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Im 19. Jahrhundert war noch vieles anders. Aktuell kann das im Kino bei der Romanverfilung von "Jane Eyre" (Charlotte Brontë) überprüft werden.

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Eva Illouz: "Warum Liebe weh tut", Suhrkamp Verlag 2011, 467 Seiten, Euro 26, ISBN: 978-3-518-58567-2

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Es ist kein Zufall, dass sich der Titel des neuesten Buches von Eva Illouz wie ein Selbsthilfewälzer anhört. Selbstoptimierung, Ratgeberliteratur mit Anleitungen zur Liebesanbahnung und Beziehungspflege, sowie die Einbettung unserer Leben in die Therapie- und Coachingkultur beschäftigen die Soziologin schon seit Jahrzehnten.

In "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" (2007) ergründete sie den Aufstieg des "Homo Sentimentalis" dank kultureller Revolutionen wie Psychoanalyse oder Populärkultur, und in ihrem Folgebuch "Die Errettung der Modernen Seele" (2009) drang sie in die westliche Kultur der Selbsthilfe vor. Sie betrachtete darin die Bühnen des therapeutischen Diskurses, zum Beispiel Talkshows oder zunehmend auch Bewerbungsgespräche, in denen die emotionale Kompetenz in Form der Fähigkeit zur Selbstreflexion und somit Selbstverbesserung unter Beweis gestellt werden sollen.

Von der Emotion über die forcierte Arbeit am Selbst scheint die Liebe nur mehr einen kleinen Schritt entfernt. Die früheren Bücher von Illouz bilden zwar einen praktikablen Hintergrund für "Warum Liebe wehtut", der gewohnt hohe Vermittlungsanspruch von Illouz macht sie allerdings nicht zur Pflichtlektüre für das Verständnis ihres neuesten Textes.

Deregulierter Liebesmarkt

Die sozialen Grundlagen unserer Liebesweisen zu erforschen ist das wissenschaftliche Anliegen der israelischen Soziologin Illouz, deren Blick weit über institutionalisierte Einrichtungen wie etwa die Ehe hinausgeht. Denn auch unsere Träume, (unerfüllten) Wünsche und (enttäuschten) Hoffnungen in Liebesdingen sind weit weniger individuell, privat oder natürlich wie gerne angenommen. Die ständige Verwechslung zwischen Natur und Geschichte bringe uns laut Illouz aber auch beim Thema Liebe nicht weiter. Daher setzt sie in ihrem Buch vergangene und aktuelle kulturelle Erzählungen über Liebe samt Leid in Beziehung, um auch für jenen Lebensbereich kulturelle Prägungen deutlich zu machen, für deren Ausgestaltung man vorwiegend die Unmittelbarkeit und Echtheit der Gefühle für wesentlich hält.

Die Qual mit der Wahl

Dem hält Illouz ihre umfangreiche Analyse der sozialen Organisation von Liebe, Sexualität und Liebesleid entgegen. Sie zeigt, dass auch die Liebe ein Markt ist, auf dem die Strategien von Frauen und Männer dem Statusgewinn dienen. Wie die deregulierte Wirtschaft ist auch der "Liebesmarkt" dereguliert. Soziale Zwänge und klar erkennbare Hierarchien wie etwa im 19. Jahrhundert sind einer umfangreicheren Wahlmöglichkeit von Liebesobjekten gewichen. Auch für das Ge- oder Misslingen unseres Liebeslebens sind wir im Gegensatz zu früher mit unserer mehr oder minder gecoachten emotionalen Kompetenz allein verantwortlich. Nach Illouz zeichnet sich somit unser aktuelles Liebesleid unter anderem dadurch aus, dass wir uns einerseits auf einem völlig entsicherten Liebesmarkt befinden, gleichzeitig wird ein gelungenes Liebesleben mehr denn je als erfolgreiche Arbeit am Selbst und für ein insgesamt glückliches Leben herangezogen.

Das heißt aber keineswegs, dass früher alles besser war, aber zumindest die Liebe schien weniger an die Nieren zu gehen: Die Romanfiguren von Jane Austen etwa, die Illouz als Beispiele dienen, verdankten ihre Gefühle ihren sozialen Rollen, was ihnen in Liebesdingen manches Leid ersparte. Gegenwärtig stünden wir aber unter einem Regime emotionaler Authentizität, weswegen uns das Scheitern einer romantischen Bindung mehr zu schaffen macht, als wenn sie auf rituellen Regeln aufgebaut gewesen wäre.

Und auch wer worunter leidet, hat sich verändert. Während sich im 19. Jahrhundert Männer emotional offenbaren mussten und Frauen erst mit ihren Liebesgeständnissen herausrücken durften, nachdem die Eheschließung unter Dach und Fach war, müssen gegenwärtig Frauen ihr Herz auf der Zunge tragen. In der heutigen Liebesorganisation wären sie mit "emotionaler Exklusivität" beschäftigt, oder anders gesagt: Der Suche nach dem Einen. Männer geben sich hingegen einer "seriellen Sexualität" hin, mit der sie aufgrund des herrschenden Männlichkeitsideals zu ihren Statusgewinnen kommen. Die soziale Macht (wie auch die ökonomische) liegt auf Seiten der Männer, und so gilt auch in der Liebe: Wer mehr Macht hat, hat mehr Wahlmöglichkeit. Die dadurch existierende "emotionale Ungleichheit" nützt Männer derzeit mehr, so Illouz.

Dem Argument, Frauen würden sich doch seit den 70ern ebenso erfolgreich der seriellen Sexualität bedienen, hält Illouz ein weiteres Kulturprodukt entgegen. "Sex and the City" hätte zwar Frauen in einer freien, seriellen Sexualität gezeigt, allerdings sei diese der Suche nach dem einzigen Partner untergeordnet. Trotz solcher Nachahmungen männlicher sexueller Strategien bleibt es bei der emotionalen Ungleichheit.

Noch immer unerfüllt

Warum ist die Organisation von Liebe, Sexualität und Leid bei heterosexuellen Frauen und Männern noch immer so different und vor allem, warum ist das trotz der feministischen Revolution noch so? Das ist für Illouz jene "Quelle des Unbehagens" auf das sie mit ihrem Buch Antworten finden wollte. Dafür setzt Illouz nicht nur die Bedeutungen von politischen Bewegungen mit kulturellen Erzählungen in Verbindung, sondern sie arbeitet auch die gegenseitigen Einflüsse heraus. Ihre analytischen Werkzeuge reichen von viktorianischen Romanen, aktueller Massenkultur bis hin zu Selbsthilfeforen im Internet, die den LeserInnen eine spannende Entdeckungsreise durch vergangene und aktuelle Liebesnöte bieten, auf der es zwischen wohl Vertrautem und völlig Fremdem nie langweilig wird. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 27.12. 2011)