Planen schon die Rückkehr nach Deutschland: Ebbo (Pierre Bokma) und Vera (Jenny Schily).

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Ulrich Köhler, 42, Autor und Regisseur, bereits sein Debüt "Bungalow" (2002) war vielbeachtet; für "Schlafkrankheit" erhielt er bei der Berlinale 2011 den Preis als bester Regisseur.

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Bert Rebhandl sprach mit dem preisgekrönten deutschen Regisseur auch über eigene Afrika-Bezüge.

Ein deutscher Arzt in Kamerun steht im Mittelpunkt von Ulrich Köhlers drittem Spielfilm "Schlafkrankheit". Ebbo Velten soll eigentlich helfen, ansteckende Krankheiten zu bekämpfen, er wird dabei aber immer wieder mit den Realitäten eines Kontinents konfrontiert, der westliche Vorstellungen von Rationalität und Effizienz oft ins Leere laufen lässt. Im Gespräch äußert sich der junge deutsche Filmemacher über die Motive, sich diesem schwierigen Thema zu stellen.

Standard: Für "Schlafkrankheit" konnten Sie auf eigene Erfahrungen in Afrika zurückgreifen. Worin bestanden diese?

Köhler: In den 70er-Jahren gingen meine Eltern als Entwicklungshelfer nach Zaire, in den heutigen Kongo. Das Dorf Vanga liegt rund 500 Kilometer östlich von Kinshasa, also nicht so weit östlich wie die rohstoffreichen Krisengebiete. Mein Vater arbeitete als Arzt, meine Mutter betreute ein Ernährungsprogramm. Wir haben dort vier sehr glückliche Jahre verbracht, mit sehr viel Freiheit.

Standard: Wie viel bekommt man als Kind von den größeren Zusammenhängen der Politik schon mit?

Köhler: Ich habe Panik vor Autoritäten in Uniform entwickelt, weil wir einige Male in heikle Situationen geraten sind. Aus Angst habe ich jeden Polizisten freundlich gegrüßt, auch später in Deutschland noch. Die repressive Struktur des Mobutu-Regimes hat mich stark beeindruckt, aber auch die ungerechte Verteilung des Wohlstandes zwischen den Kontinenten. Ich hätte den Kontinent wohl nicht wieder betreten, wenn meine Eltern nicht zurück nach Afrika gegangen wären, als wir Kinder aus dem Haus waren.

Standard: Wann entstand die Idee zu einem Film darüber?

Köhler: Als ich an der Kunstschule war, hat mein Vater vorgeschlagen, dass ich das Leben in Kamerun dokumentiere. Doch ich habe nur ein paar Bilder auf Super 8 gedreht. Ich fühle mich generell schnell als Ausbeuter, wenn ich eine Kamera auf Menschen richte, und ich dachte, der Kontinent sollte afrikanischen Filmemachern gehören. Ein längeres Gespräch mit dem mauretanischen Filmemacher Abderrahmane Sissako nahm mir viel von meiner Befangenheit. Da ich eine klar definierte eurozentrische Perspektive gewählt habe, fühlte ich mich dann legitimiert - ich erzähle in "Schlafkrankheit" ja nicht das Leben eines Slumkinds in Nairobi.

Standard: Im Gegenteil zeichnet sich der Film gerade durch seine reflektierte Perspektive auf die sogenannte Entwicklungshilfe aus.

Köhler: Es gibt leider viele Beispiele für gescheiterte Entwicklungshilfeprojekte. In den 1970ern war Entwicklungshilfe noch ganz unverblümt Interessenpolitik. Auch das Berufsbild der Entwicklungshelfer hat sich stark gewandelt. Als mein Vater anfing, war es noch nah am Bild Albert Schweitzers, des "guten Menschen von Lambarene". Heute werden in der Entwicklungszusammenarbeit eher Manager und Supervisoren gesucht. Diese Entromantisierung war wichtig für den Film.

Standard: Zwei Figuren stehen im Mittelpunkt - ein deutscher und ein französischer Arzt. Der Franzose soll den Deutschen evaluieren, zugleich wird er auf seine afrikanische Herkunft verwiesen. Eine beziehungsreiche Konstellation.

Köhler: Mich hat die Umkehrung interessiert, während Alex trotz kongolesischer Wurzeln an seinen westeuropäischen Maßstäben scheitert, geht Ebbo, der seit langem in Afrika lebt, viel spielerischer mit Phänomenen wie der Korruption um. Vertrautheit mit kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten hat eben nichts mit Hautfarbe zu tun. Und doch wird auch Ebbo nie wirklich in Kamerun ankommen. Ich habe mich oft gefragt, warum meine Eltern zurück nach Afrika wollten, obwohl sie wussten, dass sie Fremde bleiben würden - und die Ungleichheiten unüberwindbar sind. Und was wäre passiert, wenn meine Eltern nicht als Paar dort geblieben wären? Vielleicht ist das eine Hypothese, die der Film durchspielt.

Standard: Wie gingen Sie dramaturgisch vor? Es gibt ja für Europäer in Afrika das klassische Erzählmuster einer Fahrt in das "Herz der Finsternis", mit dem Sie sehr interessant umgehen.

Köhler: Ich bin ein unsystematischer Autor, aber es gab schon früh bestimmte Elemente. Die Entmythologisierung der Idee von einem "Herzen der Finsternis" war mir sehr wichtig, ohne die klassische Erzählstruktur einer Bewegung ins Innere ganz aufgeben zu müssen. Der erste Teil von Schlafkrankheit ist eher beschreibend, der zweite Teil folgt dieser Dramaturgie. Ein sudanesischer Roman, auf den ich durch einen Hinweis bei Edward Said gestoßen bin, hat mich entscheidend beeinflusst: "The Season of Migration to the North" (1966) von Tayeb Salih. Er kehrt Joseph Conrads Roman in gewisser Weise um. Die Geschichte mit dem Nilpferd wiederum geht auf meine Kindheit zurück. Kurz nachdem wir Zaire verlassen hatten, wurde eine US-Ärztin in Vanga von einem Nilpferd getötet, sofort kursierten animistische Geschichten von einem Eifersuchtsfluch.

Standard: Sie kennen Afrika seit bald vierzig Jahren. Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven?

Köhler: Ich kann nur von konkreten Beobachtungen sprechen. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, ist deutlich verarmt. Die Straßen sind kaputt, und der Weg über den Fluss ist durch die vielen "Zölle" in den Häfen unrentabel geworden. In ihrer Verzweiflung bauen die Leute riesige, kaum steuerbare Flöße aus Palmölfässern und lassen sich nach Kinshasa treiben. So können sie unterwegs nicht von korrupten Beamten aufgehalten werden, riskieren aber ihr Leben. Andererseits gibt es in den Städten eine wachsende Mittelschicht. Es gibt Jugendliche, die keine Stammessprache mehr sprechen, deren Französisch aber sofort als afrikanisch erkennbar ist. Das macht deutlich, wie zerrissen die kommenden Eliten sind.  (DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2011)