Andrea Roedig: Forderung nach mehr Förderung greift zu kurz.

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Angehende Akademiker bei der Karriereplanung. Für viele erweist sich das strebende Bemühen um höhere Bildungsweihen - entgegen anderslautenden Statistiken - als Investment "with no return".

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Wir leben, wie es so schön heißt, in einer "Wissensgesellschaft". Bildung sei Investition in die Zukunft, lautet die statistisch gut belegte Weisheit. In den Bildungs-Gutachten der OECD ist jährlich aufs Neue nachzulesen, dass Menschen mit Universitätsabschluss ein deutlich geringeres Risiko haben, arbeitslos zu werden, dass sie in der Regel mehr verdienen als der nicht-akademische Rest der Bevölkerung und dass daher dringend die Akademikerraten zu erhöhen seien.

Nicht ganz in dieses gemütliche Bild der sicheren Bildungsinvestition passt allerdings, dass bei den Sozialprotesten der "Indignados" in Spanien im Mai diesen Jahres vor allem gut ausgebildete junge Menschen auf die Straße gingen, weil sie keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Nicht ganz ins Bild passen die frischgebackenen Akademiker/innen der "Generation Praktikum", die monate-, vielleicht auch jahrelang unterbezahlte Dienste leisten, bevor sie vielleicht in eine Anstellung hineinrutschen. Man hat sich auch daran gewöhnt, dass Basisfinanzierungen für freie Forschungsinstitute sowie feste Stellen an den Universitäten der Vergangenheit angehören. Und wenn es so kommt, wie befürchtet, verschlankt sich auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) kräftig und streicht bis zu 300 Stellen, für deren Finanzierung dann eben nicht mehr das Wissenschaftsministerium aufkommt, sondern das AMS.

Es ist unbestritten, dass im harten Bildungswettlauf Menschen ohne Abschlüsse das größte Risiko tragen, den Anschluss zu verlieren. Trotzdem erweist sich die Rede von "Bildung ist Zukunft" in vielerlei Hinsicht als hübsche hohle Nuss. Die Statistik sagt nämlich nichts darüber aus, wie die Chancen für Akademiker/innen wirklich aussehen. Zusätzlich zum immer höheren Output an Hochschulabsolvent/innen haben sich mit der sogenannten Neoliberalisierung des Arbeitsmarkts die Bedingungen so verschärft, dass vielen nichts übrig bleibt, als überqualifiziert auf mäßigen Posten steckenzubleiben, sich von Forschungsantrag zu Forschungsantrag in eine endlose Spirale der Höherqualifikation zu begeben oder als "neue Selbständige" kreativ am Existenzminimum herumzukrebsen. Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass es überhaupt nicht genügend adäquate Stellen für Akademiker/innen gibt. Und das meint auch: In der Wissensgesellschaft wird nicht grundsätzlich nach Intelligenz und Qualität bezahlt. Gerade Absolvent/innen der Geisteswissenschaften können ein Lied davon singen. Je dümmer der Job, desto besser ist in der Regel die Bezahlung.

Die Systemfehler liegen zum einen in der ungleichen Verteilung von Arbeit. Es ist nicht unbedingt so, dass es zu wenig Aufgaben für Akademiker/innen gäbe, sondern dass immer weniger Festangestellte sich gut bezahlt in den Burnout schuften, während andere ohne Absicherung von außen zuarbeiten. Diese Entwicklung trifft bekanntlich nicht nur den akademischen Arbeitsmarkt. Der zweite Fehler im System ist die gesellschaftliche und vor allem monetäre Überbewertung des technischen, wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Sektors. Das auszuführen ginge hier zu weit, aber es ist nicht wirklich einzusehen, warum die 50.000ste Verfeinerung der elektronisch gesteuerten Scheibenwischanlage am BMW so viel mehr wert sein soll als ein Buch zur mittelalterlichen Münzprägung.

Den dritten Systemfehler könnte man neudeutsch als "Outsourcing von Content" beschreiben. In den letzten Jahren hat sich die festangestellte Arbeit zunehmend auf reine Managementfunktionen konzentriert, nicht nur in wirtschaftlichen Organisationen, sondern auch in Zeitungen, Verlagen und Bildungseinrichtungen. An den Universitäten sind Forschungs- und Lehrstellen immer befristet ausgeschrieben, während es unbefristete Positionen in den neuen Arbeitsbereichen wie "Qualitätsmanagement" und Forschungsförderungsberatung gibt. Was geschieht da? Nicht Wissen ist bezahlt, sondern Verwaltung von Wissen, nicht Forschung, sondern die Beantragung von Forschung.

Die Inhalte aber, von denen man eigentlich meinen könnte, es käme auf sie an, produzieren oft jene Personen, die auf prekären Stellen sitzen oder überhaupt freiwillig und unbezahlt "Content" erstellen. In der Beschleunigung des "informationellen Zeitalters" (Manuel Castells) unterliegen sie zudem der einfachen Logik kapitalistischer Produktion, die nur bei permanenter Steigerung der Stückzahl und Verringerung des Einzelpreises Profit verspricht. Autoren- oder Lektorenhonorare beispielsweise sind derartig im Preis gefallen, dass kein Mensch mehr davon leben kann. Geistige Inhalte lassen sich aber auch nicht endlos viel schneller produzieren, es sei denn um den Preis ihrer eigentlichen Bestimmung. Wir kennen den Effekt aus anderen Bereichen: Industrie-Semmeln schmecken auch nach nichts, obwohl sie Semmeln sein sollten.

Absurderweise ist es ausgerechnet die sogenannte "Wissensgesellschaft", die eine vermehrte Produktion aber auch eine unglaubliche Entwertung geistiger Arbeit zulässt. Die Forderung wäre nicht nur einfach die nach mehr öffentlichen Geldern für die Universitäten, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, sondern nach anderer Verteilung der Beschäftigung und nach adäquater Honorierung von geistiger Arbeit. Schließlich muss irgendwer die Bücher schreiben, an denen die Marketingexperten mehr verdienen als die Autoren, irgendwer muss die Vorträge halten, die Bildungsinstitutionen anbieten, irgendwer muss die Analysen erstellen, mit denen sich eine Gesellschaft selbst verstehen kann. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. Dezember 2011)