Rüdiger Frank (42) ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Uni Wien. Anfang der 1990er-Jahre verbrachte er ein Studienjahr in Pjöngjang. Er gilt als einer der renommiertesten Nordkorea-Kenner weit über den deutschsprachigen Raum hinaus.

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Dynastische Nachfolge, kollektive Führung oder totaler Zusammenbruch – derzeit sei in Pjöngjang noch jedes Szenario möglich, sagt Rüdiger Frank im Gespräch mit Christoph Prantner.

Standard: Was sind kurzfristige, was langfristige Konsequenzen des Dahinscheidens von Kim Jong-il?

Frank: Kurzfristig sehen wir ein Machtvakuum. Im offiziellen Nachruf der nordkoreanischen Nachrichtenagentur wird Kims Sohn Jong-un als "unser großer Nachfolger" vorgestellt. Das bedeutet, er wird den Leuten zumindest präsentiert. Ob die Bevölkerung das akzeptiert, ob die Elite das akzeptiert, ist fraglich. Und davon hängt alles andere ab. Wenn er zu einem dritten großen Führer wird, was ich sehr bezweifle, dann gibt es die Möglichkeit, dass alles so weiterläuft wie bisher. Vielleicht mit einem neuen Reformversuch von oben. Falls er nicht akzeptiert wird, gibt es dann Bürgerkrieg oder nur eine Palastrevolte? Eine kollektive Führung nach chinesischem Vorbild, die das Land eventuell sanft in die Marktwirtschaft führen könnte, ist denkbar. Und die dritte Variante ist, dass die Führung komplett die Kontrolle verliert, dass die Menschen über die knapp eine Million Handys, die es ja mittlerweile in Nordkorea gibt, anfangen miteinander zu kommunizieren. Der Geheimdienst könnte mit der Überwachung nicht mehr nachkommen, die Lage komplett außer Kontrolle geraten.

Standard: Neben seinem Sohn hat Kim Schwager und Schwester hohe Positionen gegeben. Hält das Netz bis sich Kim Jong-un etabliert hat?

Frank: Das ist absolut unklar, weil er ja noch nicht einmal offiziell inthronisiert worden ist. Als Nachfolger ist er einfach nur offiziell in die Führungsriege eingeführt worden, und das erst seit etwas mehr als einem Jahr. Ob das genügt, um in der Bevölkerung diesen Gewöhnungseffekt zu erzeugen, ob es genügt hat, um entsprechend Loyalität aufzubauen, in einer Führungsbürokratie, die sehr umfassend ist, das ist sehr fraglich. Beim Nachruf, den ich erwähnt habe, ist es interessanterweise so, dass Parteiorgane als Unterzeichnende zuerst gelistet werden und die zentrale Militärkommission erst an dritter Stelle. Das heißt, es wird wohl auf eine Machtübernahme durch die Partei hinauslaufen. Ich selbst bin seit Jahren von einer kollektiven Führung ausgegangen, ob diese aus drei Personen besteht oder aus einem Gremium ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer zu sagen.

Standard: Über Kim Jong-un ist nur sehr wenig bekannt. Ist das ein Typ, der die Macht will?

Frank: Kim Jong-il hat ihn eingesetzt und wird sich etwas dabei gedacht haben. Er wird ihn wohl am ehesten für fähig gehalten haben, und zu Fähigkeiten gehört natürlich ein gewisser Machtwille. Ich kenne ihn weder persönlich, noch habe ich ihn bis jetzt irgendwo erlebt. Ich glaube, vielen Nordkoreanern geht es genauso. Niemand weiß, was das für einer ist.

Standard: Eine zentrale Rolle wird Peking spielen. Welche Interessen hat China, und hat es Einfluss auf das, was in Pjöngjang geschieht?

Frank: Peking hat großes Interesse an Stabilität und dahingehend wird China seinen Einfluss geltend machen. Die Chinesen werden nicht einmarschieren, das wäre sehr unwahrscheinlich und diplomatisch ein völliges Fiasko. Sie werden versuchen, schnellstens zu identifizieren, wer die stärkste Gruppierung in Nordkorea ist und diese unterstützen.

Standard: Wie sicher ist das Nukleararsenal? Welche Interessen haben die Militärs?

Frank: Das Militär ist, glaube ich, ein Instrument des Staates beziehungsweise der Partei. Die Hände auf dem Arsenal haben Partei und Staatsführung, nicht das Militär.

Standard: Halten Sie einen Militärputsch für möglich?

Frank: Angesichts des Vorbildes Südkorea wäre es nicht undenkbar, wenn diese Situation komplett außer Kontrolle geraten sollte. Wenn die Partei sich als unfähig erweist, Stabilität zu gewährleisten, dann wäre es möglich, dass das Militär eingreift. (DER STANDARD Printausgabe, 20.12.2011)