Die Unwegsamkeit des Kriegs- geschehens: Textgelände aus "Naturgemäß III - oder doch / Noli me tangere / "Rührmichnichtan!" von Marianne Fritz.

Foto: Fritzpunkt

Wien - Der wichtigste Zwischenschritt zur Arbeitsdokumentation von Fritzpunkt - "Büro für theatralische Sofortmaßnahmen" mit Anschrift in Wien-Hietzing - wurde am 14. Dezember geleistet. An diesem Tag wurde nicht nur der 63. Geburtstages von Marianne Fritz gedacht. Anne Mertin und Fred Büchel stellten die 661 Seiten des inkommensurablen Romanprojekts Naturgemäß III ins Netz. Seither kann man das unvergleichliche Textgelände der einzelgängerischen, 2007 verstorbenen Prosaarchitektin Blatt für Blatt im Faksimile bewundern (siehe Abbildung).

Am nutzbringenden Abschluss ihrer Forschungsarbeit sehen sich die Macher von Fritzpunkt vorläufig aber gehindert. Nachdem die Stadt Wien für die performativen Fritz-Erkundungen 2008 und 2009 noch jeweils Beträge zwischen 40.000 und 45.000 Euro springen ließ, wurden seither alle Förderanträge abgewiesen.

Die beiden Radikalen, daran gewöhnt, an der heiklen Schnittstelle von Verlautbarungskunst und Wissenschaft zu agieren, berichten von brüsken Zurückweisungen durch aggressiv gestimmte Kulturbeamte. Oder, wie der gebürtige Schweizer Fred Büchel kopfschüttelnd berichtet: "Die Tatsache, dass mein Bruder Christoph 2010 Urheber der Swingerclub-Installation in der Wiener Secession war, wurde uns ernsthaft zum Vorwurf gemacht!"

"Wir arbeiten seit 20 Jahren trottelhaft aufrichtig", sekundiert Mertin, einst Gründungsmitglied der Theaterextremisten von Angelus Novus. Seit 2002 währt nun schon die eingehende Vertiefung in den "Festungs"-Bau von Naturgemäß, einem dreiteiligen Roman: eine tektonische Beckenlandschaft, in deren bleiernen Auslappungen der Sitz der Festung Przemysl angesiedelt ist. Przemysl, das ist das Synonym für ein im Ersten Weltkrieg wüst umkämpftes Sperrfort in Galizien, um dessen Besitz das Zarenreich und die Donau-Monarchie stritten. Fritz' Text erzählt nicht bloß die Geschichte des Schauplatzes, sondern erzeugt mit den Mitteln der Überschreibung einen permanenten Ausnahmezustand.

Literatur dieser Art bedarf der Auslegung, der temporären Aneignung und sprachklanglichen Bearbeitung. Fritzpunkt ("Stadt Theater Wien") wird auch ohne Unterstützung vonseiten der Stadt, die ja ihre Theaterreform evaluieren möchte, im Juni 2012 einen Schlusspunkt hinter seine Aktivitäten setzen. Unter dem Titel "Zertrümmerung der Anschauung durch die Verhältnisse" wird ein mehrtägiges Schlussresümee gezogen. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 22. Dezember 2011)