Der gebürtige Niederösterreicher Florian Freistetter promovierte am Institut für Astronomie der Universität Wien. Danach arbeitete er als Astronom an der Sternwarte der Universität Jena und dem Astronomischen Rechen-Institut in Heidelberg.

Foto: www.florian-freistetter.de

Heute lebt der 34-Jährige als selbständiger Wissenschaftsautor in Jena und bloggt darüber.

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Albrecht Dürers "Die vier Reiter" aus dem Holzschnittzyklus zur Apokalypse" aus dem Jahr 1498.

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Der Hype um den 21.12.2012 hat von Pseudowissenschaft bis Popkultur zahlreiche gesellschaftliche Bereiche erreicht. Der Astronom Florian Freistetter beschreibt auf seinem Wissenschafts-Blog Astrodicticum simplex in verständlicher Form, warum die Welt in einem Jahr nicht untergeht. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt der gebürtige Niederösterreicher auch, warum sich Planeten nicht anschleichen können, der Vollmond keinen Einfluss auf Unfälle und Geburtenstatistiken hat, aber esoterische Marketing-Kunststücke für ängstliche Menschen dennoch gefährlich sein können.

derStandard.at: Angenommen ich stehe am 20.12.2012 um 23:59 auf der Aussichtswarte am Hermannskogel, mit 542 Metern die höchste Erhebung Wiens. Es ist eine klirrend kalte und klare Nacht. Welches "Sternenbild" stellt sich mir dar und was kann ich als Laie daraus ableiten?

Florian Freistetter: Mithilfe der Software Stellarium kann man das ganz einfach überprüfen. Wenn ich den 21.12.2012 betrachte, dann präsentiert sich über Wien ein ganz normaler Winterhimmel. Im Süden sieht man Sirius, den hellsten Stern am Nachthimmel, und das klassische Wintersternbild Orion. Etwas weiter westlich stehen Jupiter und Mond am Himmel und im Nordosten der leicht zu erkennende Große Wagen. Rein astronomisch ist das kein Tag mit besonderen Vorkommnissen. Es ist Winteranfang, so wie jedes Jahr am 21. oder 22.12..

derStandard.at: Ist es theoretisch möglich, dass ein Stern, ein Planet o.ä. aus dem Nichts auftaucht und zur Bedrohung wird? Anders gefragt: Wie weit und genau wissen wir über die Zukunft unseres Universums Bescheid?

Freistetter: Man muss zwischen dem Universum und unserem Sonnensystem unterscheiden. Über Ersteres weiß man schon Bescheid, kann aber keine 100-prozentigen Vorhersagen treffen. Aber über unser Sonnensystem haben wir sehr exakte Erkenntnisse. Es kann zwar sein, dass irgendwann ein sogenannter "Free Floating Planet" auftaucht, der keine fixe Umlaufbahn hat, aber da reden wir nicht von absehbaren Zeiten. Unsere Galaxie ist so verdammt groß und so ein Planet wäre verdammt klein. Und ein Planet kann sich ja nicht einfach anschleichen. Man würde ihn lange vorher entdecken, weil er so lange unterwegs wäre. Mit den modernen Teleskopen sieht man viel kleinere Objekte als Planeten, z.B. Kometen oder Asteroiden. Man kann also sagen, dass nächstes Jahr kein unbekannter Planet auf die Erde treffen wird. (Mehr dazu hier)

derStandard.at: In Ihrem Blog schreiben Sie in einem ausführlichen Beitrag mit dem Titel "Kein Weltuntergang 2012" u.a. über Dieter Broers, der ein großes Geschäft mit der Hysterie rund um dieses Datum macht. Betrachten Sie solche Prophezeiungen als gefährlich oder eher als lächerlich? (Siehe auch Dieter Broers 1, Dieter Broers 2)

Freistetter: Weder noch. Aus meiner rein wissenschaftlichen Sicht ist es lächerlich. Das ist reine Esoterik und Pseudowissenschaft und hat nichts mit realen Phänomenen zu tun. Wenn man aber anfällig ist für derlei und sowieso Angst vorm Weltuntergang hat, kann das schon gravierende Folgen haben. Die Esoterikerin Nancy Lieder etwa hat schon 2003 einen katastrophalen "Polsprung" prophezeit und ihren Anhängern empfohlen, ihre Haustiere zu töten, damit diese den Weltuntergang nicht miterleben müssen - passiert ist damals nichts. Oder Harold Camping, der auch schon mehrmals den Termin für den Weltuntergang verschoben hat - dessen Anhänger haben aber trotzdem teilweise ihr ganzes Hab und Gut verkauft.

derStandard.at: Sie erklären auf Ihrem Blog sehr verständlich, dass das Ende des Maya-Kalenders am 21.12.2012 ein rein rechnerisches ist - mit eventueller Unschärfe, falls sich im Laufe der Jahre einmal jemand verzählt hat. 

Freistetter: Der Maya-Kalender endet ja nicht. Es hört nur die eine Periode auf und die nächste beginnt. Kein Kalender endet, sondern es wird einfach weiter gezählt. Außerdem gibt es keine Maya-Prophezeiungen, die einen Weltuntergang vorhersagen.

derStandard.at: Warum hat sich dennoch ein derartiger Hype entwickelt, der ein weites Feld von Pseudowissenschaft bis Popkultur umspannt? (Siehe etwa hier)

Freistetter: Bis vor kurzem hat sich nur die Esoterik-Szene mit dem Thema befasst. Als Standardwerk gilt das Buch "Der Maya-Faktor", das in den 1980ern vom Esoteriker José Argüelles veröffentlicht wurde. Durch den Hollywwood-Film "2012" von Roland Emmerich wurde aber eine breite Öffentlichkeit erreicht. Es gab unzählige TV- und Presseberichte sowie virales Marketing. Es wurde sogar eine eigene Fake-Homepage aufgesetzt, auf der angebliche Wissenschafter über den Weltuntergang berichteten. Und da haben auch viele normale Esoteriker gemerkt, dass sich mit dem Thema viel Geld verdienen lässt. Plötzlich war alles 2012 - Amulette, Seminare, Glücksworkshops. (Hintergrund-Artikel hier)

derStandard.at: Oft wird im Zusammenhang mit dem 21.12.2012 auch über einen Bewusstseinswandel der Gesellschaft, der Niederkunft eines "Übermenschen" und ähnliches diskutiert. Was ist in Krisenzeiten wie diesen davon zu halten?

Freistetter: Der Wunsch nach Wandel und Transformation ist ein elementarer Bestandteil der Esoterik. Mithilfe von Seelenwanderung, Meditation u.ä. soll ständig eine Selbstverbesserung oder Selbsterhöhung erreicht werden. Dabei leben wir - rein historisch-objektiv betrachtet - in keiner besonderen Zeit. Wirtschaftskrisen hat es immer schon gegeben, ebenso Kriege und Revolutionen. Die einzige spezielle Ausnahme ist der Klimawandel. Aber die eigene Zeit wird immer als etwas ganz Besonderes angesehen. Dabei ist die Welt beständig im Wandel.

derStandard.at: Weltuntergangsszenarien sind nur ein Teil inmitten von zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln auf ihrer Seite. Was treibt Sie an, so gut wie täglich einen hintergründigen und ausführlichen Blog-Beitrag zu erstellen?

Freistetter: Ich sehe mich vor allem als Wissenschaftsvermittler bzw. -kommunikator und meinen Auftrag nicht nur als reine Forschung- sondern auch als Öffentlichkeitsarbeit. Das wird in der Wissenschaft wenig gemacht, weil hier meistens nur die Forschung zählt. Aber mir hat das schon immer Spaß gemacht. Darum habe ich früher auch viele Vorträge gehalten. Den Blog habe ich gestartet, weil ich mehr Leute erreichen wollte. Ich betrachte das auch als "Lobbyismus für Astronomie". Als Grundlagenforscher, der ja nichts "produziert", ist es eben relativ schwer, zu finanziellen Mitteln zu kommen. Und es lohnt sich, den Leuten zu erklären, warum diese Forschung trotzdem interessant und wichtig ist.

derStandard.at: Warum nimmt die Esoterik dennoch einen so großen Raum auf Ihrem Blog ein?

Freistetter: Wenn man Wissenschaft erklären will, dann muss man auch das erklären, was so tut, als wäre es Wissenschaft, aber keine ist - egal ob Pseudomedizin, Astrologie o.ä.. Esoterische Themen bekommen - vor allem im Internet, aber auch in den anderen Medien - schon jede Menge Aufmerksamkeit. Dem wollte ich mit meinem Blog etwas entgegensetzen.

derStandard.at: Ihr Blog heißt Astrodicticum simplex und bezeichnet einen speziellen Sternweiser, der um 1700 erfunden wurde und von dem es kein Exemplar mehr gibt. Haben Sie schon einmal daran gedacht, selbst ein solches Messgerät zu fertigen? Auch als handfestes Unterrichtsmittel, um Neugier auf Wissenschaft zu machen?

Freistetter: Das habe ich mir noch nicht überlegt, weil ich handwerklich nicht begabt bin. Aber es gibt eine moderne Entsprechung eines solchen Geräts, quasi ein digitales Astrodicticum Simplex: Eine Smartphone-App, mit der man erfährt, wo und wie man sich hinstellen muss, um einen bestimmten Stern zu sehen. Ob die App gut funktioniert, weiß ich nicht - ich habe kein Smartphone.

derStandard.at: Ist neben überprüfbarem Wissen auch Humor ein Mittel zum Vermittlungszweck? Als Beispiel sei diese Meldung genannt: "Schottlands-einsamstes-Pub-wird-versteigert". Können Sie kurz den Hintergrund erklären, wenn man nicht die mehr als 1500 Postings in Ihrem Forum lesen will?

Freistetter: Nackte Fakten sind die eine Sache, aber Humor und eine gewisse Persönlichkeit hineinzubringen machen diese oft interessanter. In Österreich wird das etwa von den Science Busters erfolgreich vorgezeigt. Die Geschichte mit dem schottischen Pub ist folgende: Die Community auf meinen Blog hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und daher wollte ich einen eigenen Bereich schaffen, in dem ohne thematische Einschränkung diskutiert werden kann und wo eine belanglose Meldung als Ausgangsbasis für eine nicht ernst gemeinte Verschwörungstheorie dienen soll - und da habe ich eben diese Meldung ausgesucht. Mittlerweile gibt es bereits fünf solcher Beiträge.

derStandard.at: Gibt es einen speziellen Grund, warum in diesem Verschwörungstheorie-Projekt immer ein Artikel aus dem Ressort Reisen von derStandard.at genommen wird?

Freistetter: Nein, das lag nur daran, dass ich zufällig den ersten Artikel von dort hatte. Und dass sich dort - im Gegensatz zur z.B. Politikredaktion - manchmal auch "harmlose" Beiträge finden.

derStandard.at: Spielt die jeweilige Mondphase für Ihre allgemeine Zufriedenheit eine Rolle bzw. kann man daraus wirklich etwas für Pflanzenschneiden oder Frisörbesuche ableiten?

Freistetter: Die Mondphase hat für mich persönlich überhaupt keine Bedeutung. Es kann auch physikalisch kein solcher Einfluss, etwa des Vollmondes nachgewiesen werden. Die Beleuchtung ändert sich, das ist alles. Es wurden bereits viele Untersuchungen durchgeführt und Statistiken erstellt, ob sich Unfälle, Geburten o.ä. häufen. Das Ergebnis: kein Einfluss. Meiner Meinung nach, handelt es sich dabei um selektive Wahrnehmung: Man hat Stress, etwas Schlechtes gegessen, kann nicht schlafen, sieht aus dem Fenster und es ist Vollmond - und dann merkt sich diesen außergewöhnlichen Fall. Aber man kann das auch über einen längeren Zeitraum objektiv überprüfen, z.B. in Form eines Schlaftagebuchs, und wird nichts Besonderes entdecken. Auch dazu habe ich einen längeren Artikel verfasst. (Martin Obermayr, derStandard.at, 20.12.2011)