich auch mittelfristig zumindest im Bundesliga-Mittelfeld zu etablieren?

Jenrich: Das ist schwer zu prognostizieren. Da liegt alles eng zusammen. Das hat auch mit Geld zu tun: Wenn sie jetzt zwei Jahre hintereinander in der Champions League spielen, dann wäre das schon wieder anders. Dann wird man auch für Spieler gleich interessanter. Es wäre für eine Perspektive wichtig, einen Europacup-Startplatz zu schaffen. Und auch die Fans haben keine Lust immer nur um Platz zwölf zu spielen. Man kann im Konzert der Großen nur dann wirklich mithalten, wenn man über mehrere Jahre international dabei ist und auch Geld verdient.

derStandard.at: Wird es irgendwann eine sechste Meisterschaft geben?

Jenrich: Dass das möglich ist, glaube ich schon. Das hat man ja bei Wolfsburg gesehen. Es gibt plötzlich Mannschaften, denen gelingt das. Und es gibt andere, wie Leverkusen, die täten das gerne, aber denen gelingt es nie. Auf Dauer sind Dortmund und Bayern aber nicht zu kriegen. (Michael Robausch - derStandard.at)