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Alle freuen sich über Drehorgeln auf Weihnachtsmärkten - fast alle

Foto: APA/Neubauer

Natürlich: Rechtlich hat das seine Richtigkeit. Aber verwundert war Herr G. trotzdem: Wenn sich der Mann, der sich als Vertreter des Bürgermeisters vorgestellt hatte, seiner Sache nicht bloß formal, sondern auch inhaltlich sicher gewesen wäre, hätte er nämlich vermutlich nicht die Flucht ergriffen - sondern mit dem Wiener Arzt und seiner Frau vielleicht doch über Weihnachten, Weihnachtsmärkte und Weihnachtsbeschallung geplaudert.

Aber der Reihe nach. Zuallererst einmal: Diese Geschichte spielt nicht in der Welt der scheinwichtigen VIP-Darsteller, sondern auf einem Weihnachtsmarkt. In ihr kommt niemand vor, der sonst durch Gesellschaftsspalten geistert: "Adventsfriede" - das Rundherum ist ja eh nervig genug.

Mariazell

Auch aus diesem Grund besuchten Herr G. und seine Frau um den 8. Dezember die G.´sche Herkunftsgemeinde Mariazell. Und dort den lokalen Wallfahrts-Weihnachtsmarkt. Frau G. hatte ihre alte Drehorgel dabei: Die hat sie von ihrem Mann vor einigen Jahren geschenkt bekommen. Sicher: Man kann Drehorgelei mögen oder elend finden - aber darauf, dass ein auf historischen Walzen auf einem historischen Instrument gekurbeltes "Ihr Kinderlein kommet" auf einem klassisch-alten Weihnachtsmarkt nicht ganz daneben liegt, dürften sich Drehorgelfreunde wie -nichtliebhaber verständigen können.

Die Mariazeller Weihnachtsmarktgemeinde jedenfalls liebte Frau G.: Kinder sangen und wollten selbst kurbeln. Standler freuten sich - und baten Frau G. wieder zu kommen, sobald sie ihr Themen-Repertoire auch anderswo durchgewalzt hätte. Andere Standler baten sie, sich bei ihnen zu platzieren - doch nicht überall ging das: Der Mariazeller Weihnachtsmarkt wird mit Konservenmusik beschallt. Leise zwar, aber doch. Und Frau G. stellte sich nur dort hin, wo die Lautsprechermusik praktisch zu hören war.

Den Amtsschimmel wecken

Der Donnerstag war super. Auch der Freitag. Am Samstag, ermutigt vom Zuspruch von Devotionalien- und Sonstwas-Händlern, ging Frau G. zur Gemeinde: Die beiden vergangenen Tage hätten sie beflügelt, Mariazell für einen stimmigen Ort für ein Drehorgeltreffen zu halten. Im Rathaus, so Frau g., hörte man ihr zwar zu, schien aber nicht sonderlich interessiert.

Doch als sie dann wieder am Weihnachtsmarkt werkelfraute, ging alles schnell. Ein Mann mit Trachtenjoppe und iPad rückte an, stellte sich vor - und untersagte jegliches Geleiere: Frau G. habe weder Genehmigung noch Erlaubnis, geschweige denn eine Lizenz vorzuweisen. Frau G. hielt dagegen: Dass sie niemandem Konkurrenz mache, es bei einem Tageserlös von 40 Euro und bei Anschaffungskosten von 6500 Euro für die Orgel und rund 80 Euro pro Zehnminuten-Papierlochstreifen wohl kaum ums Geschäft gehe und sie jedes Mal, sobald die (live) Turmbläser anträten, Pause mache, nachweislich nur stehe, wo die städtische Beschallung nicht zu hören sei ... Doch der gute Mann hörte das alles nicht mehr: Er eilte sofort von dannen.

"Komm wieder"

Darum blieb auch die Frage, ob sich gar jemand beschwert habe, unbeantwortet. Als Frau G. ihre Orgel von dannen schob, glaubten manche Standler, sie mache bloß Pause - und riefen ihr nach, sie freuten sich schon auf das Orgelspiel später. Und morgen. Und ob Frau G. nicht auch im Sommer regelmäßig hier spielen wollen würde.

Als Frau G. traurig ihre Drehorgel im Auto verstaut hatte und auf dem Weg zurück nach Wien war, rief sie ein Drehorgelkollege an: Er beorgle gerade in Steyr den Weihnachtsmarkt. Alle freuten sich: Kinder, Erwachsene, Standler - da habe auch er weder Kälte noch Wind gespürt.

Ob denn er eine Genehmigung eingeholt habe, fragte Frau G. - und der Kollege verneinte: Er orgle doch seit Jahren. Und auf den schönen Weihnachtsmärkten im ländlichen Raum habe noch nie jemand den Bürokraten raushängen lassen: Keine Konkurrenz, kein Geschäft, Liebhaberei, etc ... Auch diesmal sei das so gewesen: "Vorher kam einer vom Tourismusverband vorbei und hat mich gefragt, ob ich eh wiederkommen würde. Weil eine alte Drehorgel doch so gut zur weihnachtlichen Stimmung passt." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 14.12.2011)