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Noch sieht es nicht besonders g'schmackig aus, das Fleisch aus dem Labor der Universität Maastricht. Es könnte sich aber zum fertigen Produkt auswachsen.

Foto: Reuters

300.000 Euro hat das Labor von Mark Post dafür erhalten, um innerhalb eines Jahres einen Hamburger herzustellen. Ein unverschämter Preis? Keineswegs - schließlich muss der Physiologieprofessor an der Uni Maastricht dabei ohne Fleisch auskommen, das von einem Tier stammt.

"In vitro meat", also Fleisch aus der Petrischale, wird die Technik genannt, die einen großen Teil der Landwirtschaft überflüssig machen könnte. Winston Churchill prägte die Idee bereits 1932, als er sagte, dass es absurd sei, ein ganzes Huhn zu töten, nur um dessen Brust oder Flügel zu essen.

Alles was man braucht, sind Stammzellen, die man aus einem Tier extrahiert. In einem Serum bildet sich bei Stimulation der Zellen dann das gewünschte Muskelgewebe, das man auf die gewünschte Größe züchten kann. Mark Post ist einer der wenigen Forscher weltweit, die imstande sind, genau dies zu tun. Ein anonymer Philanthrop spendete 300.000 Euro - und will ein Stück Fleisch dafür als Gegenleistung. "Wahrscheinlich wird das der teuerste Hamburger sein, den wir jemals auf diesen Planeten sehen werden", sagt Post, der seinen Prototyp 2012 vorstellen will.

"Im Grunde handelt es sich um Tissue Engineering, also Gewebezüchtung", sagt Vladimir Mironov, russischer Gastprofessor am Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien: "Der einzige Unterschied ist die Skalierbarkeit: Anstatt eines Petrischale verwenden wir einen riesigen Bioreaktor." Mironov, der zuvor an der medizinischen Universität South Carolina forschte, publizierte mit seinen Kollegen schon 2005 eine Arbeit im Wissenschaftsjournal Tissue Engineering, die neue Wege der Fleischproduktion aufzeigte.

Bioreaktor in der Küche

Im Prinzip, so ist sich Mironov sicher, wäre es möglich, dass bald jeder so einen Bio-Reaktor bei sich zu Hause stehen hat. Dieser wäre im Grunde mit einer Mikrowelle vergleichbar, in dem präpariertes Zellgewebe über Nacht wächst. Am nächsten Morgen hat man dann sein selbstgezüchtetes Stück Fleisch - ohne dass ein Tier dafür sterben musste. "Von einem technischen Standpunkt aus betrachtet sehe ich keine Hürden", behauptet Mironov, der als Experte für "in vitro meat" über die NGO New Harvest die Öffentlichkeit über das Konzept des tierlosen Fleisches aufklären will.

"Es ist wie alles nur eine Frage des Geldes", meint Mironov. Bereits Anfang 2010 ist es niederländischen Forschern unter Leitung des Biochemikers Henk Haagsman gelungen, größere Mengen an Muskelgewebe zu züchten.

Doch wie lange dauert es, bis das Fleisch aus der Laborproduktion in die Supermärkte kommt? "Wenn nicht investiert wird, dann wird das nie passieren. Wenn es einen vernünftigen Zugang zu Forschungsgeldern gäbe, dann könnte es in fünf Jahren bereits Realität werden." Dies bezieht sich allerdings nur auf Burgers, Nuggets oder Würstel. Steak künstlich herzustellen ist ungleich komplexer: Durch die vergleichsweise dicke Struktur braucht es ein Adernsystem, um das Gewebe mit Nährstoffen zu versorgen. Es ist zu bezweifeln, ob dies ohne Gentechnologie möglich ist.

Bisher ist es Wissenschaftern gelungen, hauptsächlich adulte Stammzellen wachsen zu lassen, also Zellen, bei denen schon festgelegt ist, zu welchem Gewebe sie sich entwickeln werden. Embryonale Stammzellen hingegen wären gewissermaßen programmier- und unendlich reproduzierbar. Ein großes Problem ist zudem, die nötige Konsistenz des Muskelgewebes zu erreichen. Bisher wird das Gewebe mittels Elektroschocks stimuliert, sodass die Muskeln quasi trainiert werden.

Kunstfleisch als Klimaretter

Der Bedarf für die künstliche Fleischproduktion wäre immens: Schließlich werden jetzt bereits 25 Prozent der festen Erdoberfläche für Tierhaltung gebraucht. Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen schätzt, dass sich der momentane jährliche Fleischverbrauch von rund 230 Tonnen bis 2050 sogar noch verdoppeln wird. Laborfleisch könnte auch den CO2-Ausstoß massiv verringern, Wasser einsparen und Lebensmittelseuchen eindämmen. Schon jetzt werden in den Vereinigten Staaten 17 Prozent des kompletten Energiehaushalts für die Lebensmittelproduktion und deren Vertrieb verwendet.

Doch so ambitioniert will Mironov vorerst nicht sein, für das künstlich hergestellte Fleisch hat er vorerst ein ganz anderes Ziel, nämlich Hollywood. Die Stars und Sternchen könnten als "early adopters" fungieren. Durch die Marktpenetration würde allmählich der Preis des aufwändigen Verfahrens sinken - bis das Laborfleisch schließlich massentauglich würde, so die Theorie des Biologieprofessors. Derzeit würde ein Bissen Fleisch noch etwa 60.000 Euro kosten.

Das In-vitro-Fleisch hätte jedenfalls einige Vorzüge, für die vermutlich so mancher bereit wäre, tiefer in die Tasche zu greifen. So könnte man sowohl die Vitamine und Nährstoffe als auch den Fettgehalt genauestens bestimmen. "Wenn wir zum Beispiel Chitosan verwenden, ein Biopolymer, das für die Absorbierung von Fett zuständig ist, könnte man leckeres, fettreiches Fleisch essen, wobei das Fett aber sofort wieder ausgeschieden wird", meint Mironov. Denkbar wäre auch, Appetitzügler hinzuzufügen.

Imageprobleme

Noch sind die Investitionen aus der Wirtschaft noch sehr zurückhaltend, denn das Laborfleisch hat ein Imageproblem. 2005 gab die Europäische Kommission eine Studie in Auftrag, derzufolge 54 Prozent der Bevölkerung das künstlich produzierte Fleisch nicht einmal probieren würden. Bei vielen löst "in vitro meat" wohl frankensteinartige Assoziationen aus - zu Unrecht, wie Vladimir Mivonov findet, schließlich seien unsere täglichen Lebensmittel wie Käse, Brot, Wein oder Joghurt auch nichts anderes als biotechnologische Produkte.

"Im Grunde sind die Dinge, die wir momentan essen, wesentlich modifizierter als das Fleisch, das uns vorschwebt", sagt Mironov. Die Akzeptanz seitens der Endverbraucher würde auch stark davon abhängen, inwiefern es den Wissenschaftern gelingen wird, das künstlich gezüchtete Fleisch von Aussehen, Geschmack und Geruch "natürlichem" Fleisch anzugleichen. Um das Forschen schmackhaft zu machen, bietet die Tierschutzorganisation Peta dem ersten Wissenschafter, der es schafft, das Laborfleisch auf den Markt zu bringen, eine Belohnung von einer Million Dollar.

Ein weiteres Hindernis liege bei der Landwirtschaftslobby, meint Mironov. Dennoch ist er sicher, dass das Fleisch aus der Retorte bald die nächste landwirtschaftliche Revolution auslösen wird: "'In vitro meat' ist die unausweichliche Zukunft für die Menschheit." (DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2011)