Roland Düringer bei seinem Auftritt als "Wutbürger" im ORF- "Donnerstalk". Der Mitschnitt wird intensiv verbreitet und diskutiert.

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Standard: Ihre Rede als wütender Bürger vergangenen Donnerstag beim "Donnerstalk" im ORF hat für Aufsehen gesorgt und findet derzeit in den Social-Media-Foren des Internet rasende Verbreitung und heftige Zustimmung. Wie ernst war denn Ihre Rede gemeint?

Düringer: Eigentlich habe ich das schon ernst gemeint. Vorher haben wir eine Parodie über den Wutbürgerkongress gemacht, die Sendung habe ich dann aber als Roland Düringer beendet und das einfach in die Kamera gesagt. Ich war mir nicht sicher, ob das so gesendet wird. Der ORF hätte ja auch sagen können: "Das wollen wir nicht, das ist ja nicht lustig." Ist aber nicht passiert, das hat mich gefreut. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass sich danach so viel tut.

Standard: Welche Reaktionen haben Sie darauf bekommen?

Düringer: Von den Freunden die üblichen Mails, so in der Art "Super, dass du das gemacht hast, dass du dich getraut hast". In Wirklichkeit war das aber nicht mutig. Vor einer Kamera etwas zu sagen, ist nichts Mutiges. Ich bin ja von niemandem abhängig, ich kann machen, was ich will. Dann hat mich aber jemand angerufen: "Hearst, weißt du, was da eigentlich los ist? Im Internet spielt es sich ab." Und dann habe ich geschaut. Da spielt es sich wirklich ab. Natürlich haben die Leute einen Hass auf die Politiker und auf den Staat. Ich habe aber viel mehr gesagt, über die Arbeit, die nicht unsere Berufung ist, und dass durch unseren Konsum diese Systeme am Leben erhalten werden.

Standard: Gab es ernst gemeinte Anfragen aus der Politik?

Düringer: Es kamen Anfragen, ob wir nicht eine Partei gründen sollten. Aber das halte ich genau für den falschen Schritt. Dann bin ich Teil dieses Systems. Und das System ist am Ende, beim Geldsystem merkt man es jetzt am ehesten, aber auch das Gesundheitssystem wird bröckeln, dann das Pensionssystem. Was wir wirklich verändern müssen, ist unser Denken. Wir müssen größer denken lernen. Wir müssen erkennen, was hat wirklich einen Wert und was wird uns nur als Wert verkauft. Welchen Dingen laufen wir nach, die wir nicht brauchen. Es hat keinen Wert und bringt kein Lebensglück, wenn man dem Geld nachläuft. Wenn wir in unserem Tun und unserem Handeln etwas ändern würden, dann würde das System auch nicht funktionieren. Es macht keinen Sinn, am Stammtisch über Politiker zu schimpfen und dann brav zur Urne zu schreiten und ein Kreuzerl zu machen.

Standard: Sie meinen, es hat gar keinen Sinn zu wählen?

Düringer: Nicht wählen ist ganz schlecht. Man müsste vielleicht zur Wahl gehen und dort einen anderen Zettel abgeben. Auf dem steht: "Gültige Stimme". Und den werfe ich hinein, ich habe eine gültige Stimme abgegeben, die aber besagt: Ich will dieses Angebot nicht.

Standard: Wie wütend sind Sie?

Düringer: Ich bin eigentlich nicht wirklich wütend. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es gescheit war zu sagen: "Wir sind wütend." Weil wütend hat so etwas Negatives. Das wirkt zerstörerisch. Aber es hat halt etwas ausgelöst. Wenn ich es anders genannt hätte, etwa "Verändern wir uns" oder "Wie wollen wir leben?", dann würden wir zwei jetzt auch kein Interview machen. Vielen geht jetzt ein Licht auf. Klar sind die Banken die Schweine, die das Geld abziehen von den Fleißigen. Aber viele von uns machen genau das Gleiche, nämlich über die Verhältnisse zu leben, Dinge zu kaufen, die man sich nicht leisten kann, ein Auto oder einen Flat-TV auf Schulden. Das Finanzsystem wäre zu knacken, wenn die Leute keine Schulden mehr machen würden.

Standard: Da könnte man einwenden, dass viele Leute eben zu wenig verdienen und zu wenig haben, die müssen Schulden machen. So funktioniert das System.

Düringer: Das ist das Problem. Uns wird ständig eingeredet, wir brauchen dieses Auto, dieses Haus, diesen Fernseher, diesen Urlaub. Wenn man nur glücklich ist, wenn man das hat und dafür auch noch Schulden machen muss, begibt man sich in Geiselhaft und wird nicht glücklich sein.

Standard: Haben Sie sich schon einen nächsten Schritt überlegt?

Düringer: Ich möchte mit den beiden klugen Herren Rahim Taghizadegan und Eugen Maria Schulak, den Autoren des Buches "Vom Systemtrottel zum Wutbürger", so eine Art philosophische Praxis im Internet aufmachen und dort über verschiedene Themen diskutieren. Wir laufen wirklich alle in einem Hamsterrad. Das Konzept gegen das Hamsterrad ist im Augenblick, dass wir noch schneller laufen, ohne dass wir darüber nachdenken können, dass wir im Hamsterrad laufen. Und das führt zum Herzinfarkt des Hamsters. (Michael Völker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.12.2011)