"Einerseits lässt das Regime in seiner Brutalität nicht nach, andererseits wächst die Entschiedenheit der Demonstranten."

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Protest gegen hohe Gaspreise in Homs

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Die syrischen Regimegegner verlegen sich nun auf das Mittel des zivilen Ungehorsams. Die "Würde-Streiks" beginnen Fuß zu fassen, sagt die syrische Nahost-Expertin Rime Allaf zu Gudrun Harrer.

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STANDARD: Sehen Sie noch eine Chance, dass das Regime auf die Wünsche der Arabischen Liga eingeht und sich die Lage beruhigt?

Allaf: Nein, eigentlich nicht mehr. Ich sehe, dass einerseits das Regime in seiner Brutalität in keiner Weise nachlässt und dass andererseits die Entschiedenheit der Demonstranten immer mehr wächst. Sie ziehen nun eine neue Ebene ein, die des zivilen Ungehorsams, mit den "Würde-Streiks", die vorige Woche begonnen haben und die langsam Fuß fassen. Das macht das Regime noch wütender. Es will nicht, dass die Welt sieht, dass die Proteste friedlich sind. Es kann auch nicht mehr seine Darstellung des Konflikts ändern, sonst würde es zugeben, dass es zehn Monate lang gelogen hat. Aber die Menschen auf der Straße überzeugen immer mehr andere Syrer und Syrerinnen, dass sie das Richtige tun und dass es keinen Sinn hat, auf Hilfe von außen zu warten.

STANDARD: Was halten Sie davon, dass ein geplantes Treffen der Arabischen Liga verschoben wurde?

Allaf: Ich verstehe das als Verschiebung der Deadline der Arabischen Liga an das Regime - und das war genau das, was es wollte, denn es ist weiter davon überzeugt, dass es nur ein paar Tage mehr braucht, um die Situation in den Griff zu bekommen. Es hat den Menschen in den Unruhegebieten 72 Stunden gegeben, mit den Protesten aufzuhören, sie haben das jedoch ignoriert. Burhan Ghalioun (der Chef des Syrischen Nationalrats, Anm.) hat eine neue kurze, sehr einfache und klare Ansprache gehalten: Die Proteste bleiben friedlich, und wir werden nicht vor dem Regime weichen.

STANDARD: Glauben Sie, dass Burhan Ghalioun, der doch jahrelang in der Diaspora gelebt hat, beziehungsweise der ganze im Ausland gegründete Nationalrat in Syrien eine große Anhängerschaft hat?

Allaf: Ja, auf alle Fälle, man sollte nicht auf die Regimepropaganda hereinfallen, die das Gegenteil behauptet. Die Menschen in Syrien verlangen nach Botschaften des Übergangsrats. Es hat eine Weile gedauert, bis er in die Gänge gekommen ist, aber die verschiedenen Lager wachsen zusammen. Zuletzt hat sich auch der in Syrien extrem respektierte Oppositionelle Haitham Maleh angeschlossen, der dem Nationalrat zuerst kritisch gegenüberstand.

STANDARD: Ghalioun hat unlängst die Free Syrian Army (FSA) aufgerufen, nicht den syrischen Staat anzugreifen, sondern sich darauf zu beschränken, Demonstranten zu verteidigen. Die FSA befolgt dies aber nicht, oder?

Allaf: Ich denke, das Konzept von "Verteidigung" wird von der FSA anders verstanden. Sie verlassen ja nicht ihre Gebiete - hauptsächlich um Homs und an der türkischen Grenze - um außerhalb davon die syrische Armee anzugreifen. Aber sie greifen sie an, wenn diese sich in diesen Gebieten bewegt, um ihrerseits Demonstranten anzugreifen. Die Free Syrian Army dürfte das als eine Art "defensiver Angriff" verstehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2011)