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Insgesamt sind rund zwölf Prozent der Bevölkerung oder rund eine Million Menschen in Österreich armutsgefährdet.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - Die Zahl der manifest Armen hat 2010 einen Höchststand erreicht: Für 511.000 Personen war der absolute Mindestlebensstandard nicht mehr leistbar, teilte die Statistik Austria am Freitag in einer Aussendung mit. Insgesamt sind rund zwölf Prozent der Bevölkerung oder rund eine Million Menschen in Österreich armutsgefährdet. Der aus dem Haushaltseinkommen errechnete Lebensstandard stieg trotz Konjunktureinbruch 2009 und Anstieg der Arbeitslosigkeit um 3,7 Prozent.

Datengrundlage für die Berechnungen sind Ergebnisse der EU-weit durchgeführten Erhebung EU-SILC über die Lebensbedingungen und Einkommenssituation im Jahr 2009, die 2010 durchgeführt wurde.

Kein Anstieg der Armutsgefährdung durch Krise, aber manifeste Armut nimmt langfristig zu

Die kurzfristigen Auswirkungen der Krise für Österreichs Privathaushalte waren laut Statistik eher moderat, längerfristig haben sich die Lebensbedingungen armutsgefährdeter Personen kontinuierlich verschlechtert. Der mittlere Lebensstandard betrug im Einkommensjahr 2009 20.618 Euro (+3,7 Prozent gegenüber 2008), der Lebensstandard hat sich also auch im sogenannten Krisenjahr gesteigert. Sozialleistungen haben demnach Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit in vielen Fällen abgefedert, gleichzeitig habe die Steuerreform eine Entlastung bewirkt und die Inflation sei niedrig gewesen.

Die Armutsgefährdungsschwelle liegt laut EU-SILC 2010 bei 1.031 Euro im Monat für einen Einpersonenhaushalt - der Lebensstandard der armutsgefährdeten Menschen beträgt im Mittel nur rund 854 Euro pro Monat (für Alleinlebende). Mit 31 Prozent besonders stark armutsgefährdet sind Personen ohne österreichische oder EU-Staatsbürgerschaft, ebenso wie alleinlebende Pensionistinnen (26 Prozent) und Personen in Ein-Eltern-Haushalten (28 Prozent). Ein hohes Armutsrisiko besteht auch für Haushalte mit Langzeitarbeitslosen (29 Prozent) und jenen mit mehr als zwei Kindern (18 Prozent).

Eine halbe Million kann sich Mindeststandard nicht leisten

Unter den Armutsgefährdeten kann sich etwa die Hälfte einen für Österreich absolut notwendigen Mindestlebensstandard nicht leisten, das sind 6,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Waren 2005 344.000 Personen manifest arm, waren es 2009 488.000 und 2010 schon 511.000.

Beim "Europa 2020"-Ziel zur Reduktion von Armut und Ausgrenzung ist Österreich laut Statistik Austria auf Kurs: Nach europäischer Definition sind 17 Prozent der Bevölkerung oder rund 1,37 Mio. Menschen "ausgrenzungsgefährdet" - die Zahl hat sich gegenüber 2008 trotz Wirtschaftskrise um 159.000 verringert. Für Österreich werde eine Reduktion um 235.000 binnen zehn Jahren angestrebt. Zusätzlich zu den rund eine Mio. Armutsgefährdeten sind bei den 1,37 Mio. auch 210.000 unter 60-Jährige in (nahezu) Erwerbslosenhaushalten und 159.000 nach EU-Definition erheblich deprivierte Menschen über der Armutsgefährdungsschwelle enthalten.

Konsumkredite

Insgesamt umfasst "erhebliche Deprivation" (Einschränkungen z.B. beim Warmhalten der Wohnung oder rechtzeitiger Begleichung von regelmäßigen Zahlungen) nach EU-Definition 355.000 Personen, darunter sind 196.000 durch geringes Einkommen armutsgefährdet. Die übrigen 159.000 Personen liegen zwar beim Einkommen über der Armutsgefährdungsschwelle, sind aber dennoch bei den täglichen Grundbedürfnissen erheblich eingeschränkt. Mehr als die Hälfte von ihnen leidet unter gesundheitlichen Einschränkungen im Alltag, etwa zwei Drittel geben eine schwere Belastung durch Wohnkosten an und 43 Prozent sind durch die Rückzahlung von Konsumkrediten schwer belastet.

Armutskonferenz für "Armutsbremse"

Die Armutskonferenz fordert angesichts der veröffentlichten Daten eine "Armutsbremse". Überfluss müsse besteuert werden, weiters brauche es Investitionen in die Zukunft. "Das Ende der Krise ist nicht mit dem Steigen der Aktienkurse anzusetzen, sondern mit dem Sinken von Armut und sozialer Ungleichheit", meinte die Armutskonferenz in einer Aussendung. Budgetkonsolidierung und Zukunftsinvestitionen seien kein Widerspruch. "Es ist höchste Zeit, Überfluss zu besteuern und in die Zukunft zu investieren. Fangen wir gleich bei Kinderbetreuung, Schule und auch Pflege an."

Kritik von den Grünen

Für den Grünen Sozialsprecher Karl Öllinger ist die Regierung "chronisch konzeptlos und mutlos". "Schon bei der Einführung der Mindestsicherung konnte sie sich nicht auf eine ausreichende Höhe und begleitende Maßnahmen wie etwa die Durchsetzung eines verbindlichen Mindestlohns einigen. Das Ergebnis sehen wir jetzt in den Zahlen der Statistik Austria zu Armut und Armutsgefährdung", so Öllinger. Die veröffentlichten Zahlen seien "ein Wegweiser in der Debatte um künftige Einsparungen". Auch Diakonie und Volkshilfe forderten Maßnahmen gegen Armut. 

Hundstorfer: Zahlen stabil

Sozialminister Hundstorfer stellte fest, dass die Zahl der Armutsgefährdeten trotz des wegen der generellen Einkommenssteigerung ansteigenden Armutsschwellenwertes stabil geblieben sei. Dies zeige, dass die meisten Armutsgefährdeten "real mehr Geld zur Verfügung haben". Möglich gewesen sei dies vor allem wegen der 2008 beschlossenen Steuerreform, der Lohnabschlüsse und beschäftigungspolitischer Maßnahmen. "Die Konsolidierung des Staatshaushaltes kann daher nicht auf Kosten des Sozialstaates gehen", betonte Hundstorfer.  Die Sozialleistungen hätten besonders in wirtschaftlich schlechten Zeiten eine eminent stabilisierende Funktion und seien von größter Wichtigkeit. (APA)