Bruno Kreisky hat mein Leben ruiniert. Oder jedenfalls fast. Nein, nicht - so wie Sie als kundige Leser vielleicht denken - durch extensive (!) Schuldenpolitik oder den Ausbau (!) der Universitäten. Sondern: Er war der, ja fast die Meinung. Kabarettisten hatten in den 1970ern ihre Freude an den in ungeheurer Vielfalt gebrummelten "Ich bin der Meinung"-Satzeröffnungen. Damit hat er allerdings auch die Basis für meine Meinungsallergie gelegt.

Voll ausgebrochen ist diese dann durch meine Erfahrungen als Sozial- und Wirtschaftswissenschafter. Prototypisch: die Vorstellung unseres Buches macht?erfolg?reich?glücklich?. Mit einem Hauch Ironie und solidem methodisch-theoretischem Handwerkszeug nehmen die Beiträge gängige Karrieremythen aufs Korn und kontrastieren diese mit empirischen Befunden und theoretischen Argumenten. Das Buch macht neugierig, und bei seiner Vorstellung an der Wirtschaftsuniversität ist der Hörsaal gut gefüllt. Das Publikum lauscht unseren Vorträgen zu ein paar Highlights höflich-wohlwollend und leistet der Einladung zu Fragen gerne Folge. Irgendwann kommt er dann wie das Amen im Gebet: der Killer-Einwand. Jemand erzählt, dass es bei ihm anders war und er auch jemanden kennt, bei dem es ebenfalls anders ist. Daher kann das Vorgetragene eigentlich nicht stimmen. Unvermeidlich und erschütternd auch: Viele im Publikum nicken und zeigen nonverbal, wie sehr ihnen damit aus dem Herzen gesprochen ist.

Häh? Ist eigentlich klar, was da abläuft? Theoretisch und empirisch nach den gängigen Regeln der Wissenschaftskunst sauber argumentierte Darstellungen passen nicht mit der eigenen Meinung und/oder der subjektiven Erfahrung überein, und weil wir ja alle unsere Meinung zu fast allem haben, wird mit Bezug auf dieses persönliche Universum ungeniert die eigene Meinung auf das Podest gehievt und erfährt allgemeine Zustimmung. Nichts gegen Kritik, Anreicherung und alternative Sichtweisen - sie sind unabdingbar für einen fruchtbaren Diskurs. Aber alles gegen die persönliche Meinung, die selbstbewusst mit Bezug auf die persönlichen Sinnwelten gleichgewichtig den harten theoretischen und empirischen Befunden gegenübergestellt wird. Wissenschaft ist Gott sei Dank nicht für Glück, Zufriedenheit und Sinnerfüllung zuständig - aber für einen rationaleren Diskurs über die wissenschaftlicher Erkenntnis zugänglichen Teile unserer Realität jenseits der Meinungsabsonderung allemal.

Reden über Karriere ist für Meinungsabsonderung besonders anfällig. Jeder kann was zu Personalfragen und Karriere sagen und tut das auch. Diese Kolumne - sie erfährt heute einen vorläufigen Schlusspunkt- sollte einen Kontrapunkt setzen. Sie wollte den Karrierediskurs anreichern durch den Bezug auf "gesichertes Wissen" aus der Karrieretheorie und -empirie. Wenn sie damit enttäuscht hat, sind auch wir mehr als zufrieden. (Wolfgang Mayrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2011)