Aret Güzel Aleksanyan erzählt in der sechsen Saison Geschichten aus dem Orient und der neuen Heimat Wien.

Foto: Intekulttheater

Mandana Alavi Kia tanzt zu Musik aus dem nahen Osten.

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"Man übertreibt, man lügt ein bisschen, und so entstehen die wunderbarsten Geschichten!" schwärmt Aret Güzel Aleksanyan gleich zu Beginn seines Programms "Derwisch erzählt" auf der Bühne des Interkulttheaters. Bereits nach wenigen Minuten weiß das Publikum, was er damit meinte: Ganz wahr können seine Geschichten tatsächlich nicht sein, doch genau das macht Aleksanyans Mischung aus Komik, Gesellschaftskritik und großer Schauspielkunst so speziell.

Wenn man das Derwisch-Programm zum ersten Mal besucht, kann eine gewisse Unsicherheit aufkommen, ob bei den Märchen des türkischen Geschichtenerzählers vom Publikum erwartet wird, oft und laut zu lachen oder aber die ironischen, teils zynischen Anekdoten doch nur ein lächelndes, aber ernstes Kopfnicken hervorrufen sollten. Bei Aleksanyans Geschichten ist definitiv beides erlaubt. Am besten, man lehnt sich zurück, lässt den Emotionen freien Lauf und saugt die verträumte orientalische Atmosphäre des Theaters auf, während man Schwarztee aus dem Samowar nippt und an Nüssen und Datteln knabbert.

Warum Gastarbeiter gerne in die Hölle wollen

Eine von Aleksanyans Geschichten handelt etwa von dem Schnaps trinkenden Kebab-Künstler Mahmud aus Damaskus, der - stadtbekannt wie er ist - auch Touristen anlockt, die er jedes Mal höchst erfreut und höflich empfängt. Wehe aber der Person, die sein Hackfleisch nicht so verkostet, wie er es vorgesehen hat! Neben dem Esel, der von den Menschen zum Präsidenten gewählt wird, erfährt man auch, warum die ehemaligen Gastarbeiter ihre Integrationsunwilligkeit vortäuschen und dafür gerne in der Hölle landen. Nicht weniger komische Elemente enthält auch die Fortsetzung der herzzerreißenden Geschichte über den Bräutigam, der aufgrund eines Furzes bei seiner Hochzeit von der Familie verjagt wurde und so seinen Weg nach Österreich fand.

Zwischen den kurzweiligen Erzählblöcken schwingt die persische Performance-Künstlerin Mandana Alavi Kia ihre Hüften und flatternden bunten Kleider zu Musik aus dem nahen Osten. Wo jede/r andere bereits schwindelig zu Boden gehen würde, dreht sie sich mit einem Lächeln im Gesicht minutenlang wie ein Derwisch im Kreis.

Doppeltes Heimatgefühl ist ein Privileg

Wie bereits in den früheren Derwisch-Stücken gibt der Geschichtenerzähler mit den glänzenden Pluderhosen auch im sechsten Programm wieder seine traditionelle Beamtengeschichte zum besten und erzählt von seinem 35. Versuch, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Er wolle ja schließlich endlich einer von den "Unsrigen" werden, so wie etwa der österreichische Magsitratsbeamte, dessen Nachname - wie alle richtigen Wiener Namen - auf '-ic' endet. Auch aktuelle Inhalte der österreichischen Integrationspolitik werden vom Derwisch schippisch und sarkastisch kommentiert.

Für Aleksanyan, der bis zu seiner Matura in der Türkei lebte und zum Studieren nach Wien gekommen war, ist das doppelte Heimatgefühl, das immer wieder als ethnische Orientierungslosigkeit gedeutet wird, ein Privileg: "Ich habe Heimweh nach Istanbul und Heimatgefühle für Wien: Das ist eine doppelte Liebe!" Das problematisierte Thema Migration im Hintergrund zu lassen und ganz einfach mehr nach dem eigenen Herzen zu leben, ist ein wichtiger Schritt bei der Begegnung mit anderen Kulturen, findet Aleksanyan.

Wie ein Spontanurlaub im Orient

Wer es schafft, sich vor dem Stück und in der Pause kurzzeitig von dem überladenen Süßigkeiten-Buffet im Foyer loszureißen, kann sich bei der Wahrsagerin in dem kleinen mit Vorhang abgetrennten Kabinett aus der Hand lesen lassen. Ein Abend bei "Derwisch erzählt" ist wie ein Spontanurlaub im Orient, der einen kurzen, aber intensiven Hauch der Gastfreundschaft, Düfte und Leichtigkeit der türkischen, arabischen und persischen Kulturen spüren lässt. (Jasmin Al-Kattib, daStandard.at, 19. Dezember 2011)